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Ehehölle auf der Bühne

Es sind die privaten Höllenqualen einer Ehe, die Lars Norén in "Dämonen" schildert. An der Berliner Schaubühne inszeniert Regisseur Thomas Ostermeier gekonnt das Ehedrama voller narzisstisch Gestörter, die jedes qualvolle Zusammensein einer ehrlichen Einsamkeit vorziehen.

Von Eberhard Spreng | 03.03.2010
    Es ist wieder ein schicker Innenraum, eine gestylte Innenwelt wie aus einem David Lynch Film, in dem Thomas Ostermeier seine Paar-trifft-Paar-Orgie einrichtet. Ein Spielpodest auf einer Drehbühne, in deren Mitte in einem Glaskasten ein weißes Rennrad ausgestellt ist.

    Auf diesem Hometrainer strampelt Frank täglich 40 Kilometer, manische Bewegung, ein Wegradeln auf der Stelle, in dem sein ganzes Drama zum Ausdruck kommt: Emotional von seiner Mutter nicht losgekommen, ist er zu einer wirklichen Beziehung mit Katarina nicht in der Lage. Nun, an dem Tag vor der Beisetzung der geliebten Mutter, ist er mit ihrer Asche in einer Urne nach Hause gekommen. Gelegentlich sehen wir Lars Eidingers stieren und irgendwie Unheil verheißenden Blick, der aus dem Geschehen in eine abgründige Leere führt. Sehr minutiös ausgetüftelte Videobilder doppeln solche Details als Projektionen auf zwei grauen Wände der spärlich eingerichteten modernen Wohnung. Die so verbreitete Technik steht hier einmal wirklich im Dienste des Spiels und ist keine mediale Ersatzhandlung.

    In zauberhaften Vexierbildern dreht sich die Bühne bisweilen in einer Vielzahl solchermaßen aufgesplitterter Bilder. Es liegt, rund 25 Jahre nach der deutschen Erstaufführung des Stücks, ein melancholischer Schleier über den von Norén dereinst in sehr derben Strichen gezeichneten Qualritualen.

    "Du bist besser. Ich bin schlechter. Du bist viel intelligenter als ich. Du kommst viel besser mit deinem Geld zurecht als ich. Deine Muschi ist viel schöner als meine. Es ist mir egal, Frank, es ist mir egal."

    Vor allem Brigitte Hobmeier gelingt es immer wieder, hinter den längst langweilig gewordenen Verletzungsritualen ein wirkliches Leiden, eine leise Verzweiflung anzudeuten. Sie ist, nach Anne Tismer als Nora und Katharina Schüttler als Hedda Gabler, die dritte große weibliche Leidensfigur in Ostermeiers Theater der privaten Höllenqualen. Und hier ist sie eine Lifestyle-Gefangene, die noch jede Erniedrigung kontert mit einem neuen Spielzug. Natürlich schimmerte bei Norén immer wieder das große Vorbild, Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" durch, aber Thomas Ostermeier lässt die orgiastische Entgleisung voller verquerer sexueller Übergriffe in eine zutiefst deprimierende Ödnis münden.

    Nachdem sich Katharina einen Indianerkopfschmuck angelegt hatte und damit auf dem sexuellen Kriegspfad Jagd auf den Nachbarn Thomas gemacht hatte, und nachdem Frank ihr die Asche seiner Mutter über das lange rotblonde Haar geschüttet hatte, quält sie sich in einem hoffnungslosen Beischlafversuch mit dem mittlerweile völlig betrunkenen Thomas herum. Wo der Autor mit einer Kreuzigung des Muttersöhnchens Frank ein krasses symbolistisches Ende vorgesehen hatte, öffnet Ostermeier das Stück für eine weitaus realistischere Unendlichkeit in der Beziehungshölle.

    Neben Brigitte Hobmeier und Lars Eidinger, die das kinderlose Yuppiepärchen spielen, treten Eva Meckbach und Tilman Strauß als gestresste Eltern vom Stockwerk darunter auf, irgendwie etwas naive Späthippies, die, ungeschult im offenen Geschlechterkampf, einen Berg verdrängter Frustrationen mit sich herumschleppen.

    Je aggressiver Frank auf seine Frau und seine Nachbarn losgeht, umso unerreichbarer wird er für deren Hilfe. Am Ende steht Lars Eidinger im Parka hinter seinem gläsernen Fitness-Sanktuarium und schaut auf die zerstörte Innenwelt seiner Beziehung und die am Boden liegende Katarina wie ein gefährlicher und unberechenbarer Psychopath hinter einer Fensterscheibe, ein Voyeur in eigener Sache.

    Es wäre etwas zu banal, diese hochkonzentrierte Arbeit einfach nur als einen Kommentar zum Rückzug ins Private und die Familie zu werten, der in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatte allzu dummselig aufgehübscht wird. Aber zehn Jahre nachdem die Schaubühne sich mit Ostermeier und Lars Noréns offenkundig sozialkritischem "Personenkreis 3.1" neu erfand, geht der Blick mit diesen "Dämonen" heute eben doch auch auf einen Kampfplatz voller narzisstisch Gestörter, die noch jedes qualvolle Zusammensein einer ehrlichen Einsamkeit vorziehen würden.

    Es geht um Leute, die den Blick der Anderen, den Auftritt, das private Theater brauchen wie die Luft zum Atmen und koste es die eigene psychische Gesundheit. Und das ist auf neue Art und Weise hochaktuell.