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Eine Frage der Ehre

Unbezahlt: Die Finanzierung politischer Blogs ist unter den Betreibern ein viel diskutiertes Thema. Werbung wird oft vermieden, Leserspenden dagegen sind essenziell. Dennoch wollen viele Autoren auf den Polit-Blogs kommentieren, auch wenn sie kein Geld dafür bekommen.

Von Melanie Longerich |
    Kurz nach neun Uhr abends in einer Reihenaussiedlung am Stadtrand von Goslar. Jens Berger öffnet mit der einen Hand die Haustür und hält mit der anderen Labrador Oskar zurück. Ein kurzes Schnuppern, dann macht es sich der Hund gähnend im Flur gemütlich. Für sein Herrchen fängt der Stress jetzt erst an:

    "Jetzt gehen wir die Treppe hoch."

    In seinem Büro im ersten Stock lässt sich der Blogger in den weißen Schwingstuhl am Schreibtisch fallen und blickt auf die beiden Bildschirme vor ihm. In einer halben Stunde ist Redaktionsschluss beim wohl meistgelesenen Polit-Blog Deutschlands: Den NachDenkSeiten. Seinen eigenen Kommentar hat er schon geschrieben. Jetzt muss Jens Berger noch die "Hinweise des Tages" zusammenstellen: Links zu aktuellen politischen Beiträgen anderer Medien. Die Tippgeber: Die Leser:

    "Da erreichen uns pro Tag so 200 Mails von unseren Lesern, teilweise mit guten Artikeln, auf die wir gerne hinweisen, teilweise aber auch auf schlechte Artikel, halt genau die Meinungsmache, die wir auch in unserer redaktionellen Arbeit immer wieder brandmarken."

    Seit einem Jahr betreut Jens Berger als festangestellter Redakteur die NachDenkSeiten. 60.000 Leser zählt man hier täglich – viele Regionalzeitungen träumen von solchen Zahlen. Herausgegeben wird der Blog von den beiden ehemaligen SPD-Politikern Albrecht Müller und Wolfgang Lieb, die Berger bei seiner Arbeit freie Hand lassen. Denn der ist unter deutschen Polit-Bloggern schon lange eine feste Größe. Sein eigenes politisches Blog "Spiegelfechter" ging 2006 an den Start – noch in der Frühphase der deutschen Bloggerkultur. Der Volkswirt - damals noch in der PR-Abteilung eines Wasserversorgers - wollte sich Luft machen über die SPD-Agendapolitik mit ihren Hartz-IV-Gesetzen, die seiner Meinung nach zu wenig kritisch reflektiert wurden:

    "Da ist dann halt die Leidenschaft mit mir durchgegangen, und ich hab mir gedacht, wenn die klassischen Medien nicht darüber schreiben, irgendwer muss darüber schreiben, dann musst du es halt selber machen."

    Ein klassischer Quereinsteiger, sagt er – einer der Glück hatte. Neben seiner Redakteursstelle bei den NachDenkSeiten, arbeitet Jens Berger auch noch für den Spiegelfechter - als Herausgeber. Dort kommentieren zu können, ist für freie Autoren eine Frage der Ehre. Geld bekommen sie nicht – weil keines da ist. Und doch wollen viele hier schreiben. Denn wer bloggt, muss keine Rücksicht nehmen: weder auf Verleger noch auf die Lokalpolitik. Für Vera Lisakowski, Projektleiterin für den Online-Award beim Grimme Institut, bereichern Blogs genau deswegen die Meinungsvielfalt:

    "Zum einen natürlich, weil man Denkanstöße bekommt, die man vielleicht sonst nicht bekommt, vielleicht auch gerade, weil es Blogger gibt, die lebendiger schreiben, als ich es in einer Zeitung oder sowas lesen würde, vielleicht sogar, weil sie eben keine Journalisten sind, diesen Fall gibt es ja durchaus, und damit ganz anders an Sachen rangehen, gar nicht so ausgewogen, sondern wirklich mal die Meinung sagen, und das ist doch auch sehr schön, das ist ja auch etwas, was man auch mal lesen möchte – als Ergänzung."

    Schon politische Blogger gibt es in Deutschland nicht viele, die davon leben können – wie Jens Berger - gerade mal eine Handvoll. Finanzen seien deshalb unter Bloggerkollegen ein großes Thema – wenn auch niemand darüber sprechen wolle, sagt Berger: Besonders das Thema Werbung sei vermintes Gelände. Ist das nun ein Angriff auf die journalistische Unabhängigkeit – oder nicht? Berger selbst sieht das pragmatisch. Der Spiegelfechter arbeitet mit Werbung – solange sie inhaltlich vertretbar ist. Die NachDenkSeiten hingegen verzichten völlig darauf, finanzieren sich komplett über Leserspenden. Eines der wenigen Blogs in Deutschland, das davon einen Redakteur bezahlen kann. Für Vera Lisakowski ein Finanzierungsmodell mit Potenzial:

    "Es kann durchaus sein, dass die Leser die Leistung eines einzelnen Bloggers – oder auch eines Blogger-Teams – so sehr schätzen, dass sie bereit sind, dafür wirklich zu zahlen bzw. zu spenden, weil eben wirklich eine persönliche Beziehung besteht zwischen Autor und Leser."

    Eine Beziehung, die deutlich enger sei, als die von Lesern zum Webauftritt ihrer Tageszeitung. Trotzdem: So einfach ist das für Jens Berger nicht. Spende sei eben nicht gleich Spende. Da gibt es Mikrospenden in Centbeträgen, wie sie Leser etwa über den Internetbezahldienst Flattr verteilen können. Dafür wird ein spezieller Knopf auf der Seite des Bloggers installiert. Bei Jens Berger bringen diese Mikrospenden gerade Mal 40 Euro monatlich. Und Großspenden – etwa von Stiftungen oder Firmen, seien nur bedingt attraktiv, weil …

    "… so ein Mäzenatentum natürlich auch immer an Inhalte gebunden ist. Wer spendet für was? Und dadurch verliert man natürlich seine Freiheit."

    Am liebsten ist dem Blogger die Leserspende von berechenbaren 20 Euro im Quartal. Eine gute Summe, qualitative Arbeit aufrecht zu erhalten, um künftig auch Korrektiv und Ergänzung zu den Leitmedien zu sein, sagt der 39-Jährige, schaut auf die Uhr:

    " Zwanzig Sekunden, dann bin ich hier fertig … jetzt schicke ich die Hinweise ab, also ich maile sie an unseren Administrator, damit er sie einstellen kann. Dann ist für heute Schicht… So, weg sind sie."

    Ein guter Tag, sagt er und lehnt sich zufrieden zurück. Ob das die Leser auch so sehen, wird er spätestens am nächsten Morgen wissen: Ein Blick in sein Mailpostfach und auf die Kommentarleiste der Webseite genügt. Das direkte Feedback von den Lesern ist genau das, was er am Bloggen mag.