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Dunkle Geschäfte im Schatten des Vatikans

Experten mahnen den Vatikan seit langem, die Vielzahl der religiösen Orden Italiens genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Vorwurf: Die Organisationen werden ohne Wissen der Kirchenzentrale und auch der Ordensoberen für undurchsichtige Geschäfte genutzt.

Von Thomas Migge | 03.07.2013
    Am 30. November 2011 gelang es der italienischen Anti-Mafia-Polizei – und alle Medien berichteten ausführlich darüber –, einige Richter, Regionalpolitiker und Unternehmer zu verhaften, die mit der ‚ndrangheta unter einer Decke steckten.

    "‘ndrangheta, so nennt man in der süditalienischen Region Kalabrien die organisierte Kriminalität, die Mafia. Die Bosse der ‘ndrangheta machen mit dem Handel von Drogen und Waffen, mit dem illegalen Verkippen von Müll und anderen Delikten mehr Geld als die Cosa Nostra auf Sizilien, die Santa Corona Unita in Apulien und die Camorra im Großraum Neapel."

    Einer der am 30. November Verhafteten heißt Giulio Lampada. Der 42-jährige Boss aus Kalabrien wusch massenweise Gelder aus schmutzigen Geschäften sauber, so die ermittelnde Staatsanwaltschaft. Das heißt: Er führte diese Gelder in den regulären Geldkreislauf ein. Vermutlich auch, so die Ermittlungsbehörden, im Vatikan und mit Hilfe des päpstlichen Geldinstituts IOR.

    Giulio Lampada ist aber nicht nur Boss der kalabresischen Mafia, sondern auch, so der offizielle Titel, "Cavaliere" des "Ordine Pontificio di San Silvestro Papa", zu Deutsch: des Päpstlichen Ordens des heiligen Papstes Silvester.

    Ein bemerkenswerter Umstand, sagt der Vatikanjournalist Gianluigi Nuzzi:

    "Ich weiß nicht, warum diesem Mann so sehr daran gelegen war, diese Auszeichnung zu erhalten. Wir dürfen aber nie vergessen, dass sich die meisten Mafiabosse, trotz allem, als gute Katholiken begreifen, die im Papst ihren Heiligen Vater sehen. Viele Bosse und andere kriminelle Personen haben die Hoffnung, in den Genuss einer solchen Auszeichnung zu gelangen."

    Es handelt sich um Mitgliedschaften in religiösen Orden, die den Segen des Vatikans besitzen. So wurde der Mafiaboss Lampada im August 2009, zusammen mit 18 anderen Personen, zum Kavalier des Ordens des heiligen Papstes Silvester ernannt. Auf die Anfrage der italienischen Ermittler, weshalb man einen seit Jahren im Verdacht der Mafia stehenden Mann mit einer so hohen Ehre ausgezeichnet habe, kam bisher aus dem Kirchenstaat als Antwort nur Schweigen.

    Lupenreine Mafiosi als Ritter der katholischen Kirche sind eher eine Seltenheit. Vor allem Unternehmer und Geschäftsleute sowie Politiker wurden und werden zu Cavallieri ernannt – darunter auch viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Italien, die später als kriminell und korrupt überführt wurden.

    Gianluigi Nuzzi:

    "Paul Marcinkus, in den Achtzigerjahren als korrupt überführter Präsident der Vatikanbank IOR, sagte einmal, dass man die Geschäfte der Kirche nicht mit einem Ave Maria führen könne. Er hatte sicherlich recht, aber nachweislich betrieb man, und nicht nur unter Marcinkus, undurchsichtige Geschäfte mit unlauteren Personen. Nicht wenige davon würdigte man mit hohen kirchlichen Auszeichnungen. Personen, die nicht nur Gutes taten."

    Der Päpstliche Orden des Heiligen Silvester, Ordo Sanctus Silvestri Papae, ist ein Ritterorden des Heiligen Stuhls. 1905 wurde er von Papst Pius X. geschaffen. Die höchste Auszeichnung dieses Ordens erhalten, so steht es in den Bestimmungen, Katholiken, die sich besonders aktiv für ihre Kirche einsetzen. Ausgezeichnet wurden in der Vergangenheit Persönlichkeiten wie der deutsche Unternehmer Oscar Schindler, der Hunderten von Juden das Leben rettete. Genauso wie William Joseph Donovan, Gründer des CIA, und der Schauspieler Bobe Hope.

