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Ein Jahr GroKo
Verbraucherschützer fordern Gesetze statt Ankündigungen

Die Einführung der Musterfeststellungsklage gilt als Meilenstein in Sachen Verbraucherschutz. Davon abgesehen sei die Bilanz der Regierungskoalition allerdings noch recht schwach, kritisieren Verbraucherschützer. Es brauche mehr konkrete Gesetze, um die Rechte der Verbraucher zu stärken.

Von Panajotis Gavrilis | 15.03.2019
Abgase kommen aus einem Auspuff eines VW Golf 2.0 TDI, aufgenommen am 07.11.2017 in Prenzlau (Brandenburg).
Hunderttausende Menschen unterstützen die Musterfeststellungsklage gegen den Volkswagenkonzern. Sie verlangen Schadensersatz wegen manipulierter Fahrzeuge. (picture-alliance / dpa / Patrick Pleul)
Ein Jahr Bundesregierung, ein Jahr gute Verbraucherpolitik? Zumindest mit der Einführung der Musterfeststellungsklage im vergangenen November ist ein Meilenstein erreicht worden, bilanziert Klaus Müller, Vorstand beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv):
"Jetzt können wir das Instrument in einer ersten Runde gegen Volkswagen ja auch nutzen. Und ich glaube, dass die große Resonanz in der Bevölkerung, also mehrere Hunderttausend Menschen, die diese Klage jetzt unterstützen und für sich nutzen wollen, dem auch Recht gegeben hat. Gleichwohl kann das nur ein erster Schritt sein, weil die Leistungsklage, also das Durchsetzen von Geldansprüchen, bisher im deutschen Gesetz nicht enthalten ist. Das wäre noch nachzubessern."
Kritik: Wichtige Themen noch nicht angepackt
Der vzbv klagt stellvertretend für potenziell geschädigte Dieselkundinnen und -kunden. Fahrverbote und wer für Hardware-Nachrüstungen aufkommen muss – diese Frage ist immer noch nicht geklärt und verärgert nach wie vor viele Betroffene. Nicht nur hier muss die Bundesregierung sich stärker für Verbraucherinteressen einsetzen, meint Müller:
"Wir sehen, dass sie eine Reihe von Themen schlicht nicht angepackt hat. Jetzt kann man sagen: Okay, die Legislaturperiode ist jetzt erst ein Jahr vorbei. Andererseits: Keiner weiß, wie lange sie dauert. Und ich möchte nicht erleben, dass durch irgendeinen Unfall oder eine politischen Eskalation man nachher mit den Schultern zucken muss und sagt: Schade, haben wir leider nicht mehr geschafft. Dafür sind die Ansagen eben zur Kontrolle von Algorithmen, für ein Produkthaftungsrecht, zur Novellierung von Plattformen, die ja immer wichtiger werden, wie wir sehen, einfach zu wichtig."
Martin Schmidt-Kessel ist Direktor der "Forschungsstelle für Verbraucherrecht" an der Universität Bayreuth. Relativ gesehen, sagt er, gibt es wenige Verletzungen von Verbraucherrechten, Lebensmittel sind sicher, in Deutschland gibt es einen hohen Versorgungsgrad.
Aber: Die Durchsetzung von Verbraucherrechten könnte besser sein. Und: Viele Bundesbehörden, die zwar nicht hauptsächlich auf Verbraucherschutz ausgerichtet sind, könnten Verbraucherschutzaspekte ernster nehmen. Schmidt-Kessel erinnert dabei an die Pleiten von Air Berlin und Germania:
Viele offene Fragen rund um den Brexit
"Beispiel Insolvenz von Fluggesellschaften: Da müsste das Bundesamt für Luftfahrt sehr viel klarer darin sein, die Finanzstärke der Fluggesellschaften, das gehört zu ihren Kontrollaufgaben, tatsächlich auch im Blick auf die Leistungsfähigkeit gegenüber Verbrauchern sich anzugucken."
Die Verbraucherzentralen fordern Insolvenzversicherungen für direkt gebuchte Flugreisen, ähnlich wie bei Pauschalreisen.
Ein weiteres Thema, das die politischen Akteure bisher vernachlässigt haben: Der Brexit. Was passiert mit einem gebuchten Urlaub nach Großbritannien im Falle eines No-Deal-Brexits? Müssen Kunden nach einer Online-Bestellung Zoll zahlen? Mit solchen offenen Fragen und den Folgen des Brexits für Verbraucher – damit hat sich die Politik kaum beschäftigt, mahnt der Verbraucherrechtsprofessor Schmidt-Kessel an:
"Wir haben ganz viele Geschäftsverlagerungen nach Irland, dadurch entstehen zusätzliche Risiken, auch Solvenz-Risiken von Anbietern. Hier müsste eine ganze Menge passieren und vor allen Dingen müsste man den Verbraucherverbänden zusätzliche Mittel geben für diesen Sonderbedarf."
Strengere Maßnahmen gegen Übergewicht?
Aus Sicht des foodwatch-Geschäftsführers in Deutschland, Martin Rücker, ist die sogenannte Reduktionsstrategie der Bundesernährungsministerin Julia Klöckner zum Scheitern verurteilt. Die CDU-Politikerin will durch freiwillige Selbstverpflichtungen die Lebensmittelindustrie dazu bringen, weniger Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten einzusetzen. Ungesunde Ernährung, Übergewicht, Diabetes Typ 2-Erkrankungen, lassen sich so nicht in den Griff kriegen, so Rücker:
"Dieses schwerwiegende Problem ist eine politische Aufgabe. Hier haben wir eine Verpflichtung einer Ministerin zu handeln und zwar mit wirksamen Maßnahmen. Das einzige, was Frau Klöckner in diesem Bereich macht, ist eine freiwillige Maßnahme, von der sie wissen kann, dass sie wirkungslos ist. Das ist ein richtiges Politik-Versagen und da wird sie ihrer Verantwortung nicht gerecht."
Insgesamt, bilanzieren die Verbraucherschützer, bleibt Vieles noch zu vage. Dabei gäbe es genug Handlungsbedarf. Was folgen müsste, fordern sie, sind vor allem konkrete Gesetze – im Sinne der Verbraucher.