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Ein Abhaken der Fakten

Zu keinem Zeitpunkt sensationslüstern oder spekulativ ist Sherry Hormanns Verfilmung der Entführungsgeschichte von Natascha Kampusch. Und doch fehlt der Inszenierung etwas, das den Horror begreifbar macht.

Von Josef Schnelle | 28.02.2013
    "Bereits eine Woche suchen Polizeikräfte nach dem Mädchen, dass seit dem 21. März vermisst wird. Trotz unermüdlichem Einsatzes der Suchtrupps blieb die bisherige Suche ergebnislos. Natschas Mutter äußerte gegenüber der Presse, sie habe alle Hoffnung aufgegeben."

    Natascha Kampusch wurde 1998 mit zehn Jahren von dem arbeitslosen Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil entführt und achteinhalb Jahre lang in einem Wiener Vorort in eine karge Kellerzelle gesperrt. Als ihr 2006 die Flucht gelang, warf sich der Entführer vor einen Zug. Das ist der sensationelle Kriminalfall. Dies ist nun die Verfilmung der Aufzeichnungen Natascha Kampuschs selbst die sie 2010 veröffentlichte und die noch der inzwischen verstorbene Bernd Eichinger realisieren wollte. Die Deutsch-Amerikanerin Sherry Hormann übernahm die Regie nach dem unvollendeten Drehbuch des deutschen Medienmoguls mit dem Gespür für gute Stoffe. Dies ist also gewissermaßen der offizielle Film, die authentische Innenansicht der Geschichte. In ihrem Verließ musste Natascha Kampusch die Fakten akzeptieren und Überlebensstrategien entwickeln.

    "Ich muss die Tage zählen. Eins, zwei drei."

    Wolfgang hat das kleine Mädchen entführt, um über eine Sklavin zu verfügen. Er ist kontaktscheu und wird von einer Mutter dominiert, die ihm auch schon einmal das Essen für drei Tage kocht und jeden kleinen Flecken sofort wegwischt. Im Keller muss sich derweil das kleine Mädchen an die Willkürherrschaft ihres Entführers gewöhnen. "Gehorche!" brüllt er unablässig über die Gegensprechanlage und macht der Kleinen klar, dass sie keine Chance hat, aus ihrem schalldicht abgeschlossenen Gefängnis zu entkommen Manchmal schlägt er sie und verweigert ihr tagelang das Essen.

    "Sag irgendwas. Bitte. Ich will jetzt was zu essen. Ich warte schon vier Tage. Willst Du mich hier unten verhungern lassen.?"

    Natascha soll alle Verbindung zur Welt da draußen verlieren. Deshalb gaukelt er ihr sogar vor, dass ihre Eltern sich weigern, Lösegeld zu zahlen. In Wahrheit hat er keinen Versuch in dieser Richtung unternommen. Er will sich aus dem Kind eine Frau erschaffen - mit gebrochenem Willen und nach seinen Wünschen. Eine gute Entscheidung war es, den Film mit gänzlich unbekannten Hauptdarstellern zu besetzen. So hat man insbesondere bei der heranwachsenden Natascha Kampusch dargestellt durch die bisher kaum bekannte Antonia Campbell-Hughes nie irgendwelche mitschwingenden Erinnerungen an andere Auftritte. Und auch die Zwischentöne der Wandlung des Herr und Sklavin-Verhältnisses kommen zum Zuge. Wenn Priklopil die junge Frau zu sich in seine Wohnung holt, dann spürt sie, dass sie immer mehr Macht über ihn bekommt.

    "Du bist genauso an mich gefesselt wie ich an dich."

    Sherry Hormanns Film ist subtil und geschmackvoll inszeniert, zu keinem Zeitpunkt sensationslüstern oder spekulativ. Irgendetwas fehlt dennoch. Nennen wir es eine zweite Ebene. Seltsam interesselos ist das alles gefilmt. Alles wird abgehakt, was man so weiß. Wir verstehen alles und jeden. Was gerade bei einem solchen Film kontraproduktiv ist. Eine Spur Dämonie und Wahnsinn oder Rätsel hätte der Sache gut getan. Schließlich ist Priklopil kein weniger schlimmer Schurke als Hannibal Lecter in "Das Schweigen der Lämmer". Thure Lindhardt als Wolfgang Proklopil traut man in keinem Moment zu, das Monster zu sein, das er tatsächlich ist. Aber ein Nosferatu-Frankenstein-Film sollte das ja auch nicht werden. Hätte er aber sein müssen, um über den Tellerrand des biederen Dokudramafernsehspiels hinauszugelangen. In Gefahr und höchster Not ist der Mittelweg der Tod.