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Eine Lange Nacht über Laurence Sterne
Der Erfinder des modernen Romans

Alte Bärte schnitt er ab, mit humorvoller und erotischer Anspielung. Mit seinen Romanen brachte Laurence Sterne zu Lebzeiten einige gegen sich auf, hatte aber auch schon eine große Fangemeinde. Er gilt als Erfinder des modernen Romans. Vor 250 Jahren, am 18. März 1768, starb er in London.(*)

Von Michael Langer | 17.03.2018
    Der Schriftsteller Laurence Sterne (1713-1768) auf einer Zeichnung Louis Carmontelle
    Der Schriftsteller Laurence Sterne (1713-1768) auf einer Zeichnung Louis Carmontelle (imago / United Archives)
    Laurence Sterne (1713 - 1768) zählt zu den ganz Großen der Weltliteratur. Seine Werke sind Klassiker für die Ewigkeit. Doch nicht erst nach seinem Tod am 18. März 1768 wurde ihm viel Ruhm zuteil, sondern bereits zu Lebzeiten genoss er die Ehre und feierte rauschende Erfolge mit seinem "Tristram Shandy". Und auch seine "Empfindsame Reise" verschaffte ihm höchste Popularität.
    Noch immer gilt er als einer der kühnsten Experimentatoren des Romans. Henry James, Marcel Proust und James Joyce bezogen und beriefen sich auf ihn. Virginia Woolf bezeichnete ihn ausdrücklich als ihren Lehrmeister. Als Jean Paul seinerzeit den Briten für sich entdeckte, jubelte er aus ganzem Herzen: "Auf dass die Trommel gerühret sei - uns ist ein Sterne geboren!".
    Am 24. November 1713 kam Laurence Sterne in Irland als Sohn eines englischen Offiziers zur Welt. Ein Onkel ermöglichte ihm das Theologiestudium in Cambridge. Als Landpfarrer wirkte er in der Nähe von York, und schon bei seinen Predigten führte er die spitze Feder. Eine Lange Nacht zu seinem 250. Todestag am 18. März 1768.
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    Erfolgsroman "Tristram"
    In Laurence Sternes Leben stellten sich Ruhm und Ehre spät, dafür umso rascher ein. Mit 46 Jahren gelang dem bis dahin unbekannten Landpfarrer mit seiner ersten literarischen Veröffentlichung "Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman" ein überwältigender Erfolg. Neun Bände sollten insgesamt zwischen 1759 und 1766 erscheinen.
    Als die gelehrten Literaten im 18. Jahrhundert gerade erst damit beschäftigt waren, den Roman poetologisch mit Gattungstheorien zu bestimmen, da waren es die Leser gewohnt, die Geschichte eines Helden vom Anfang bis zum Ende hin geradewegs zu verfolgen, schnurstracks, ohne Umwege, von Abenteuer zu Abenteuer. Der Roman hatte eine lehrreiche Bedeutung und war - bei aller Unterhaltung - eine moralische Lektion.
    Zu jener Zeit trat nun Sterne auf mit seiner eigenwilligen, radikalen Konzeption. Anders, als im Titel geschrieben, erfährt man über das Leben des Titelhelden so gut wie nichts: Im ersten Buch wird er gezeugt, im dritten erst geboren, im vierten getauft, im sechsten bekommt er sein erstes Paar Hosen. Wie Tristrams Physiologie in Unordnung und die gesamte Temperamentenlehre von der Antike bis zur Aufklärung ins Wanken gerät, ist eine Geschichte von der herrlichsten Pedanterie, die Sterne als heiteren Ausdruck einer absonderlichen Ideenverknüpfung erzählt, mit der er - ganz auf der Höhe der Philosophie seiner Zeit - gewitzt, aber respektvoll den "scharfsinnigen" John Locke und die Theorie des Empirismus unterläuft.
    In einer Art sokratischem Dialog zwischen Autor und Leser werden Meinungen und Ansichten vorgeführt und der Zweifel genährt an eingefahrenen Denk- und Alltagsgewohnheiten. Auf die Chronologie von Ereignissen wird dabei keinerlei Rücksicht genommen.
    Das literarische Salz ist Sternes viel berufene Erzähltechnik der Digression: das ständige Abschweifen in Anekdoten und Satiren, in philosophische Dispute und Essays, die Fülle der weitschweifigen Alltagsbetrachtungen.
