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Ein Ende ohne Reue

Der im Alter von 91 Jahren gestorbene frühere chilenische Diktator Augusto Pinochet ist in der Hauptstadt Santiago aufgebahrt worden. Zwar wird er kein Staatsbegräbnis bekommen, doch soll ihm die Ehre wie einem früheren Armeechef zukommen. Nicht in aller Augen war er ein brutaler Diktator.

Von Brigitte Baetz | 11.12.2006
    "”Angesichts der extremen wirtschaftlichen und moralischen Krise, die das Land zu zerstören droht, und angesichts der Unfähigkeit der Regierung, diesen Prozess aufzuhalten, wird der Präsident aufgefordert, seine Macht sofort abzugeben. Die Streitkräfte stehen bereit für die historische Aufgabe, Chile vom Joch des Marxismus zu befreien. Gezeichnet: General Augusto Pinochet Ugarte, Oberbefehlshaber des Heeres.""

    Chile am 11. September 1973: Das Militär unter General Pinochet hat die Macht im krisengeschüttelten Land übernommen, den demokratisch gewählten Staatschef Salvador Allende gestürzt, mutmaßlicherweise auch getötet. Panzer beherrschen das Stadtbild von Santiago de Chile, die Gegner der neuen Machthaber werden gnadenlos verfolgt, verschleppt, gefoltert, ermordet.

    Tausende Menschen werden in der Folgezeit Opfer der Militärs und ihres Generals Pinochet. Die Welt zeigt sich erschüttert, nicht nur wegen der Brutalität des Putsches, der mit Zustimmung und Unterstützung des amerikanischen Geheimdienstes CIA durchgeführt wurde, sondern auch, weil das chilenische Experiment eines demokratischen Marxismus nach nur knapp dreijähriger Dauer mit Gewalt sein Ende fand. Dabei war es durchaus schon gescheitert, bevor das Militär putschte.

    Das gutherzige Versprechen Allendes, mit einem umfangreichen Verstaatlichungs- und Sozialisierungsprogramm die Wirtschaft in Chile auf eine sozial gerechte Grundlage zu stellen, mislang wegen selbstgemachter Fehler, innenpolitischer Polarisierung und dem Widerstand des um seine Existenz fürchtenden bürgerlichen Mittelstandes, der mit Hilfe von Streiks die Infrastruktur des Landes und die wirtschaftliche Versorgung lahm legte. Allende selbst hatte die ideologisch gespaltene Linke nicht im Griff und ließ direkte Landnahmen revolutionärer Gruppen zu. Gleichzeitig begann er mit der Verstaatlichung von Industriebetrieben, ohne die gesetzliche Grundlage dafür zu besitzen. In dieser zugespitzten Situation ernannte Allende, obwohl er vorgewarnt worden war, am 25.August 1973 Augusto Pinochet Ugarte zum Chef des Heeres. Er wusste nicht, daß er sich damit den Mörder ins eigene Haus geholt hatte.

    Der aus einer gutbürgerlichen Familie Valparaisos stammende Pinochet war ein Militär durch und durch. Schon mit 21 war der Musterschüler Leutnant im Heer, später wechselte er immer wieder zwischen Tätigkeiten an Kriegsschulen und -akademien und dem aktiven Dienst in der Armee. Besonders gute Kontakte besaß er in die USA, deren Politik und Industrie nicht an einem sozialistischen System im rohstoffreichen Land Chile interessiert waren. Am Tag des Putsches konnten die Chilenen zum ersten Mal die Stimme ihres neuen starken Mannes im Radio vernehmen, als er Vertretern von Marine, Luftwaffe und Polizei den Amtseid abnahm.

    Nicht nur linke Gruppen bekamen die harte Hand Pinochets sofort zu spüren. Die politische Repression umfasste auch das bürgerliche Lager: Alle Parteien wurden nach und nach verboten. Die Universitäten wurden gesäubert und die Pressezensur eingeführt. Obwohl die Militärjunta in ersten Erklärungen versprochen hatte, dass die sozialen Errungenschaften von Arbeitern und Angestellten nicht angetastet werden würden, zerschlug das neue Regime die Gewerkschaften, annullierte alle Tarifverträge und privatisierte das Sozialversicherungssystem. Mit Gewalt sollte eine reine und freie Marktwirtschaft in Chile eingeführt werden. Das ökonomische Chaos aber wurde dadurch zunächst nicht beseitigt - im Gegenteil.

