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Ein Gesicht, eine Seuche, ein Bürgerkrieg

Für einen Regiestar wie Steve Soderbergh stirbt Superstar Gwyneth Paltrow gerne auch schon im ersten Akt. In seinem neuen Film "Contagion" spielen ohne Ende Hollywoodstars mit. Angelina Maccarone hat mit "The Look" ein sehr schönes Porträt von Charlotte Rampling gedreht. Außerdem: Danis Tanovic Film "Cirkus Columbia".

Von Hartmut Tegeler | 19.10.2011
    "The Look"
    Nein, sagt Charlotte Rampling, Schönheit hat keinen Bestand. Wir verändern uns dauernd. Über unsere Schönheit haben wir keine Kontrolle. - Charlotte Rampling war seit ihrem Kinodebüt Mitte der 1960er-Jahre immer Projektionsfläche für das Geheimnisvolle, das Verführerische, das Unnahbare. Die deutsche Filmemacherin Angelina Maccarone hat mit ihrem Dokumentarfilm "The Look" ein sehr schönes Porträt von Charlotte Rampling gedreht, in der sie die Künstlerin in der Begegnung mit Freunden, Weggefährten oder ihrem Sohn zeigt. In neun Kapiteln, die dem Alter, der Schönheit oder dem Tabu gewidmet sind, stellt sie die inzwischen 67-Jährige vor, im Monolog oder im Kontakt mit den anderen. Im Film "The Look" leitet Charlotte Rampling den Blick, richtet ihn, der Blick, der sonst immer auf sie geworfen wird. Vielleicht gibt Angelina Maccarone ihr dadurch etwas zurück; vielleicht wird in "The Look" aber auch deutlich, wie Charlotte Rampling es in ihrem Werk geschafft hat, diesen Blick immer schon zu lenken. Oder ist alles doch wieder Inszenierung? Kann es etwas anderes sein?

    "The Look" von Angelina Maccarone - empfehlenswert.

    "Contagion"
    Und das …
    "'"Mein Arm! - Schatz, hey, hey, Beth! Schatz!""

    … ist nur die Erste, Patient Null.

    "Mr. Emhoff, es tut mir leid. Ihre Frau ist tot."

    Am Anfang ein Röcheln, Husten. Ohne Bild. Dann sehen wir in Steven Soderberghs "Contagion" Gläser, Türklinken, Hände. Wie oft berühren wir den Tag über unser Gesicht?! Gwyneth Paltrow spielt Patient Null. Das tödliche Virus rafft sie nach fünf Filmminuten dahin. Das zeigt, wie Soderbergh die Genreregel, dass der Star immer zu überleben hat bis zum süßen oder bitteren Ende, uns mit Lust um die Ohren haut. Nein, für einen Regiestar wie Soderbergh stirbt Superstar Gwyneth Paltrow gerne auch schon im ersten Akt. Ebenso wie Kate Winslett, die eine Seuchenärztin spielt:

    "Ich glaube, ich bin krank "

    Und bald tot! - "Contagion" versammelt ein großartiges Ensemble: Matt Damon, Marion Cotillard, Elliot Gould, Lawrence Fishburne, Jude Law oder Bryan Cranston, bekannt aus der TV-Serie Breaking Bad. "Contagion" beschreibt eine globale, tödliche Seuche. Gegenmaßnahmen? Tja, …

    "Wir isolieren alle, die krank sind."

    … am Ende werden 26 Millionen Menschen an der Pandemie gestorben sein. Überlebensstrategien? Nun ja?!

    "Wir haben ein neues Virus mit einer 20-prozentigen Sterblichkeitsrate, keine Therapiestrategien und keinen Impfstoff, der anwendbar wäre. - Genauso ist es!"

    In "Contagion" bricht die Zivilisation nicht wie in "Mad Max" oder "I am Legend" zusammen, nein, die Behörden funktionieren weiter. Doch in einer Art Parallelwelt tobt bald der Kampf ums Überleben: Plünderungen, Überfälle und so weiter. Ansturm auf Banken, Tankstellen, Supermärkte und so weiter. Wenn es soweit gekommen ist, ...

    "... das Virus ist dann unsere geringste Sorge. Wir müssen nur dafür sorgen, dass es niemand erfährt, bevor es alle erfahren."

    "Contagion" kommt nüchtern daher, herzerweichende Hollywood-Familiendramen, die auch den apokalyptischen Virenthriller à la "Outbreak - Lautlose Killer" infiziert, findet man hier nicht. In "Contagion" wird auch kein Szenario von schleimigen Wesen aus der Galaxis nebenan oder degenerierten Hinterwäldlern entworfen. Nein, der "Serienkiller" in diesem spannendem Film ist effizient, weil klein und unsichtbar. Aber eben gnadenlose tödlich! Also:

    "Keine Hände schütteln, zu Hause bleiben, wer krank ist, häufiger die Hände waschen."

    "Contagion" von Steven Soderbergh - herausragend.

    "Cirkus Columbia"
    Nach 20 Jahren ist Divko in Danis Tanovics neuem Film "Cirkus Columbia" zurück aus Deutschland in Bosnien. Jetzt, 1991, wo der Eiserne Vorhang gefallen ist, macht er erst einmal eine Runde im Dorf und präsentiert sich, die Taschen voller Euro.

    "Guten Tag, ich wünsche einen wunderschönen Tag. - Oh, herzlichen willkommen, Divko. - Bring mir eine Weinschorle. Und eine Runde für alle."

    Divko trifft auch auf seine damals zurückgelassene Frau und den erwachsenen Sohn. Die ersten Anzeichen des Bürgerkrieges, ...
    "Aber, wenn es Jugoslawien nicht mehr gibt, gehört es uns Serben."

    ... sie werden sichtbar.

    "Ich wollte auch nur wissen, auf wen ich zählen kann, wenn die Schießerei losgeht. Und das wird passieren."

    Schon in seinem Debüt "No Man's Land" brachte Danis Tanovic die Absurdität des bosnischen Bürgerkriegs in Filmbilder, als sich ein bosnischer und serbischer Soldat in einem Schützengraben treffen. "Cirkus Columbia" erzählt von der Zeit vorher, als sich die Gesellschaft den Krieg schliddert. Ein düsterer Blick, den Banis Tanovic wirft, aber mit seiner Figur des aufrechten Schelmen Divko, der die drohenden Zeiten wie sein Beziehungschaos zwischen Geliebter und Ex-Ehefrau zu meistern -, gewinnt der Filmemacher einen Blick in die menschliche Verfasstheit.

    "Cirkus Columbia" von Danis Tanovic - empfehlenswert.