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Dresden und die Flüchtlingstragödie
Zwischen Mitgefühl und Ablehnung

Wohl in keiner deutschen Stadt wird so vehement über Flüchtlingspolitik gestritten wie in Dresden. Zehntausende zogen im letzten halben Jahr mit Pegida auf die Straße, um gegen die vermeintliche Überfremdung zu protestieren. Wie werden in der Elbmetropole nun die Nachrichten über das Massensterben im Mittelmeer diskutiert?

Von Nadine Lindner |
    Blick auf die Brühlsche Terrasse mit der Frauenkirche
    Dresden sorgte zuletzt durch die Pegida-Proteste für Schlagzeilen (picture alliance / dpa / Oliver Killig)
    "Guten Tag, Sie sind verbunden mit dem Bürgertelefon Asyl". Es ist eine freundliche, eine gelassene Begrüßung, obwohl es erst halb neun Uhr morgens ist. So meldet sich Thorsten König beim Asyl-Info-Telefon der Stadt Dresden.
    "Also, die Erfahrungen sind sehr positiv. Viele der Anrufer wollen helfen. Es gibt auch Anrufer, die Informationen benötigen: wo ein Asylbewerberheim gebaut wird. Die Fragen haben, wie viele Asylbewerber kommen denn nach Dresden."
    Das Gros der Asylbewerber in Dresden kommt aus dem Kosovo, Syrien und Serbien. Die ganz unterschiedlichen Gründe, die zur Flucht der Menschen aus ihren Heimatländern führten, spielen bei der Unterbringung durch die Stadt erst einmal keine Rolle. Denn jeder Mensch in Not kann in Deutschland einen Asylantrag stellen, erklärt König den Bürgern am Telefon.
    "Es gibt ganz viele Fluchtgründe. Es geht von Krieg bis hin zu politischer Verfolgung und ähnlichem. Die Zuweisung, die wir bekommen vom Land, da ist es so, dass uns die Fluchtgründe uns da nicht immer bekannt sind."
    Anfangs waren sie zu dritt, mittlerweile kann sich König, Sachbearbeiter im Sozialamt, alleine um die Anrufer kümmern. Denn das Interesse hat nachgelassen: Im November klingelte das Telefon rund 50 Mal am Tag, jetzt nur noch rund sechs Mal täglich.
    "Natürlich gibt es auch ein paar Leute, die das Telefon nutzen, um ihre Meinung einfach kundzutun und zu sagen, eigentlich gefällt mir das nicht so. Aber erklären Sie mir doch mal, warum kommt jemand nach Deutschland oder Ähnliches, das hatten wir auch. Aber es war bisher sehr sachlich."
    Oft ist die Stadtverwaltung für ihre zu zögerliche Kommunikationspolitik beim Asylkonzept kritisiert worden. Aber mit dem Infotelefon hat sie offenbar einen einfachen, weil direkten Draht zu den Bürgern gefunden.
    "Gegen Fremdenfeindlichkeit gibt es keine Wunderpille"
    Ortswechsel: Kurz vor zehn Uhr am Dresdner Hygiene-Museum. Gleich wird hier eine große Gesprächsrunde mit mehreren Verbänden zum Thema Asyl stattfinden. Victor Vincze wartet vor dem Eingang. Der gebürtige Ungar ist Vorsitzender des Ausländerbeirats der Stadt und kennt sich damit schon qua Amt damit aus, wie in Dresden Asylbewerber wahrgenommen werden.
    Das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer – hat es etwas an der Einstellung der Bevölkerung verändert? Wird es jetzt mehr Mitleid und Verständnis für Flüchtlinge geben? Nein, Vincze befürchtet das genaue Gegenteil, die Flüchtlinge könnten als bedrohliche Masse erscheinen.
    "700 Personen - das ist praktisch ein komplettes Dorf, das auf einmal weg ist. Das kann das normale menschliche Fassungsvermögen nicht mehr begreifen."
    Viele Menschen könnten sich diese hohe Zahl an Toten nicht vorstellen, dadurch könne auch die Empathie für Flüchtlinge sinken.