    Aber nicht nur was gesagt wird, sondern wie es aussieht, wenn es geschrieben steht, hat in diesem Klassiker große Bedeutung. Sterne macht den Text auch zum typografischen Ereignis: überlange Gedankenstriche, Fußnoten, allerlei Asterikse als Auslassungszeichen - falls es zu unanständig wird und darüber hinaus: Klammern und Hinweishändchen als Querverweise, verschlungen gezeichnete Linien, eine schwarze und eine marmorierte Seite als "buntscheckiges Sinnbild des Werks" - all das führt durch die Kapitel, von denen mehrere nur aus einem Satz bestehen, andere wiederum völlig ausgelassen, doch dadurch zur bedeutsamen Leerstelle werden:
    " - - - Ganz recht, Sir - hier fehlt ein ganzes Kapitel - - und im Buch ist eine Lücke entstanden - doch weder ist der Buchbinder ein Narr, ein Schlitzohr oder Gimpel - noch ist das Buch deswegen um ein Jota weniger vollkommen (wenigstens in dieser Hinsicht) - sondern im Gegenteil, das Buch ist ohne das Kapitel vollkommener und vollständiger, als es das mit ihm wäre…"
    Anspielungen im Text
    Die eindeutigen Zweideutigkeiten, die sich durchs Sternes Bücher ziehen, konnte keiner missverstehen. Die sexuellen Anspielungen sorgten nicht nur für Heiterkeit, sondern erregten auch die Gemüter - und der Verfasser machte sich einen Spaß daraus: Erschien ihm eine Metapher zu deftig, dann bediente er sich seiner Sternchen, mit denen er die allzu ausgelassenen Buchstaben ersetzte. Oder er brach mit der rhetorischen Figur der Aposiopesis den Satz einfach ab, um die folgende Leerstelle eigens zu betonen und dem Leser die Ergänzung des Verschwiegenen zu überlassen.
    "Unter all den Abhandlungen, welche sich mein Vater zur Stützung seiner Hypothese mit Mühe zu verschaffen wusste und studierte, gab es keine, die ihn anfangs grausamer enttäuschte als der berühmte Dialog zwischen Pamphagus und Codes, aus der keuschen Feder des großen und venerablen Erasmus, handelnd vom diversen Nutzen und schicklichen Gebrauch langer Nasen. –– Nun gib aber acht, mein liebes Mädchen, wenn sich’s irgendwie machen lässt, dass sich der Satan in diesem Kapitel nicht irgendeine Anhöhe zunutze macht, um deine Imagination zu besteigen; oder sollte er dennoch so fix sein, draufzuschlüpfen, –– so bitt’ ich dich, wie ein unbestiegnes Füllen zu hüpfen, zu trippeln, zu springen, hochzusteigen, zu bocken, – und mit langen und kurzen Tritten auszukeilen, bis du wie Butzelmann’s Kobel einen Schwanzriemen oder einen Gurt sprengst und den Junker in den Dreck wirfst. ––– Gleich totzumachen brauchst du ihn nicht. -" (Kap XXXVI)
    In der ersten Werkausgabe, die im Frühjahr 2018 erscheinen wird, hat der Übersetzer Michael Walter die vielen Anspielungen erläutert. Über Butzelmann und seiner Kobel steht da unter der Anmerkung 262:
    "Im englischen Text steht hier "Tickle-toby’s mare": dies wiederum ist Urquharts Übersetzung für "Tappecoue’s fille"; dieser Tappecoue nun figuriert in Rabelais’ "Gargantua", Buch IV, Kap. 13; dort heißt es von ihm: "Am Sonnabend darauf erfuhr Villon, dass Tappecoue auf der Klosterjungfrau – so nannten sie eine noch unbesprungene Stute – zum Einsammeln von Almosen nach Saint-Liguaire geritten sei ..." "Tickletoby" ist ein Slangausdruck für den Penis, und in Luthers "Liber vagatorum" steht für den Penis eben der "Butzelmann". Das Wort "Kobel" ist nun laut dem "Grimmschen Wörterbuch" "ein merkwürdiges Wort". Es bedeutet: Stute, aber auch schlechtes Pferd, equus deterior."
    Über Michael Walter:
    Michael Walter ist Übersetzer der nun erscheinenden Werkausgabe über Laurence Sterne. Für seine Arbeiten wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet. Aktuell erhält er im Mai den Europäischen Übersetzerpreis Offenburg.