    Die repressive Innenpolitik und die Menschenrechtsverletzungen auch an ausländischen Staatsbürgern, die in Chile lebten, schreckten internationale Investoren ab. Die Militärjunta isolierte sich zusätzlich selbst, als sie aus dem Gemeinsamen Andenmarkt ausscherte und ihre reichen Rohstoffvorkommen wie zum Beispiel Kupfer im Alleingang auf dem Weltmarkt anbot. General Pinochet, der in der Tradition der Militärputschisten aller Länder behauptete, mit seinem Staatsstreich einem Bürgerkrieg zuvorgekommen zu sein, war international persona non grata. Nicht nur amnesty international hatte Chile dauerhaft im Visier. Über den Charakter des neuen Regimes machte man sich in der Weltöffentlichkeit wenig Illusionen. Helmut Frenz war in den 70er Jahren Bischof der lutherischen Kirche in Chile, Augenzeuge und Ankläger der Militärherrschaft:

    "”In dieser Eigenschaft bin ich auch gemeinsam mit dem katholischen Bischof Fernando Arristia Vorsitzender eines Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte gewesen. Dieses Komitee hat sich um die Opfer bemüht, wir haben den Angehörigen versucht zu helfen, aber wir haben vor allen Dingen auch die Verbrechen, die begangen worden sind, sehr akribisch registriert, wir haben sie auch dokumentiert und sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass vor allen Dingen drei Grausamkeiten praktisch zum System geworden war: einmal, dass der Geheimdienst DINA die Opfer, die in seine Hände fielen, grausamst gefoltert hat, zweitens, dass sehr viele in den Fängen des Geheimdienstes einfach verschwunden waren, als hätte die Erde sie verschluckt, und drittens, dass auch viele Menschen ganz einfach erschossen wurden, also ermordet worden sind ohne jedes Gerichtsverfahren.

    Und da sind wir am 13.November 1974 zu Pinochet gegangen und haben ihm eine Dokumentation direkt vorgelegt, haben mit ihm darüber dann geredet, und er hat die Dinge, die wir ihm vorgetragen haben und die wir beklagt haben, nicht bestritten, sondern im Gegenteil: Er stand zu diesen Greueltaten und hat sie verteidigt und gerechtfertigt. Ich habe wörtlich noch zitieren können, wie er sagte, das chilenische Volk ist vom Bazillus des Kommunismus befallen, der Kommunismus muss ausgerottet werden, deshalb müssen die Kommunisten bei uns in Chile auch gefoltert werden, sonst singen sie nicht.”"

    Entgegen der Erwartungen vieler Befürworter des Putsches strebte die vierköpfige Militärjunta keine kurzfristige Zwischenlösung an, sondern wollte eine vollkommen neue chilenische Gesellschaftsordnung. Sie richtete sich also nicht nur gegen die Regierung Allende. Auch die Politik des sozialen Ausgleichs und der Einmischung des Staates in die Wirtschaft, wie sie seit 1938 in dem Andenstaat mit wechselndem Erfolg von verschiedenen demokratischen Parteien versucht worden war, wurde als dekadent und gescheitert abgetan.

    Die Diktatur verschaffte sich mit so genannten Verfassungsakten eine legalistische Grundlage. Die oberste Regierungsgewalt, die zunächst bei den Chefs der drei Waffengattungen und der Polizei gelegen hatte, ging erst nach und nach auf Pinochet über. Nach dem Vorbild des spanischen Caudillos Franco versuchte er sich als harte, aber gerechte Vaterfigur eines katholischen Ständestaates zu etablieren. Hauptwaffe im Kampf gegen jede Art von Opposition war die Geheimpolizei DINA, die gefürchtete Dirección de Intelligencia Nacional. ”In Chile bewegt sich kein Blatt, ohne dass ich es weiß”, rühmte sich der Diktator. Die Wahl des Moralisten Jimmy Carter zum amerikanischen Präsidenten zwei Jahre später stärkte jedoch die Kritiker Pinochets innerhalb der chilenischen Generalität.

