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Ein Hauptmann vor der Klasse

Friedensinitiativen und Lehrergewerkschaft wehren sich gegen Werbevorträge der Bundeswehr im Klassenzimmer. Die grüne NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann befürwortet diese Maßnahmen jedoch ausdrücklich.

Von Barbara Schmidt-Mattern |
    "Schönen guten Morgen von meiner Seite."

    Ein gutes Dutzend Augenpaare guckt ihn mit einer Mischung aus Neugier und Langeweile an: Hauptmann Ralf Ollinger, 30 Jahre alt, Luftwaffen-Uniform, schlaksig, jungenhaftes Gesicht.

    "Und ich darf Euch auch herzlich begrüßen in seinem Namen – wer kennt den guten Herrn?"

    Thomas de Maizière lächelt freundlich vom Foto des Projektors in den Klassenraum hinein. Es dauert eine Weile, bis die Oberstufenschüler des Humboldt-Gymnasiums in Solingen den Bundesverteidigungsminister erkennen. Franz-Josef Jung, der kurz darauf per Mausklick erscheint, löst einen völligen Gedächtnisschwund aus. Dann endlich erleichterte Mienen, als Freiherr zu Guttenberg an der Reihe ist – den kennen sie alle.

    "Ganz kurz ein paar Worte zu mir, damit Ihr wisst, mit wem Ihr es zu tun habt."

    Ralf Ollinger ist zur Bundeswehr gegangen, um dem Vaterland zu dienen. Dazu gehört für ihn auch, den Nachwuchs über Auftrag, Aufgaben und Einsätze der Truppe zu informieren. Seit Jahren klappert die Bundeswehr deshalb regelmäßig Schulen in ganz Nordrhein-Westfalen ab. Flüssig und kenntnisreich referiert Hauptmann Ollinger über die deutsche Geschichte seit 1945, über UNO, NATO und EU, und dann kommt die Rede auf Afghanistan:

    "Wofür steht jetzt ISAF?"

    Schweigen im Klassenraum, doch Ollinger lässt sich davon äußerlich nicht beeindrucken. Ausführlich beschreibt der Offizier die Gründe und das politische Mandat des Afghanistaneinsatzes, und natürlich habe man auch die Afghanen gefragt, ob sie mit dem Einsatz einverstanden sind. Ollingers Tonfall ändert sich jetzt, auch die Wortwahl ist plötzlich weniger staatstragend:

    "Man hat gesagt: Hey, liebe Afghanen, da sitzen ganz viele Terroristen bei Euch, die ärgern uns. Äääh, was sollen wir denn da machen? Ham die Afghanen gesagt: Wuuuuh, ja, kann sein, aber aaaah, können wir Euch nicht helfen, tut uns leid. Also haben wir gesagt, liebe Afghanen, lasst uns mal zusammensitzen!"

    Sicherheit und Unterstützung für Afghanistan, deshalb sei die Bundeswehr am Hindukusch, so betont der Jugendoffizier immer wieder. Kein Wort über getötete Zivilisten oder gefallene Soldaten. Statt dessen eine kleine Kulturstudie: In Deutschland verursache Korruption oft ein schlechtes Gewissen. Der Afghane hingegen sehe das anders, glaubt Ralf Ollinger:

    "Der Afghane hat einen anderen Herangehenspunkt. Und zwar hat er mir erklärt, wenn ich irgendwo einen Vorteil gewinnen kann, wenn ich jemanden anderen übers Ohr haue, dann ist das eine vollkommen legitime und gute Sache."

    Hinten im Klassenraum sitzt ein Presseoffizier der Bundeswehr, der eigens mit nach Solingen gereist ist, weil das Radio auch vor Ort ist. Der Offizier blickt aufmerksam nach vorn. Anders die Schüler: Extrem ruhig hören sie zu. Oder auch nicht. Das Echo in der Pause ist dennoch durchweg positiv:

    "Wir haben das auch schon im Unterricht besprochen, und ich find das jetzt eine gute Ergänzung dazu."

    "Wir werden ja nur informiert, ich finde jetzt nicht, dass wir beeinflusst werden. Das sind ja eigentlich neutrale Wertungen, so wie ich das sehe."

    Ganz anders sieht das Joachim Schramm vom Bündnis "Schule ohne Bundeswehr in Nordrhein-Westfalen". Information und Beeinflussung seien bei den Besuchen der Jugendoffiziere nicht zu trennen, sagt der 53-Jährige, erst recht nicht seit dem Wegfall der Wehrpflicht und dem damit gewachsenen Nachwuchsproblem:

    "…weil natürlich der Jugendoffizier einfach durch sein Auftreten die Bundeswehr ein Stück positiv darstellt, und dann natürlich auch mal so etwas fällt wie die Frage, da kann man das und das werden. Also da gibt es schon eine Kopplung, und die Trennung ist eigentlich nicht machbar."

    Unterstützt von der Lehrergewerkschaft GEW fordern Friedensinitiativen bundesweit, die Besuche der Jugendoffiziere an den Schulen abzuschaffen. Politische Bildung sei allein Aufgabe der Lehrer und nicht der Bundeswehr. Doch das grün geführte Schulministerium in Düsseldorf hat eine entsprechende Kooperationsvereinbarung gerade erst überarbeitet: Zwar dürfen Jugendoffiziere, anders als bisher, in NRW jetzt nicht mehr in der Lehrerausbildung aktiv werden, aber ihre Vorträge im Klassenzimmer befürwortet Schulministerin Sylvia Löhrmann ausdrücklich:

    "Wir wollen, dass unsere Jugendlichen zu kritischen verantwortlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern unserer Gesellschaft werden. Und insofern habe ich keinen Zweifel, dass die Kolleginnen und Kollegen vor Ort verantwortlich auf diese neue Situation reagieren."

    Die rot-grüne Landesregierung verpflichtet die Bundeswehr jetzt, jedes Jahr einen schriftlichen Bericht vorzulegen. Sie betont, dass Lehrer während der Offiziers-Besuche im Klassenzimmer präsent sein müssen und sie fordert die Schulen auf, auch andere Institutionen einzuladen, zum Beispiel Friedensinitiativen. Am Humboldt-Gymnasium sind die neuen Regelungen der verantwortlichen Lehrerin offenbar unbekannt. Ein Interview lehnt sie ab, und auch zum Protest einiger Schüler gegen die Besuche der Bundeswehr will sie keine Stellung nehmen. Indirekt bestätigt das schließlich ihre Kollegin Regine Brückner-Kirchberg:

    "Also, wir sind eine große Schule, und ganz sicher werden Sie auch Schüler und wahrscheinlich auch Kollegen finden, die das anders sehen."

    Kritische Fragen müsse er sich schon auch anhören, erzählt Hauptmann Ralf Ollinger am Rande seines Vortrags im Klassenzimmer. Aber insgesamt sei das Bild der Bundeswehr in Afghanistan doch gut:

    "Man hat auf einmal Soldaten gesehen, die Brunnen gebaut haben, die Wahlen unterstützt haben in Afghanistan. Das hat man auch medial immer sehr schön verkauft, das ist ja was Positives, was wir da machen."

    Dass der Afghanistan-Einsatz eine der heftigsten Kontroversen in der deutschen Innen- und Außenpolitik ausgelöst hat, kommt zumindest an diesem Vormittag in Solingen nicht zur Sprache.