    Michael Walter gibt auch ein Beispiel zur Musikalität des Textes, am Beispiel der Szene "Tod Le Fevers":
    "Dieses Kapitel hat einen interessanten großen Komponisten jener Zeit beeinflusst und inspiriert: den deutschen Carl Friedrich Abel, einen Virtuosen auf der Viola da Gamba. Abel machte in England seinen Weg. Und es ist durchaus möglich, dass Sterne ihm begegnete und bei einem seiner Konzerte war. Man weiß es nicht. Sicher ist aber, dass Carl Friedrich Abel von Sterne begeistert war und über dessen Texte improvisierte."
    Bewertung seines Werks
    Ganz auf der Höhe der Zeit und im Sinne John Lockes damals gerade viel diskutiertem "Essay Concerning Human Understanding" knüpft Tristram die Assoziationenketten und verbindet allerlei Ideen miteinander, nicht ohne die Theorie des Empirismus zuweilen gewitzt zu unterlaufen, indem er etwa die verschiedenen Charaktere eingehend dabei beobachtet, wie sie ihre Steckenpferde (aus)reiten. Sterne ist hier als Erster mit einer für das 18. Jahrhundert erstaunlich scharfen psychologische Sichtweise den menschlichen Eigenheiten auf der Spur, von denen Goethe - voller Bewunderung für diese schriftstellerische Entdeckung des Themas - sagte, sie seien das, was das Individuum konstituiere.
    Eine Büste des Dichters Johann Wolfgang von Goethe
    Eine Büste des Dichters Johann Wolfgang von Goethe: Auch er verehrte Laurence Sterne. (dpa / picture alliance / Uwe Zucchi)
    Auch auf dem Kontinent machte Sternes Name die Runde. In Deutschland, wo seine Wirkung so enorm war wie nirgends sonst, beeindruckte er Georg Christoph Lichtenberg gleichermaßen wie Gotthold Ephraim Lessing, begeisterte er Philosophen und Dichter wie Jean Paul - und später auch Heinrich Heine, Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche. Selbst Johann Wolfgang von Goethe, den von der eigentümlichen ästhetischen Qualität eines Werks zu überzeugen nie leicht war, gestand, wie unendlich viel er Sterne zu verdanken habe. Noch im Jahr 1830 schrieb er:
    "Ich habe diese Tage wieder in Sternes Tristram hineingesehen, der, gerade als ich ein unseliges Studentchen war, in Deutschland großes Aufsehen machte. Mit den Jahren nahm und nimmt meine Bewunderung zu; denn wer hat Anno 1759 Pedanterey und Philisterey so trefflich eingesehen und mit solcher Heiterkeit geschildert. Ich kenne noch immer seines Gleichen nicht in dem weiten Bücherkreise."
    Auch heute noch ist dieser Klassiker der Weltliteratur richtungsweisend. Sterne wird als Erfinder des modernen Romans im allgemeinen und des psychologischen im besonderen angesehen. Erzählerische Strukturelemente wie der innere Monolog oder die Stream-of-consciousness-technique, die die scheinbar ungeordnete Folge von Bewusstseinsinhalten wiedergibt, werden auf ihn zurückgeführt. Henry James, Marcel Proust und James Joyce bezogen und beriefen sich auf Sternes Werk, und Virginia Woolfe bezeichnete ihn ausdrücklich als ihren Lehrmeister.
    Patrick Wildgust, Direktor von Shandy Hall, Kurator des Laurence Sterne Trust:
    "Ich glaube, die Leute mögen Sterne und seinen Tristram Shandy zum einen, weil er sie dazu ermuntert, ihre eigene Vorstellungskraft zu bemühen und mitzudenken, das fordert er ja geradezu heraus. Und zum anderen ist er halt ziemlich lustig."
    Sternes weiteres Wirken
    Sterne hatte den Ruf eines Exzentrikers, der leidenschaftlich seinen Lieblingsbeschäftigungen nachging: dem Spielen der Viola da Gamba, der Malerei, der Lektüren und auch der Jagd. Seinen Beruf als Pfarrer nahm er ernst, wenn auch ohne übertriebene Frömmigkeit und Pedanterie.
    Im Jahr 1750 hielt Sterne seine berühmte, noch von Voltaire gelobte Predigt "Über den Missbrauch des Gewissens".
    "Denn wir getrösten uns deß, dass wir ein gut Gewissen haben. — Wahrhaftig, wenn es etwas in diesem Leben gibt, worauf sich der Mensch verlassen darf und zu dessen Kenntnis er mit der untrüglichsten Gewissheit gelangen kann, so ist es dies, - ob er ein gutes Gewissen hat oder nicht."
