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Ehrendoktor
Nicht jeder Doktorhut sitzt auf einem ehrbaren Kopf

Die Aufarbeitung von belasteten Ehrenpromotionen aus dem Dritten Reich und aus der DDR-Zeit ist ein weitgehend unerforschtes Gebiet. Die Universität Halle-Wittenberg beschäftigt sich nun mit ihren zweifelhaften Ehrenauszeichnungen, aber auch mit den damaligen Opfern im Wissenschaftsbetrieb.

von Christoph Richter | 29.11.2018
    Ein Doktorhut
    Ehrenpromotionen in den Diktaturen trafen oft die Falschen (dpa/picture alliance/Uni Jena)
    "Man sei sich bewusst, dass an den deutschen Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts auch Persönlichkeiten der Ehrendoktor-Titel verliehen worden ist, deren wissenschaftliches, gesellschaftliches und politisches Verhalten demokratischen Maßstäben widerspricht."

    Heißt es wörtlich in einer Mitteilung des Akademischen Senats der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Rektoratskommission zur Aufarbeitung der Universitätsgeschichte in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts solle zweifelhafte Ehrenpromotionen wissenschaftlich untersuchen und einen Umgang damit finden. Unterschrieben ist der Auftrag durch den Rektor und Völkerrechtler Christian Tietje, der sich derzeit dazu aber nicht äußern will. Stattdessen wird Kirchenhistoriker Friedemann Stengel vorgeschickt, der Vorsitzende jener Geschichts-Kommission.
    "Für mich ist das ein ganz wesentlicher Bestandteil der Herstellung einer bzw. der Konstruktion einer kritischen corporate identity."
    Ehrenpromotionen in den Diktaturen waren immer auch politische Akte
    Friedemann Stengel ist so etwas wie der Chefaufklärer an der Uni Halle. Weil es keine universitäre Gesamtübersicht gebe, wisse man wenig über belastete Ehrendoktoren, ergänzt Stengel. Einer der bekannten Namen ist der von August von Mackensen. Heute relativ unbekannt, in den 30er-Jahren kannte den Heerführer des 1. Weltkriegs, Monarchisten und Hitler-Bewunderer jedes Kind.
    "Wir wissen natürlich, dass es in beiden Diktaturen – vor 1945 und nach 1949 bis 1989 – Ehrenpromotionen gegeben hat. Alle dieser Fälle wurden damals politisch geprüft, bejaht, verneint oder politisch initiiert. Ehrenpromotionen waren in diesen Diktaturen immer auch politische Akte gewesen. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Staat Einfluss darauf genommen hat. Was nicht heißt, dass alle Ehrenpromovierten von vornherein belastet wären."
    Eigene Geschichte kritisch aufarbeiten
    2012 hat der frühere Rektor der Uni Halle-Wittenberg Udo Sträter die Historiker-Kommission ins Leben gerufen.

    "Eine Universität kann den Ort produktiven und kritischen Denkens nur dann einlösen, wenn sie ihre eigene Geschichte kritisch in den Blick nimmt."
    Als ersten Akt hat man die zwischen 1933 und 1945 entlassenen Hochschullehrer recherchiert. In einem bewegenden Festakt – in Anwesenheit der Angehörigen, die extra aus den USA und Israel gekommen waren – wurden 2013 23 Betroffene geehrt.

    John F. Rothmann ist der Nachfahre des jüdischen Internisten Hans Rothmann, dem die Nazis 1933 die Lehrerlaubnis entzogen und anschließend aus der Uni Halle vertrieben haben. Rothmann konnte fliehen, 1970 starb er in San Francisco.
    Unrecht wiedergutmachen
    Jetzt will die Rektoratskommission der Uni Halle auch die Zeit der DDR angehen. Sich den Lebensläufen von Menschen widmen, die den SED-Machthabern missliebig waren, die aus dem Universitätsbetrieb vertrieben wurden und denen somit auch eine akademische Karriere verwehrt wurde. Auch hier bestehe dringender Nachholbedarf. Ohne jedoch – wie Stengel betont - die beiden Diktaturen zu relativieren.
    Nach unseren Recherchen kein einfaches Unterfangen. Denn es gab große Bedenken an der Uni Halle seitens früherer Mitarbeiter aus DDR-Zeiten, die es nicht wollten, dass an der Zeit zwischen 1949 und 1989 gerührt wird.

    Über 200 Fälle politischer Verfolgung an der Universität Halle
    "Die Gründe politischer Verfolgung reichen von studentischen Streichen bis hin zu Verweigerungen in Militär- oder Zivilverteidigungslagern. Entscheidend war, dass immer wieder Exempel statuiert wurden, an Einzelnen oder an Gruppen. Um die Anpassungsbereitschaft der Mehrheit zu fördern. Aber auch um zu verhindern, das Solidarisierungen mit Widerstandsakten geschehen."
    Nach Angaben von Aufklärer Stengel wisse man aktuell von über 200 Fällen politischer Verfolgung, an Studierenden, Professoren und Mitarbeitern der Universität Halle.
    Universitäten sträuben sich gegen Aufarbeitung
    Gerne hätten wir auch mit anderen Hochschulen in Sachsen-Anhalt über die Aufarbeitung hinsichtlich belasteter Ehrenpromotionen gesprochen. Doch hier sträubt man sich – beispielsweise an der Hochschule Merseburg oder der Universität Magdeburg - über die vergangenen Zeiten zu sprechen. Und verweist lediglich darauf, dass die Institutionen nach 1991 neu gegründet worden seien. Wobei verdrängt wird, dass man Rechtsnachfolger der aus DDR-Zeiten stammenden akademischen Lehranstalten ist.