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Ein Meisterwerk der fantastischen Literatur

Ende der 50er-Jahre frönen Arlecq und Paasch in der DDR einem Bohéme-Dasein. Im stakkatohaften Takt des Bepob träumen sie sich fort aus dem Leben im Arbeiter- und Bauernstaat. Lange war Fritz Rudolf Fries' Meisterwerk "Der Weg nach Oobliadooh" vergriffen. Jetzt ist es in einer Neuauflage erschienen.

Von Cornelia Staudacher | 17.12.2012
    Das verwunschene Haus am Waldesrand, in dem Fritz Rudolf Fries seit Jahrzehnten lebt, könnte leicht als erste Station auf dem Weg nach Oobliadooh durchgehen und der Autor, der sich trotz der Pein der fortschreitenden Knochenkrankheit, an der er seit seiner Kindheit leidet, seinen Witz bewahrt hat, als veritable Inkarnation seines Protagonistenpaares Arlecq und Paasch. Das Wiedererscheinen seines Erstlingsromans hat er gelassen zur Kenntnis genommen. Es freut und es ehrt ihn, dass der Roman in dieser schönen Ausgabe der Anderen Bibliothek wieder erscheint. Gelesen aber hat er ihn nicht noch einmal:

    "Ich war sehr überrascht. Da haben sich zwei getroffen, der Helmut Böttiger und der Christian Döring. D. war mal Lektor bei Suhrkamp, der kannte das Buch, und beide haben mich damit überrascht. Ich wusste vorher gar nichts. Und es freut mich sehr, in der edlen Reihe zu erscheinen.

    Schauen Sie mal, das ist ja geschrieben worden vor etwa 50 Jahren. Und da ich meine Bücher in der Regel nicht immer wieder lese, bin ich angewiesen auf Meinungen der Kritiker und der Leser und habe eigentlich zu diesem Roman direkt keinen großen Kontakt mehr.

    Ich staune, wie naiv ich war, als das angefangen hat, das Schreiben, also naiv, in der Politik, in der Ideologie, in der Ästhetik. Ich habe gedacht, man schreibt so, wie man es empfindet, wie man es weiß, um auch den Anschluss zu kriegen an die Moderne, mehr wollte ich nicht. Und war sehr erstaunt, was da herauskam."

    "Der Titel 'Der Weg nach Oobliadooh' enthält ja eine ganze Reihe von Anspielungen: Einmal gibt es einen Song von Dizzy Gillespie 'I knew a wonderfull Princess, in the land of Oobliadooh', das habe ich ein paar mal gehört über AFN. AFN war ja für uns sehr wichtig, es gab zwei Sendungen, eine kam aus Berlin, die andere aus München und hieß 'Midnight in Munich', und drittens gab es noch über Kurzwelle 'Mr. Jazz' und da kam der Titel ein paar Mal vor.

    Im Song bei Gillespie heißt es 'I knew a wonderfull Princess' und als er die Prinzessin zum Traualtar führt, entdeckt er, man hat sie ihm ausgetauscht. Also sie ist keine Prinzessin, und wenn Sie wollen, ist ja da drin eine Anspielung eigentlich auf die Utopie des Kommunismus. Das haben leider die meisten Rezensenten übersehen, denn der Weg nach Oobliadooh ist ja eigentlich der Weg in die Vollkommenheit des Kommunismus."

    Wir befinden uns in den Jahren 1957/58 in der DDR. Bepob und Jazz gelten als Symbole für eine freie, unbürokratische, im DDR-Jargon dekadente Lebensweise. Die beiden jugendlichen Rebellen Arlecq und Paasch, Seelenverwandte von Arlecchino und Pasquariello aus der Commedia dell'arte, frönen einem Bohémien-Dasein, das in krassem Kontrast steht zum Leben im Arbeiter- und Bauernstaat. Gehend, hüpfend und tanzend im stakkatohaften Takt des Bepob oder in ihrer Fantasie gar die Dächer der Häuser überfliegend, träumen sie sich fort vom "geschwätzigen Lebensstrom der Alltäglichkeit". Topografisch exakt durchstreifen sie Dresden, Leipzig und Berlin in ihrer Sehnsucht nach einem glücklichen Dasein, auf ihrem Weg nach Oobliadooh.

    Arlecq ist Übersetzer, Paasch ein durchs Examen gefallener Zahnmediziner, der hoch musikalisch und ein fantastischer Klavierspieler ist und mit Jazz und Alkohol der Banalität des Alltags zu entkommen versucht. Als er Brigitte heiraten muss, weil er sie geschwängert hat, mokiert sich Arlecq noch. Am Schluss landet aber auch er im Hafen einer sozialistischen Einheitsehe. Zerstoben sein Traum eines Lebens mit Isabel, seiner feurigen spanischen Gespielin aus dem ersten, "Südliches Vorspiel" genannten Teil des Romans. Nach einem exzessiven nächtlichen Besäufnis in Berlin-Mitte landen die Freunde in einem Alkoholikerheim der Psychiatrie, dem Arlecq nur entkommt durch Annes Ankündigung seiner bevorstehenden Vaterschaft.

    Paaschs und Arlecqs fantastische Narreteien und poetische Gaukeleien, ihre, von der Musik angeheizten, hochfahrenden Träume sind nicht von dieser, der realen Welt, weder hüben noch drüben. Auch wenn sie ihre kleinen persönlichen Fluchten gelegentlich nach West-Berlin führen, wo es sie auch nicht lange hält. Hüben wurden Künstler und Literaten in jener Zeit von einem Bayerischen Ministerpräsidenten als Pintscher abgekanzelt, drüben, in der DDR, wurden ihre Werke gar nicht erst gedruckt.