    Sterne nahm diese Predigt zehn Jahre später in den zweiten Band seines Tristram Shandy auf, um Hausvater Walter, Onkel Toby, Korporal Trim und Dr. Slop über die Angelegenheit aus den verschiedenen Blickwinkeln der Konfessionen disputieren zu lassen. Er schreibt dabei die Predigt seinem unkonventionellen Pfarrer Yorick zu.
    Denn: Im Jahr 1760, als der "Tristram Shandy" in der Londoner Gesellschaft die Runde machte, veröffentlichte Sterne auch die beiden ersten Bände seiner gesammelten Predigten unter dem Titel "The sermons of Mr. Yorick". Nicht genug damit, so empörten sich Kritiker, dass ausgerechnet ein Landpfarrer sich über erotische Fragen ausließ und seine Freude an sexuellen Anspielungen nicht zügelte.
    Er hatte auch in seinem Roman Predigttexte neben satirische gestellt. Und jetzt folgten auch noch seine eigenen ernsten moralischen Predigten mit dem Namen eines rebellischen Pfarrers und Hofnarren als Verfasser: Yorick war der aus "Hamlet bekannte Spaßmacher vom dänischen Königshof. Sterne aber war gewappnet gegen jedwede Kritik. Dr. Warburton, dem Bischof von Gloucester, einem ehemaligen Gönner, der zum erklärten Gegner geworden war, antwortete er auf dessen Ratschlag hin, sich in seinen Büchern zu mäßigen:
    "Seien Sie versichert, Mylord, dass ich nie mit Wissen oder Willen irgend einen Sterblichen durch irgend etwas, was in meinen Augen nach der kleinsten Verletzung des Anstands und der guten Sitten aussieht, beleidigen möchte; aber trotz aller Vorsicht eines Herzes, das frei ist von Ärgernis und von der Absicht, Ärgernis zu geben, fällt es mir beim Schreiben eines Buches, wie es der Tristram Shandy ist, zuweilen schwer, alles in ihm so stark zu verstümmeln, dass es der prüden Gemütsverfassung eines jeden kleinlichen Menschen gefällt."
    Sentimental Journey
    Als Johann Joachim Bode die 1768 erschiene "A Sentimental Journey Through France and Italy" ins Deutsche übertrug, hatte er seine liebe Mühe mit dem Wort sentimental. Alle möglichen Ausdrücke und Umschreibungen hatte er ausprobiert, doch erst sein Freund und Ratgeber Lessing prägte schließlich das Epoche machende Wort. In der Einleitung zu seiner Übersetzung zitiert Bode Gotthold Ephraim Lessing:
    "Hier sind seine eigenen Worte: "Es kommt heute darauf an, Wort durch Wort zu übersetzen; nicht eines durch mehrere zu umschreiben. Bemerken Sie sodann, dass sentimental ein neues Wort ist. War es Sternen erlaubt, sich ein neues Wort zu bilden, so muss es eben darum auch seinem Übersetzer erlaubt sein. Die Engländer hatten gar kein Adjectivum von Sentiment: Wir haben von Empfindung mehr als eines. Empfindlich, empfindbar, empfindungsreich: aber diese sagen alle etwas anderes."
    In dem Buch bricht Reverend Yorick aus gesundheitlichen Gründen zu einer Reise nach Italien und Frankreich auf. Darin lässt Sterne den Leser an humorvollen und erotischen Abenteuern teilhaben. Das Besondere an dem Roman ist sein Stil.
    "Dies bringt mich … sowohl zu den Beweg- als zu den Zweckursachen des Reisens – und zu einer anderen Sorte Gentlemen, die ich kenntlich machen werde mit der Bezeichnung Einfache Reisende. Sonach reduzieret sich der ganze Zirkel der Reisenden auf folgende Rubriken. Müßige Reisende, Wissbegierige Reisende, Lügnerische Reisende, Dünkelhafte Reisende, Eitle Reisende, Milzsüchtige Reisende. Und endlich (mit Verlaub) Der Empfindsame Reisende (worunter ich meine eigene Wenigkeit verstehe) als welcher gereiset ist, worüber Rechenschaft abzulegen ich mich nunmehr niedersetze."
    Die letzten Lebensjahre
    In Coxwold, etwa 30 Kilometer nördlich von York gelegen, verlebte Sterne noch einige schöne Jahre. Er fühlte sich dort besonders wohl und taufte das Pfarrhaus "Shandy Hall". Es wurde ihm zum Refugium, "zum köstlichen Zufluchtsort" seiner letzten Jahre.