    Jedes Jahr ernennt ein weiterer Orden – der "Ordine equestro del Santo Sepolcro di Gerusalemme", der Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem, während eines feierlichen Gottesdienstes seine neuen Mitglieder, wie hier im Dom von Cosenza in Kalabrien. Sie werden mit dem traditionellen Gewand des Ordens bekleidet.

    Die im 19. Jahrhundert gegründete römisch-katholische Ordensgemeinschaft begreift sich als Wiederbelebung des bereits im 11. Jahrhundert in Palästina gegründeten Ritterordens vom Heiligen Grab. Ritter darf werden, wer sich der Gemeinschaft der Kirche gegenüber besonders verpflichtet hat.

    Auch dieser Orden geriet immer wieder durch Mitglieder ins Zwielicht. Für besonderes Aufsehen sorgte die Mitgliedschaft von Licio Gelli, einer der undurchsichtigsten Persönlichkeiten der italienischen Nachkriegsgeschichte. In den späten Siebzigerjahren war Gelli Chef der rechtsradikalen Loge Propaganda Due, P2, die einen Umsturz in Italien plante. Wie konnte so jemand Mitglied dieses Ritterordens werden? Ferruccio Pinotti, Vatikanexperte der Tageszeitung "Corriere della sera":

    "Seit Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Vatikan und jener, ich nenne sie, Lobby Gottes, zu der religiöse Orden und ihre Beziehungen zur Mafia, zur Kriminalität und zu korrupten Geschäftsleuten gehören. Da existiert eine Vielzahl von Organisationen, die meiner Meinung nach von der Amtskirche genauer kontrolliert werden sollten, damit sich keine peinlichen Mitglieder dort einschleichen. Hier ist eine kirchliche Lobby okkulter Macht entstanden."

    Dazu scheint auch der Orden der Cavalieri di Mata ad honorem zu gehören, eine im 15. Jahrhundert im kalabresischen Catanzaro entstandene Bruderschaft, die mit dem Orden der Malteserritter nichts gemein hat. Eine katholische Bruderschaft, die historisch in Kalabrien verwurzelt ist, in einer Region, die in weiten Teilen fest in der Hand der ‘ndrangheta ist. Der Erzbruderschaft gehörte auch Don Franco Mondellini an, ein Pfarrer, der sich nicht nur um seine Gemeinde kümmerte, sondern auch für lokale Bosse als Drogenkurier arbeitete. 1991 wurde der Geistliche verhaftet. Er war auf dem Weg nach Paris – mit drei Kilogramm Kokain im Gepäck.

    Ins Zwielicht gerät jetzt auch der "Heilige konstantinische Militärorden des Heiligen Georg", eine erzkonservative Ordensgemeinschaft, der Carlo di Borbone vorsteht, der Nachfahr des letzten Königs von Neapel und Sizilien. Dieser Gemeinschaft gehört auch Monsignor Nunzio Scarano an, der vor wenigen Tagen wegen vermutlicher Geldwäsche von der italienischen Polizei verhaftet wurde. Scarano war im Kirchenstaat verantwortlich für den Immobilienbesitz des Vatikans. Der Fall Scarano ging durch die internationalen Medien. Der Militärorden des Heiligen Georg, dem Scarano angehört, ist auch dafür bekannt, weitere Mitglieder wie zum Beispiel Silvio Berlusconi zu haben, die immer wieder ins Gerede kommen und gegen die ermittelt wird.

    Journalisten wie Ferruccio Pinotti sind aufgrund zahlreicher Ermittlungen der letzten Jahre davon überzeugt, dass viele religiöse Orden in Italien von Kriminellen als Kontaktbörsen genutzt werden. Eine Mitgliedschaft in einem solchen Orden, so Pinotti, sei gern gesehen, nicht zuletzt um über die Vatikanbank IOR Geld aus schmutzigen Quellen zu waschen. In fast allen Fällen, so Pinotti, würden religiöse Orden ohne Wissen der Kirchenzentrale und auch der Ordensoberen für undurchsichtige Geschäfte genutzt.