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Duma-Wahl
Kulturelite gespalten in Unterstützer und Kritiker Putins

Morgen wählt Russland ein neues Parlament. Und vermutlich wird sich am Machtgefüge nichts ändern, Putin und seine Mannschaft sitzen fest im Sattel. Nach den Fälschungen bei der Parlamentswahl 2011 war der Protest der Kulturszene gegen die Herrschenden enorm. So euphorisch und geeint wie damals sind die Künstler und Autoren dieses Mal nicht.

Von Gesine Dornblüth | 17.09.2016
    Der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski protestiert mit zugenähtem Mund im Juli 2012 vor der St. Petersburger Kazan Kathedrale gegen die Verhaftung von Pussy Riot.
    Der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski protestiert mit zugenähtem Mund im Juli 2012 vor der St. Petersburger Kazan Kathedrale gegen die Verhaftung von Pussy Riot. (Imago/Eastnews)
    Boris Akunin, einer der am meisten gelesenen Schriftsteller Russlands, lebt heute in Frankreich. Doch zu den morgigen Parlamentswahlen in Russland will er nicht schweigen. Er werde für die liberale Opposition stimmen, auch wenn diese kaum Chancen habe, in die Duma einzuziehen, teilte er auf Facebook mit. Und rief seine Leser auf, gleichfalls zur Wahl zu gehen.
    "Das ist eine Art Vertrauens- oder Misstrauensvotum gegenüber der Macht, die sich seit Beginn des Jahrhunderts nicht ändert. Uns werden die Ohren verstopft mit den 86 oder wie viel noch gleich Prozent Zustimmung zum Diktator. Die Wahlen sind ein hervorragendes Mittel, um zu überprüfen, ob dieser Wert stimmt. ‚Einiges Russland‘ ist die Partei Putins. Alle, die für eine andere Partei stimmen, zeigen, dass sie Veränderungen wollen."
    Kremltreue setzten Autor Akunin auf eine Liste von "Vaterlandsverrätern"
    Veränderungen – dafür hatte der sonst relativ öffentlichkeitsscheue Schriftsteller nach der letzten Dumawahl 2011 und der Rückkehr Putins ins Präsidentenamt 2012 gekämpft. Er hatte in Moskau Proteste organisiert, auf Bühnen gesprochen. Als das Regime Demonstrationen verbot, verabredete er sich mit einem Dutzend anderer Schriftsteller zu einem literarischen Spaziergang durch Moskaus Innenstadt und lud seine Leser ein. Es kamen Tausende. Kremltreue Gruppen setzten Akunin auf eine Liste angeblicher "Vaterlandsverräter". Er zog die Konsequenzen, nach Moskau möchte er vorerst nicht zurück.
    Auch die Schauspielerin und Fernsehmoderatorin Tatjana Lasarewa setzte sich nach der letzten Dumawahl für Veränderungen ein.
    "Es war eine mitreißende Zeit. Damals nur zuzuschauen, war unmöglich. Wir waren auf den Straßen, auf den Plätzen, wir sahen: Es gibt Leute, Gleichgesinnte, sie sind bereit - und dann musste es irgendwie weiter gehen. Aber das wurde uns nicht mehr gestattet."
    Die Sendung der Moderatorin Lasarewa wurde abgesetzt
    Lasarewa trat einem Koordinationsrat bei, der die oppositionellen gesellschaftlichen Gruppen bündeln wollte. Dafür wurde sie bestraft, so sieht sie es. Ihre Sendung wurde abgesetzt, da halfen weder ihre Popularität noch die hohen Einschaltquoten. Seitdem hat Tatjana Lasarewa kein einziges Angebot von großen russischen Fernsehkanälen erhalten.
    "Natürlich hat nie jemand gesagt: Du kannst nicht mehr auftreten, weil du eine Schwelle übertreten hast. Viele Freunde, die noch bei Fernsehen arbeiten, haben sich für mich eingesetzt. Später haben sie mir gesagt: Du hast recht, wir stoßen nur auf Widerstand. Immer heißt es, lasst uns jemand anderen suchen."
    Die Kulturelite ist gespalten wie die gesamte russische Gesellschaft. In Anhänger Putins und seine Gegner. Nach der Annexion der Krim kursierten Unterschriftenlisten mit Ehrerbietungsadressen an Putin. Das PEN-Zentrum versuchte dagegenzuhalten. Die Schriftstellerin Ljudmila Ulizkaja steht auf der Seite der Putin-Kritiker, hat aber Verständnis für die anderen Künstler.
    "Die Leute, die im Theater, im Kino, im Konzertbereich arbeiten, müssen mitunter solche Briefe unterzeichnen, um ihr Kollektiv zu schützen. Ich bemitleide diese Leute einfach. Leider ist unsere Gesellschaft heute so beschaffen. Angst und Unsicherheit sind verbreitet. Die Stimmung in der Gesellschaft ist depressiv und apathisch."
    Landesweit treten mehrere Dutzend junge Leute an
    Auch Ulizkaja wird ihre Stimme der liberalen Opposition geben. Landesweit treten mehrere Dutzend junge Leute an, überwiegend Politik-Neulinge. Viele sind aus der Protestbewegung hervorgegangen. Bei der Open Russia Stiftung des Oligarchen Michail Chodorkowskij, die einige unabhängige Kandidaten unterstützt, motiviert man einander mit der Geschichte des Pianisten Rudolf Kehrer. Er kam als junger Mann unter Stalin in den Gulag. In der Haft malte er Tasten auf ein Brett und übte stumm, dreizehn Jahre lang. Nach seiner Freilassung wurde er ein gefeierter Konzertmusiker. So ähnlich heißt es, übten auch die Oppositionskandidaten vorerst stumm und warteten auf den großen Augenblick in ein paar Jahren. Ljudmila Ulizkaja ist optimistischer.
    "Manchmal passiert ja Unerwartetes. Ich hoffe, dass die Opposition schon jetzt etwas mehr Gewicht bekommt."