    Als dann noch der ehemalige Außenminister Allendes, Orlando Letelier, im Washingtoner Exil einem Attentat zum Opfer fiel, drängte die US-Regierung auf eine Demokratisierung Chiles. Die offenkundige Verstrickung von Geheimdienstchef General Contreras in den Mordanschlag erwies sich immer mehr als Belastung für Pinochet. Im Januar 1978 trat er deshalb die Flucht nach vorn an. Im Alleingang entschied er über eine Volksbefragung. 75 Prozent der Bevölkerung im von sämtlichen demokratischen Strukturen gesäuberten Land stimmten mit Ja zu seinem Regime. Trotz dieses Etappenerfolges für die Militärjunta bedeutete diese Volksbefragung jedoch auch den Neubeginn einer Art innenpolitischer Debatte, der ersten seit 1973.

    Falsch wäre allerdings der Eindruck, eine Mehrheit der Chilenen habe allein aus Angst vor Repressalien für Pinochet gestimmt. Es gab und gibt bis heute viele, die die Law-and-Order-Politik des Juntachefs für richtig befanden und unterstützten.

    Mit den Schlagworten Nationalismus, Disziplin und Marktwirtschaft zementierte Pinochet seine Herrschaft. Mit einer neuen Verfassung versuchte er sich einen dauerhaften Einfluss auf die Politik des Landes zu sichern, auf jeden Fall jedoch die bestehenden Machtverhältnisse festzuschreiben. Sie erhielt einen quasi-demokratischen Anstrich durch eine umstrittene Volksabstimmung, in der die Chilenen die Verfassung mit 67 Prozent Ja-Stimmen annahmen.

    Die beherrschende Stellung des Militärs - von Pinochet mit materiellen Mitteln wohl versorgt - konnte jedoch nicht verhindern, dass mit Beginn der 80er Jahre die sozialen Konflikte zu eskalieren begannen. Auslöser war der wirtschaftliche Zusammenbruch des Landes, eine Folge von verfehlter Politik und der internationalen Schuldenkrise. Das Bankensystem Chiles brach zusammen, das reale Pro-Kopf-Einkommen lag um 3,5 Prozent, die industrielle Produktion gar um 25 Prozent niedriger als 1970. Die Arbeitslosigkeit betrug 1982 rund 30 Prozent.

    Die Bergarbeiter in den Kupferminen traten in den Streik, unterstützt auch von Teilen der Mittelschicht. Die Regierung nahm Kontakt auf mit den neu konstituierten Gewerkschaften und Parteien, um Zeit zu gewinnen. In den barrios jedoch, den Barackenstädten der Ärmsten, entwickelte sich eine Eigendynamik, die nur durch härteste Brutalität eingedämmt werden konnte. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen den pobladores"und der Polizei fanden 1984 18 Menschen an einem Tag den Tod. Eine auf breiter Basis organisierte politische Opposition kam trotzdem lange nicht zustande - zu stark waren die ideologischen Differenzen und innerparteilichen Fraktionskämpfe.

    Erst 1986 kam es unter der Vermittlung der katholischen Kirche zu einer Bewegung der Gewerkschaften und Berufsverbände, der Asamblea Cívica, der sich auch Christdemokraten und Kommunisten anschlossen. Gerade als es so aussah, als könnte die Opposition endgültig aus ihrer passiven Rolle heraustreten, gab die Regierung die Entdeckung umfangreicher Waffenlager bekannt und versuchte, die alten Ängste der Mittelschicht vor linksradikalem Terror für sich zu nutzen. Ein gescheiterter Anschlag auf Pinochet im September 1986 spielte dieser Taktik noch in die Hände: Die Opposition war demoralisiert, an einen Sturz des Diktators war nicht mehr zu denken. Alle Hoffnungen richteten sich nun auf den in der Verfassung vorgesehenen Volksentscheid für das Jahr 1988 - und sie sollten erfüllt werden.

