Mittwoch, 24. April 2024

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Einblicke in den Hauptstadtjournalismus
"Aus Kreisen..." - das Spiel mit den Informationen

Bereits Stunden bevor Angela Merkel ihren Rückzug als Partei-Vorsitzende bekannt gab, berichteten Journalisten darüber und bezogen sich auf "CDU-Kreise". Ein Kollegengespräch mit Stephan Detjen, Chef des Hauptstadtstudios des Deutschlandfunks, über die Spielregeln des Berliner Medienbetriebs.

Stephan Detjen im Gespräch mit Henning Hübert | 30.10.2018
    Journalisten warten auf die Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Bouffier.
    Journalisten warten auf die Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Bouffier. (picture alliance/Bernd von Jutrczenka/dpa)
    Henning Hübert: Waren es Kreise, die da gestern informiert haben, oder war es nicht ein einziger Kreis, das Präsidium der CDU, das gestern mit Angela Merkel zusammensaß?
    Stephan Detjen: Also das, was Sie jetzt zitiert haben, vom Montagvormittag von 10 Uhr, da tagte dann in der Tat das Präsidium, das waren dann schon die Symptome dafür, dass da jetzt wirklich eine Information in die breite Öffentlichkeit auf breiter Front durchbricht. Angela Merkel hatte ja schon vor der Präsidiumssitzung nicht nur eigene Parteifreundinnen und freunde informiert, sondern auch die Koalitionspartner, Horst Seehofer und Andrea Nahles, das war also schon in der Phase, als dann die gesteuerte Information auch von Angela Merkel in die Gremien und dann auch Stunden später in die Öffentlichkeit hinausging.
    Hübert: Wer steuert? Wer ist Sender? Wer ist Empfänger?
    Detjen: Wir erleben das natürlich und haben das auch in diesem Fall erlebt in einem viel längeren Vorlauf, dass Informationen nach außen sickern, gezielt nach außen gebracht werden. Das ist auch in diesem Fall so gewesen. Wir sprechen als Parlaments-Korrespondenten natürlich permanent mit Politikerinnen und Politikern, suchen die Gesprächsmöglichkeiten am Rande von Veranstaltungen, in Telefonaten, in sogenannten Hintergrundgesprächen. Auch Hintergrundkreisen, in denen man nach der sogenannten Unter-Drei-Regel spricht, also mit der Vereinbarung, dass Wissen vermittelt wird, aber nicht bestimmten Absendern dieser Informationen zugeordnet werden kann. Und das ist natürlich ein Spiel, so ein Begriff wie die Unter-Drei-Regel verweist darauf, nach Regeln, nach Spielregeln funktioniert. Und zu diesen Regeln gehört natürlich auch das Wissen der journalistischen Seite, dass Informationen eine Ware sind, mit der gehandelt wird; dass da möglicherweise Erwartungen hinter stehen; dass diese Informationen dann doch, natürlich in die Öffentlichkeit gelangen; also dass man hier ständig auch mit dem Versuch konfrontiert ist, instrumentalisiert zu werden.
    Kandidatur Friedrich Merz: "Durch gezielte Informationsflüsse vorbereitet"
    Hübert: Wurde da nun in Berlin nun fleißig getwittert, gemailt oder gesimst, um es sich mal konkret vorzustellen?
    Detjen: Da wird aus Gremien, aus größeren Gremien, wird gesimst, wird sehr schnell getwittert. Aber viel wichtiger und viel interessanter sind eben diese Informationen, die nicht nur in dieser Phase, wo ohnehin schon jeder weiß: Das, was ich jetzt nach draußen simse oder was ich twittere ist sowieso in einer Stunde auf dem Markt. Viel interessanter sind die Informationsflüsse, die dann eben schon lange vorher laufen. Wir haben das da jetzt zum Beispiel nicht nur mit Blick auf die Ankündigung von Angela Merkel erlebt, die tatsächlich erst wirklich sehr, sehr kurz vorher dann in die Öffentlichkeit gedrungen ist, konnte man vorher eigentlich nur Stimmungen wahrnehmen, gespannte Erwartungen im Umfeld von Vertrauten der Kanzlerin. Wenn man die Gelegenheit hatte, mit denen zu sprechen, dass die mehr die Ahnung als das Wissen vermittelten, dass da etwas kommen wird. Und eine ganz andere Geschichte war dann, was uns heute beschäftigt: die Kandidatur von Friedrich Merz, die er ja jetzt gerade offiziell angekündigt hat, mit einer Pressemitteilung, aber die auch durch gezielte Informationsflüsse über Wochen, wenn nicht viel längere Zeiträume vorbereitet worden ist.
    Hübert: Ja, wie lief das eigentlich ab mit dem Namen Friedrich Merz, dass der auf einmal wieder in aller Munde ist nach mehr als 15 Jahren Pause?
    Detjen: Der hat sich immer in der Nähe der politischen Arenen aufgehalten und hat auch immer die Kontakte zu Medien, zu Journalisten gesucht, hat dafür gesorgt, dass er in der Öffentlichkeit präsent bleibt. Er hat auch hier im Deutschlandfunk Interviews gegeben. Da galt immer die klare Ansage: Ich rede nicht über Angela Merkel, ich rede nicht über die Innenpolitik. Als Vorsitzender der Vereinigung Atlantikbrücke hat er sich regelmäßig, in längeren Deutschlandfunk "Interviews der Woche" zum Beispiel, über die transatlantischen Beziehungen, über die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten geäußert. Dann hat er in diesem Sommer in dem Fernsehsender Phoenix ein längeres Interview gegeben, auch viele Passagen zu internationalen Fragen, zu Handelsfragen, zu den USA, aber dann am Ende auch einige Passagen, in denen er sich zu innenpolitischen Fragen äußerte, in denen er seine Partei den Vorwurf machte, dass rechte Wählermilieu zu vernachlässigen, damit den Aufstieg der AfD verschuldet zu haben, das betrübe ihn. Also das waren alles Signale, an denen man ablesen könnte: Na, da hebt jemand den Kopf aus dem Wasser, der will vielleicht noch was werden.
    Hübert: Waren Sie gestern trotzdem noch gespannt an diesem Tag in Berlin auf die Pressekonferenz von Angela Merkel?
    Detjen: Ja, natürlich! Für mich war das so, dass ich seit Mitte letzter Woche aus Gesprächen wahrgenommen habe, da macht sich im Umfeld der Kanzlerin, in der engeren CDU-Führung eine besondere Stimmung breit. Das waren aber sehr diffuse Signale. Das waren eher persönliche Einschätzungen, wo man sich dann auch selber fragen muss: Hat da jemand einen schlechten Tag gehabt? Oder sind Klagen, sind Äußerungen, die man da hört, beziehen die sich auf bevorstehende Ergebnisse? Ich hatte dann da schon eine Ahnung, da könnte sich nach der hessischen Landtagswahl dann in den Tagen tatsächlich eine Entscheidung der CDU-Vorsitzenden ankündigen. Und insofern war bis zum Schluss eigentlich offen, wie Angela Merkel das dann genau machen würde. Und die Erklärung, die sie dann abgegeben hat, diese Rede war ja wirklich ein besonderes Dokument nochmal. Ein Dokument eines politischen Selbstverständnisses, in dem von Verantwortung und auch von Würde die Rede war, eine sehr rationale Erklärung, eine Begründung, die so, glaube ich, niemand vorhersehen konnte. Und die das dann doch zu einem ganz besonderen Ereignis gemacht hat.
    Stephan Detjen ist Chef des Hauptstadtstudios des Deutschlandfunks