    Vincze macht seit elf Jahren Integrationspolitik in Dresden. Trotz aller Skepsis sieht er auch gute Entwicklungen: Vor allem kleine Nachbarschaftsinitiativen können wertvolle Arbeit leisten, Asylbewerber integrieren und vor allem Vorurteile abbauen.
    "Da merkt man wirklich schon, dass da ein Nachbar, der sagt, ich bin bei Pegida mitgelaufen, aber jetzt sehe ich schon, dass es nicht so schlimm ist. Einfach diese positiven Erfahrungen helfen da. Bei Fremdenfeindlichkeit gibt es keine Wunderpille, die man einnimmt und dann ist man weltoffen."
    17 Uhr. Die nächste Station. Ein großes Büro-Gebäude in der Dresdner Neustadt. Hier arbeitet Michael Böckting. Ehrenamtlich ist er Vorsitzender der Bürgerinitiative "Willkommen im Hochland e.V." Das Hochland, das ist eine ländliche Gegend östlich von Dresden. 60 Asylbewerber sind dort mittlerweile untergebracht.
    "Dieser Verein hat sich zunächst einmal zum Ziel gesetzt, sich um die Asylsuchenden, die wir nach Pappritz bekommen, zu kümmern. Auf der anderen Seite haben wir auch das Interesse, den Dialog zu suchen. Insbesondere dort, wo es Vorbehalte gibt."
    Es gibt keine Wunderpille gegen Fremdenfeindlichkeit, hat Ausländerbeirat Victor Vincze gesagt. Sondern es sei ein Prozess, der über gegenseitiges Kennenlernen funktioniert. In Pappritz machen sie im Kleinen genau das, erklärt Böckting:
    "Wenn zum Beispiel wie am Sonntag Fußball beispielsweise gespielt wird, dann kommen auch andere Pappritzer Bürger manchmal hinzu, die erstmalig die Leute, die ihre neuen Nachbarn sind, kennenlernen. Und dann so peu à peu Vorurteile verschwinden."
    Wenn Vereinsvorsitzender Böckting von Hunderten ertrunkenen Menschen im Mittelmeer hört, muss er an seine Gespräche mit den Flüchtlingen in Pappritz denken. Er hat "Ausschnitte gesehen, die uns Flüchtlinge selber gezeigt haben, wie sie auf diesen Schiffen dann rüber gekommen sind."
    150 Teilnehmer bei Schweigeminute
    18 Uhr, Schlossplatz in Dresden, sozusagen die gute Stube der Stadt. Hier haben sich 150 Menschen zu einer Schweigeminute versammelt. Sie erinnern an die ertrunkenen Flüchtlinge: "Auch während wir hier zusammenstehen, geraten wieder kleine Schiffe in Seenot."
    Auch Khibum steht mit nachdenklichem Blick in der Menge. Er ist aus Eritrea geflohen, kam auf einem Boot über das Mittelmeer. "Wir sind sehr traurig, weil viele unserer Landsleute im Mittelmeer ertrinken."
    Vertreter von Kirchen oder vom Bündnis Dresden für Alle nehmen an der Schweigeminute teil. Viele haben in den vergangenen Wochen Montag für Montag gegen Pegida und deren fremdenfeindlichen Aussagen demonstriert. Wie Eric Hattke, der im Rückblick auf die vergangenen Monate an die Menschlichkeit und das Mitgefühl appelliert. Auch, wenn einige der Mit-Demonstranten finden, dass das in Dresden meist auf taube Ohren stößt.
    "Wir hören so viele schreckliche Meldungen und nehmen sie nicht mehr richtig ernst. Und ich glaube, da müssen wir uns auch als Gesellschaft fragen, wie hart wir geworden sind."
    Asyltelefon, Willkommensinitiative und Schweigeminute. Es sind kleine Schritte. Aber sie zeigen, dass einige Dresdener auch anders über Flüchtlinge denken als es Montag für Montag auf Pegida-Kundgebungen gefordert wird.