    "”Landsleute, in meiner militärischen und politischen Karriere habe ich gelernt, den Willen des Volkes zu respektieren. Heute, in dieser historischen Stunde, bekräftige ich meine Verpflichtung, den empfangenen Auftrag zu erfüllen - ohne Zögern und mit allen Opfern, die er bedeutet.”"

    Ein geschlagener Pinochet bekennt seine Niederlage. Nur 43 Prozent der abgegebenen Stimmen für eine erneute Amtszeit des schon 73 Jahre alten Präsidenten, der auch innerhalb des Militärs nicht mehr unumstritten war. Das Commando por el No, ein Zusammenschluss von 16 nichtkommunistischen Parteien triumphierte. Unter dem Druck, nun allgemeine Präsidentschaftswahlen organisieren zu müssen, suchte Pinochet durch verschiedene Übergangsbestimmungen die eigene Herrschaft und politische Kontinuität zu sichern. Es begann die so genannte transicion, die Übergangsphase von der Diktatur zur Demokratie.

    Eine Demokratie mit Einschränkungen, denn der Einfluss des Militärs blieb erhalten. So geben bei Abstimmungen im Senat - der zweiten Kammer des Kongresses - Mitglieder den Ausschlag, die sich keiner Wahl stellen müssen, sondern die vom Obersten Gerichtshof und den Streitkräften entsandt werden. Und jeder Präsident, der dieses Amt mindestens sechs Jahre inne hatte, kann auf Lebenszeit und mit vollem Stimmrecht in den Senat einziehen. Eine Regelung zurechtgeschneidert für Augusto Pinochet.

    Auch die Wahl des Christdemokraten Patricio Aylwin zum ersten Präsidenten eines demokratischeren Chile änderte zunächst nicht viel an der alten Machtverteilung. Die Notwendigkeit, sich einerseits mit den Militärs arrangieren zu müssen und andererseits das Problem, eine Aufarbeitung der Vergangenheit durchführen zu müssen, war für die Regierung kaum zu meistern. An die Verwirklichung weitergehender demokratischer Reformen konnte wegen der verfassungsrechtlichen Fesseln, die Pinochet hinterlassen hatte, und der Sperrminorität der rechten Opposition nicht gedacht werden - zumal der alte Diktator sich vorbehalten hatte, bis 1998 Chef der Streitkräfte zu bleiben.

    Eine Tatsache, die so manche politischen Gegner, die jetzt wieder im Parlament sitzen können, verbitterte – zum Beispiel den sozialistischen Abgeordneten Jaime Naranjo:

    "”Der große Sieger der transicion sind nicht die demokratischen Kräfte, sondern General Pinochet. Wenn wir unseren eigenen Prinzipien treu geblieben wären, dann hätten die Leute einen Grund, uns zu wählen. So aber ist das Land erstarrt - aus lauter Rücksicht auf die Militärs. Kein Wunder, dass sich heute jeder, der einst gegen Pinochet war, von der Politik verschaukelt fühlt. Stellen Sie sich vor: Er war verantwortlich dafür, dass Abgeordnete gefoltert oder umgebracht wurden, dass der Kongress geschlossen wurde. Und heute sitzt er selbst drin - ohne ein einziges Wort der Entschuldigung. Das ist so, als hätte Hitler nach dem Krieg im Deutschen Bundestag gesessen, direkt neben seinen Opfern, oder Mussolini in Italien. Das ist doch unvorstellbar.”"

    Unvorstellbar, aber doch nicht zu ändern: So lautete die resignative Haltung der Angehörigen der Opfer Pinochets. Noch im November 1995 wurde landesweit und mit starker Anteilnahme der Bevölkerung der 80.Geburtstag des ehemaligen Diktators gefeiert. Doch unverhofft, als niemand mehr daran glauben mochte, nahm das Schicksal eine neue Wendung.

    Am 21.September 1998 reiste der Ex-Diktator nach London - ”zum Shopping”, wie er selbst erklärte, in ärztliche Behandlung, wie es später auch offiziell hieß. Das britische Außenministerium begrüßte ihn als very important person. Doch nur drei Wochen später wurde Pinochet im Krankenhaus verhaftet - zu seiner eigenen Überraschung und zu der der Weltöffentlichkeit.

