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Ein jüdischer Unternehmer und die Krise zwischen der Türkei und Israel

Vor mehr als einem Jahr töteten israelische Elitesoldaten neun pro-palästinensische türkische Aktivisten auf dem Hilfsschiff Mavi Marmara. Dafür verlangt die Türkei eine Entschuldigung, die es aber nach israelischer Auffassung nicht geben wird. Die Situation ist angespannt, das weiß auch der Unternehmer Ishak Alaton, der Türke und Jude ist.

Von Gunnar Köhne | 06.09.2011
    Ishak Alaton sitzt gut gelaunt hinter seinem schweren Schreibtisch. Eine Million Dollar hat der 84-jährige Unternehmer soeben für die Hungernden in Ostafrika gespendet. Hilfe für Menschen in Not, Einsatz gegen Ungerechtigkeit und für mehr Demokratie – dafür ist Alaton in der Türkei bekannt und geschätzt. Dass Alaton Jude ist, spielte dabei bislang keine besondere Rolle, betont er. Natürlich gebe es, wie andernorts auch, in der Türkei Antisemiten. Und, ja, die gegenwärtige scharfe Krise zwischen der Türkei und Israel mache das Zusammenleben der nur noch knapp 25.000 Juden am Bosporus mit der muslimischen Mehrheit nicht einfacher. Aber staatliche Repressionen fürchtet Alaton überhaupt nicht:

    "Ich würde sogar sagen, dass diese Regierung mehr Verständnis für uns Minderheiten hat als alle Vorgängerregierungen. Ich kann mich noch an die 40er, 50er und 60er-Jahre erinnern, als wir in Gesetzen als hier lebende 'Ausländer' bezeichnet wurden. Heute sind wir vor dem Gesetz gleichberechtigte Bürger dieses Landes. Warum sollte ich mir heute mehr Sorgen machen, als gestern?"

    Erst vor zwei Wochen hat die Regierung Erdogan beschlossen, den Minderheiten in den vergangenen 50 Jahren zu Unrecht enteigneten Besitz zurückzugeben. Auch die jüdische Gemeinde rechnet mit umfangreichen Entschädigungen für Grundstücke und Gebäude, die ihr einst von Staats wegen genommen worden waren. Tayyip Erdogan macht aus seiner Abneigung gegen Israel keinen Hehl mehr – will aber nach Innen an die osmanische Politik der Toleranz anknüpfen.

    1492, auf dem Höhepunkt der spanischen Inquisition, fanden die verfolgten Juden Spaniens großzügige Aufnahme im Osmanischen Reich. Heute besitzt die sephardische Gemeinde eine eigene Wochenzeitung - "Shalom" -, ein Krankenhaus, ein Altenheim und ein Dutzend Synagogen. Jüdische Geschäftsleute bilden das Rückgrat des Istanbuler Wirtschaftslebens, Mitglieder der Gemeinde sind auch in den Medien prominent vertreten. Auswanderung nach Israel? Für Istanbuler Sepharden wie Ishak Alaton ist das keine Frage:

    "Ich kann mir vorstellen, dass es in Israel einige gibt, die nichts dagegen hätten, wenn die jüdische Gemeinde in der Türkei unter dieser Krise leiden müsste, denn dann könnten sie sagen: Kommt doch nach Israel! Das käme für mich überhaupt nicht infrage, denn in Israel läuft es in die falsche Richtung, die Regierung wird immer repressiver. Dort wäre ich nicht glücklicher. Ganz im Gegenteil."

    Erst vor vier Jahren hatte Israels Staatspräsident Peres in der türkischen Nationalversammlung eine historische Rede auf Hebräisch gehalten – auf Einladung der Regierung Erdogan. Ishak Alaton verfolgte die Rede und anschließenden Beifall der sich erhebenenden Abgeordneten mit Stolz und Rührung im Fernsehen. Doch seit jenem Tag ging es mit den Beziehungen beider Länder bergab – und nicht nur Alaton fragt sich, ob die türkisch-israelische Partnerschaft überhaupt je so eng war, wie es dieser Tage oft beschworen wird:

    "Jetzt rächt sich, dass das angeblich so gute Verhältnis zwischen beiden Staaten wesentlich auf den guten Beziehungen der Militärs beruhte. Die Kontakte zwischen den Menschen wurden zu sehr vernachlässigt. Zu der wachsenden Entfremdung kamen auf israelischer Seite radikale Politiker wie Außenminister Liebermann, der bei jeder Gelegenheit seine Abneigung gegen alles Türkische oder überhaupt Muslimische kundtut. Ich fürchte, die Beziehungen beider Länder werden sich noch weiter verschlechtern - bevor sie wieder besser werden."

    Kommende Woche wird Ministerpräsident Erdogan nach Ägypten reisen. Aus Ankara ist zu hören, dass er von dort aus - allen Warnungen zum Trotz – den Palästinensern im Gaza-Streifen einen Solidaritätsbesuch abstatten will.