    Fritz Rudolf Fries: "In der DDR wurde der Roman ja abgelehnt vom Mitteldeutschen Verlag in Halle, weil die sagten, das ist total an der Realität vorbei, das sind nicht DDR-Zustände und so sind unsere Menschen nicht. Jetzt ist die Crux für mich gewesen: Das Buch war ja geschrieben für DDR-Leser und die kamen da nicht ran. Und so entsteht ein schiefes Bild, nur die Tatsache, dass das Buch heute noch mal erscheint, im Erscheinen schwemmt es eigentlich auch einen Teil der DDR wieder hoch. ... Es gibt einen Satz von Stefan Heym, die DDR war nur eine Fußnote, das will ich nicht unterschreiben, weil auch die Autoren, die heute wieder verlegen, was aus der DDR kommt, sind eigentlich doch beschäftigt mit dem anderen Menschenbild, mit dem, was in der Utopie der DDR vorhanden war und was eigentlich ja heute nicht untergehen kann. Das ist ein weites Feld, das müssen wir nicht jetzt genauer beleuchten."

    Das berührt ein dunkles Kapitel im Leben von Fritz Rudolf Fries: 1976, nach langem vergeblichen Dauerwerben der Staatssicherheit und für den Preis einer ersten Reise nach Spanien, der weitere folgen sollten, unterschrieb Fries den Pakt mit dem Teufel, wie er heute sagt. Die Gespräche, die die Offiziere der Stasi mit IM "Pedro Hagen" führten, wurden aufgenommen und später schriftlich fixiert. Seine Enttarnung hat die Rezeption des Romans in den neunziger Jahren erneut erschwert:

    "Ich hab später, also nach der Wende, die Akten gelesen, und habe da gesehen, dass ich eigentlich mit einem Bein im Knast war, weil ich hatte ja einen Paragraphen verletzt, der hieß Boykott-Hetze, und wenn Sie die Akten heute lesen, da wird einem ganz schlecht, weil da steht dann drin, dieser Mensch, der mit unserem Arbeiter- und Bauerngeld studiert hat, der schmäht uns. Nur dass ich einen gewissen Erfolg hatte, hat mich etwas aus der Schusslinie genommen, und wichtiger war, das Kulturorgan der franz. KP, Lettre Française, kam zu mir und machte ein Interview und veröffentlichte eine ganze Seite. Also hätte man mich dann verhaftet, das wäre nicht gut gewesen.

    Die ließen mir keine Ruhe und die haben mir angeboten, ich kann nach Spanien fahren, kann meine Frau mitnehmen und ich muss nur einen Bericht schreiben, wie Spanien nach Franco aussieht. Meine ganze Agententätigkeit in Spanien war, ich las die Tageszeitungen, da stand ja alles drin, (lacht), und das Ergebnis meiner Recherchen war, dass die DDR diplomatische Verbindungen mit Spanien aufnahm, nach Franco. Und dazu stehe ich heute noch."

    "Der Weg nach Oobliadooh" ist einer der faszinierendsten und poetischsten Nachkriegsromane, der den von der Regierung der DDR den Schriftstellern oktroyierten Bitterfelder Weg mit poetischer Unverfrorenheit ad absurdum führt. Und so wundert es nicht, dass der Roman in seiner avantgardistischen Weltläufigkeit, aus der eine umfassende Belesenheit des Autors spricht, in seiner sprachlichen Virtuosität und artistischen Weitschweifigkeit in der DDR nicht veröffentlicht wurde. Günter Seuren nannte ihn bei seinem Erscheinen im Suhrkamp Verlag 1966 das preußische Pendant zu Salingers "Fänger im Roggen". Die Einflüsse des amerikanischen Roadmovies mischen sich darin auf kongeniale Weise mit pikaresken Elementen aus dem romanischen Sprachraum.

    Fritz Rudolf Fries: "Zu den Einflüssen würde ich ein Buch ganz besonders nennen, das ist Jack Kerouac, On the roads, ja das ist mir viel wichtiger als der Schelmenroman. Ich meine, das sind auch Jazzfans, Jack Kerouac selber, und Alan Ginsberg und die ganze Beat-Generation. Nur, die hatten ja diese ungeheure Weite Amerikas, die konnten ja unendlich durch den Kontinent fahren, das konnten wir nicht. Wir hatten ja nur den Spielraum vom Erzgebirge bis zur Ostsee. Und da ist der Jazz wichtig, weil das, was wir an Drogen nicht hatten, wie Kerouac, hatten wir im Jazz. Und darum ist der sehr wichtig gewesen."

    Der Roman hat an Verve und Witz, an Fantasie und zeitloser Bedeutung nichts eingebüßt. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass er nun auch für eine jüngere Lesergeneration zugänglich ist – wie auch für die älteren Literaturliebhaber, die sich die Wiederbegegnung mit diesem Meisterwerk der fantastischen Literatur des 20. Jahrhunderts in der Nachfolge eines Jean Pauls und E.T.A. Hoffmann nicht entgehen lassen sollten.

    Fritz Rudolf Fries: Der Weg nach Oobliadooh.
    Roman, mit einem Essay über "Fritz Rudolf Fries, den Jazz und die DDR" von Helmut Böttiger.
    Die Andere Bibliothek, Aufbau Verlag, Berlin 2012, 34 Euro