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Einbürgerung in Deutschland
Die Briten werden die Polen überholen

Die größte Einbürgerungsbehörde Deutschlands, das Regierungspräsidium Darmstadt, wagt eine Prognose: Die Briten werden bundesweit die Polen als größte Einbürgerungsgruppe aus dem bisherigen EU-Raum überholen. Der Grund: Viele wollen noch die doppelte Staatsbürgerschaft erlangen, bevor Großbritannien aus der EU austritt.

Von Ludger Fittkau | 17.08.2016
    Ein britischer und ein deutscher Reisepass.
    Viele Briten, die in Deutschland leben, wollen künftig beide Pässe besitzen. (picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild)
    Der 26 Jahre alte Brite Jamie Salt arbeitet in einen Kontrollraum der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in Darmstadt. Der junge Raumfahrtexperte probt gerade Landemanöver einer kleinen Weltraumsonde auf dem Mars, die tatsächlich für Oktober dieses Jahres geplant sind. Auf der Erde beschäftigt sich Jamie Salt seit einiger Zeit ganz profan mit seiner Einbürgerung in Deutschland. Grund ist der Brexit:
    "Meine Schwester und ich überlegen jetzt beide, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Seit dem Brexit nehmen wir uns das fest vor und gehen damit voran. Das ist eine Sache, wo man pragmatisch schauen muss. Wenn man eben die Möglichkeit hat und diese doppelte Staatsbürgerschaft – und das ist der Schlüssel – diese doppelte Staatsbürgerschaft beantragen kann, dann ist es von Vorteil, wenn man es jetzt noch macht."
    Denn EU-Bürger, die länger als acht Jahre in Deutschland leben und einen Sprachtest bestehen, können die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen. Es ist auch dem Briten Jamie Salt und seiner Schwester wichtig, den britischen Pass nicht abgeben zu müssen, wenn sie deutsche Staatsbürger werden:
    Jamie Salt und seine Schwester sind typische Fälle
    "In meinem Falle ist es halt so, dass mein Elternhaus rein Englisch war. Das heißt, wir haben zu Hause Englisch gesprochen, wir haben englische Bücher gelesen, aber weil ich im deutschen Schulsystem war und der Großteil meiner Freunde auch Deutsche sind, da fühlt man sich dann irgendwie doch als das Produkt zweier Nationen."
    Jamie Salt und seine Schwester sind ganz typisch für die Briten, die jetzt einen Einbürgerungsantrag in Deutschland stellen, sagt Peter Schlotzer. Er ist der Einbürgerungsexperte des Regierungspräsidiums Darmstadt. Die Briten, die nun einen deutschen Pass beantragen, leben oft schon lange hier und sind gut integriert, so Schlotzer.

    Seine Dienststelle managt die Einbürgerung im gesamten Rhein-Main-Gebiet und ist deshalb die größte Einbürgerungsbehörde Deutschlands. Die Zahl der Einbürgerungen von Briten wird zum Jahresende diejenigen der bisher größten Gruppe in der EU – die Polen – überholen, ist sich Peter Schlotzer sicher:
    Der 26 Jahre alte Brite Jamie Salt an seinem Arbeitsplatz in einem Kontrollraum der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in Darmstadt.
    Der 26 Jahre alte Brite Jamie Salt arbeitet bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in Darmstadt. (Deutschlandradio / Ludger Fittkau)
    "Von den EU-Staaten war- glaube ich - Polen mit ca. 450 der bisher am weitesten verbreitete Staat und ich gehe davon aus, dass die Briten in diesem Jahr alle toppen werden und das wäre dann schon eine größere Überraschung."
    Der Raumfahrtexperte kann nachweisen, dass er für sich selbst sorgen kann
    Jamie Salt und seine Schwester haben sich schon genau darüber informiert, welche Voraussetzungen sie für die Einbürgerung erfüllen müssen:
    "Wir haben Glück, weil in unserem Falle – wir sind natürlich mehr als die geforderten acht Jahre hier und ich glaube, in besonderen Fällen muss man auch nur sechs Jahre hier gewesen sei - wir sind seit 1992 hier gemeldet. Meine Schwester ist hier geboren, also sollte das kein Problem sein. Wenn es um den Einbürgerungstest – um den Sprachtest geht - da habe ich auch Glück, weil ich die deutsche allgemeine Hochschulreife hinter mir habe und das erleichtert das dann auch."
    Damit braucht Jamie Salt keinen eigenen Sprachkurs mehr an der Volkshochschule belegen. Als gefragter Raumfahrtexperte bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA hat er auch keine Probleme nachzuweisen, dass er für sich selbst sorgen kann - eine weitere Einbürgerungsbedingung. Bei den Einbürgerungsanträgen der Briten nach dem Brexit geht es oft auch um den Arbeitsplatz, weiß Peter Schlotzer vom Regierungspräsidium Darmstadt:
    "Das zweite Argument ist, dass sie oft glauben, ihre Arbeitserlaubnis zu verlieren. Oder gegenüber anderen EU-Staatsangehörigen Nachteile zu haben, dass die die Arbeit bekommen. Das sind so die Hauptgründe. Also wirklich schon Existenzängste bei manchen."
    Viele Anrufe aus Großbritannien
    Anders als bei Jamie Salt und seiner Schwester, die aus einem rein britischen Elternhaus stammen, sind auch viele deutsch-britische Familien daran interessiert, Passangelegenheiten zu klären, solange Großbritannien noch in der EU ist. Peter Schlotzer:
    "Ich habe auch Anrufe aus Großbritannien, vor allem aus England bekommen, es gibt sehr viele, die sind deutsch verheiratet. Und dann haben die genauso ihre Ängste artikuliert. Da ist ein Großteil der Gruppe - dass es eben keine rein britische Familien sind, sondern deutsch-britische Familien."
    Für den jungen Briten Jamie Salt ist die Arbeit im internationalen Team der Europäischen Raumfahrtbehörde eine gute Therapie für den Brexit-Schock:
    "Ich arbeite mit einem Russen, mit einem Amerikaner, mit einem Portugiesen, einem Italiener und einem Deutschen - und ich muss sagen, ich fühle mich denen so nahe."
    Daran wird sich nichts ändern, auch wenn er bald die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen sollte. Jamie Salt wird ein Weltbürger bleiben – oder sogar ein Weltraumbürger!