    Über Coxwold
    Heute zählt dieses Dorf 150 Einwohner. Uund Shandy Hall ist ein dem Autor gewidmetes Museum, in dem der Kurator Patrick Wildgust lebt. Shandy Hall ist ein anerkanntes Museum, das man zu bestimmten Zeiten für etwas Eintrittsgeld besuchen kann, oder auch nach Terminvereinbarung. Es beherbergt Laurence Sternes Werke, seine Briefe und seine Predigten. Das Programm in Shandy Hall und die Unternehmungen des Laurence Sterne Trust sind vielfältig und interdisziplinär. Es gibt Workshops für Schüler und Studierende. Man arbeitet mit den unterschiedlichsten Künstlern zusammen.
    Zu den vielleicht wichtigsten Briefen, die Sterne auch als politischen Kopf der Aufklärung zeigen, gehört sein Antwortschreiben an einen Ignatius Sancho, einem Komponisten und Schriftsteller, aus dieser Zeit: Sancho war der erste Afrikaner, von dem man weiß, dass er bei einer britischen Wahl seine Stimme abgab. Und der erste, der einen Nachruf in der Presse erhielt – er starb 1780. Im Jahr 1766 hatte er Sterne geschrieben und sich folgendermaßen vorgestellt: "Ich bin einer von denen, die von ordinären und engstirnigen Leuten "Negurs" genannt werden." Sancho erklärte, Sternes Predigten hätten sein Herz tief berührt, besonders eine, in der Sterne auch auf die Leiden der Versklavten eingegangen war, und bat den bewunderten Autor nun, noch einmal eine halbe Stunde für die Sklaven auf den westindischen Inseln zu erübrigen.
    "An Ignatius Sancho, Coxwold bei York, 27. Juli 1766. In den kleinen, (wie in den großen) Begebenheiten dieser Welt, Sancho, treffen die Dinge so wundersam zusammen: denn ich hatte eben eine zärtliche Geschichte vom Leiden eines freundlosen, armen Negermädchens geschrieben; und meine brennenden Tränen waren kaum versiegt, da erreichte mich Euer Empfehlungsschreiben zugunsten so vieler ihrer Brüder und Schwestern - aber warum denn ihrer Brüder? - oder Eurer, Sancho! Und nicht ebenso meiner? Über die feinsten Tinten und unmerklichsten Abtönungen geht die Natur vom blassesten Teint von St. James bis zur rußschwärzesten Hautfarbe in Afrika über: Und bei welcher dieser Tinten sollten wohl die Blutsbande enden? Und wie viele Schattierungen müssen wir auf dieser Skala noch weiter hinabsteigen, ehe die Barmherzigkeit mit ihnen verschwindet? - Es ist aber nichts Ungewöhnliches, mein guter Sancho, dass die eine Hälfte der Welt die andere wie Tiere behandelt und sich dann bemüht, sie zu solchen zu machen. Ich, meines Teils, blicke (wenigstens in schwermütiger Stimmung) nie nach Westen, ohne an die Bürde zu denken, die unsere Brüder & Schwestern dort tragen - & könnte ich auch nur eine Unze von ihren Schultern nehmen, so versichere ich, diese Stunde noch wollte ich zu ihrem Heil eine Wallfahrt gen Mekka antreten – was nebenher bemerkt, Sancho, Euren zehn Meilen weiten Gang ungefähr ebenso stark übertrifft, wie ein Besuch aus Menschenfreundlichkeit eine bloß förmliche Visite überträfe - hättet Ihr sie aber vielmehr meinem Onkel Toby machen wollen - so stehet er in Eurer Schuld. Kann ich die Geschichte, welche ich geschrieben, dem Werk, woran ich bin, einverweben – so dient es den Bedrängten – und einer noch größeren Sache; denn in allem Ernste und mit aller Wahrheit gesprochen, es wirft einen düsteren Schatten auf die Welt, dass ein so großer Teil von ihr so lange in Ketten der Finsternis & in Ketten des Elends gefesselt gewesen und noch jetzt gefesselt ist; & ich kann Euch nur ehren & beglückwünschen, dass Ihr mit soviel rühmlichen Fleiß jene zerbrochen habt – & dass die Vorsehung, indem sie Euch einer so guten und mitleidvollen Familie zuführte, Euch von diesen befreite."
    Produktion dieser Langen Nacht:
    Autor & Regie: Michael Langer, Sprecher: Michael Langer, Claudia Mischke, Jonas Baeck, Tilman Leher, Josef Tratnik, Redaktion: Dr. Monika Künzel, Webproduktion: Jörg Stroisch
    (*) In der ursprünglichen Version des Vorspanns war der falsche Ort angegeben, an dem Laurence Sterne verstorben ist.