    Ein Auslieferungsersuchen des Madrider Ermittlungsrichters Baltazar Garzon brachte ein internationales Justizdrama ohnegleichen in Gang, das knapp eineinhalb Jahre dauern sollte. Garzon warf im Namen spanischer Betroffener dem Ex-Diktator Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor und wollte ihn deswegen vor ein spanisches Gericht bringen. Auch die Schweiz, Frankreich und Belgien forderten in der Folge die Auslieferung Pinochets. Genugtuung für die Angehörigen der Pinochet-Opfer, die kaum noch auf Gerechtigkeit hoffen durften, nachdem 1978 ein Gesetz in Chile erlassen worden war, das Mord und Folter in der Zeit nach dem Putsch gegen Allende unter Straffreiheit stellte. Doch auch Empörung bei der anderen Hälfte der chilenischen Bevölkerung, die sehr wohl einverstanden war mit Pinochets politischer Bilanz, darunter nicht wenige junge Leute, die die Militärdiktatur gar nicht mehr bewusst miterlebt hatten. Während in London Menschenrechtsgruppen gegen Pinochet auf die Straße gingen, fanden in Chile Proteste zu seinen Gunsten statt, eskalierten sogar im Zusammenstoß mit der Polizei.

    Nach 16 Monaten Hausarrest wurde Pinochet aus medizinischen Gründen für verhandlungsunfähig erklärt und konnte nach Chile zurückkehren. Wenige Wochen später übernahm – eine Ironie der Geschichte – mit Ricardo Lagos ein demokratisch gewählter sozialistischer Präsident die Regierungsverantwortung.

    Was kaum ein Beobachter für möglich gehalten hatte: die Schonzeit für Pinochet ging auch im eigenen Land zu Ende. In einer neuen Ära der Offenheit und mit Hilfe einer neuen Verfassung wurden über 300 Menschenrechtsprozesse gegen ehemalige Militärs angestrengt. Hohe Armeeangehörige bestätigten die menschenverachtenden Praktiken des früheren Regimes. Nicht nur der Tod von mehr als 3000 und die Folter von fast 30.000 Menschen wurden Pinochet nun zur Last gelegt. Er musste sich auch wegen der Verschiebung von 27 Millionen Euro auf Auslandskonten verantworten. Mehrfach wurde ihm die Immunität entzogen, allerdings konnte er unter Hinweis auf sein Alter und seine schwache Konstitution eine Verurteilung immer wieder umgehen.

    Dass der Retter des Vaterlandes sich in seinem Amt bereichert haben könnte, trug dazu bei, dass sich auch langjährige Anhänger von ihm lossagten. Sein Tod wird den Prozess der Aufarbeitung in Chile weiter beschleunigen, der auch nach der Wahl Michelle Bachelets zur Staatspräsidentin noch lange nicht abgeschlossen ist. Sie ist die Tochter eines unter der Diktatur Pinochets ermordeten Generals.

    Ein Verfahren gegen ihn wurde unter Hinweis auf seinen mittlerweile eingeschränkten Geisteszustand eingestellt. Eine Verantwortung Pinochets für eine ganze Reihe von Entführungen und Ermordungen von Regimegegnern galt gleichwohl als nachgewiesen, so zum Beispiel die geistige Urheberschaft für die berüchtigte Todeskarawane, in deren Folge im Herbst 1973 75 Menschen zu Tode kamen.

    Mit der Einstellung seines Verfahrens legte Pinochet sein Amt als Senator auf Lebenszeit nieder und zog sich offiziell von der Politik zurück. In einer neuen Ära der Offenheit wurden über 300 Menschenrechtsprozesse gegen ehemalige Militärangehörige angestrengt, ehemalige Generäle bestätigten die menschenverachtenden Praktiken des früheren Regimes. Doch für eine umfassende Aufarbeitung jener Zeit scheint das Land immer noch nicht bereit. Vielleicht wird der Tod Pinochets zum Auslöser für eine Entwicklung, die Opfer und Täter miteinander versöhnt.