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Endstation Palermo

Viele Flüchtlinge in Italien sind in eine Sackgasse geraten, weil sie entweder festsitzen oder festgenommen wurden. Die italienische Regierung unternimmt weder etwas zu ihrer Rückführung noch zu ihrer Eingliederung. Ein Franziskaner-Bruder in Palermo zeigt, dass es auch anders geht.

Von Karl Hoffmann | 13.10.2010
    Pünktlich um zwölf Uhr mittags wird in der lang gestreckten Leichtbauhalle der Obdachlosenmission das Essen ausgegeben. An den beiden Tischreihen nehmen etwa 200 Männer Platz. Die allermeisten sind Afrikaner, die nicht mehr weiter wissen. Wie etwa Ali Montaka aus Ghana, der vor zwei Jahren nach Italien gekommen war, keine Arbeit fand und sein Glück deshalb in Deutschland versuchen wollte.

    "Ich hatte ein paar Äcker in meinem Heimatland. Ich sagte meiner Familie, sie sollten sie verkaufen, so hatte ich 340 Euro und fuhr nach Deutschland. Dort nahmen sie mir das Geld ab. Und so kam ich wieder zurück nach Italien."

    In Deutschland war Ali zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil er zwar eine italienische Aufenthaltserlaubnis hatte, aber keinen gültigen Pass. Sein Startkapital wurde eingezogen, eine Art Abschiebegebühr: 340 Euro für ein Lufthansaticket München - Rom, one way. Ali zeigt die Quittung mit dem Betrag und dem Zusatz in tadellosem Amtsdeutsch "Sicherheitsleistung für die Zurückschiebung". Jetzt sitzt er in Palermo fest und versucht mehr schlecht als recht zu überleben:

    "Ich gehe abends in die Stadt und diene mich als Parkwächter an. So bekomme ich sieben, acht Euro zusammen, damit ich mir wenigsten saubere Kleider leisten kann."

    Ali übernachtet mit ungefähr 300 anderen Immigranten einem riesigen Schlafsaal, restlos gefüllt mit Matrazenlagern. Mit Hilfe von Spenden hat der Franziskanerbruder Biagio Conte den Saal in den letzten Jahren hergerichtet. Oft beherbergt er in seiner Mission gleich hinter dem Hauptbahnhof von Palermo weit über 500 Menschen. Das Gedränge ist größer als je zuvor. Obwohl der Immigrantenstrom von Afrika nach Europa seit gut einem Jahr unterbrochen ist, seitdem europäische und libysche Polizei- und Marineeinheiten entlang der nordafrikanischen Küste Flüchtlinge zurückschicken.
    "Der Notstand ist deswegen keinesfalls beendet. Und wir machen uns Sorgen, wie die Menschen jetzt weiterkommen, die nicht mehr über das Meer gelangen. Menschen, die auf der Flucht sind und über deren Schicksal man nichts mehr weiß. Wir sind besorgt und legen sie in Gottes Hände. Seit der Flüchtlingsstrom abgeschnitten ist, haben wir keine Informationen mehr aus Libyen. Es ist totenstill geworden."

    Biagio Conte hilft armen, obdachlosen und mittellosen Menschen seit gut 20 Jahren. Die derzeitige Wirtschaftskrise spürt er deutlich. Nicht nur Italiener, sondern vor allem Immigranten verlieren ihren Job und ihre Bleibe, Opfer der Wirtschaftskrise, die nicht mal mehr unterbezahlte Schwarzarbeit finden, keine Papiere und kein Geld haben, um in ihre Heimat zurückzukehren. Einst war die Mission in Palermo ein Durchgangslager für Neuankömmlinge. Heute wird sie mehr und mehr zur Endstation für mittellose Rückkehrer. Dabei sind die Immigranten für Biagio Conte keinesfalls eine Last, sondern vielmehr eine Bereicherung:

    "Sie kamen zu uns in der festen Absicht, sich zu integrieren. Natürlich brauchen sie jetzt Hilfe, aber damit vergelten wir ja nur ihren Einsatz für unser Italien und unsere Gesellschaft. Denn die Immigranten erledigen all die Arbeiten, die wir selber nicht mehr machen wollen."

    Doch ihre Chancen auf Integration, auf Aufenthaltsrecht oder gar Asyl sinken bei der immer restriktiveren Ausländerpolitik der italienischen Regierung. Ausländer erhalten kaum mehr ordentliche Papiere, Asylersuchen werden in der Regel abgelehnt, viele der Illegalen landen im Gefängnis und sollen Geldstrafen bezahlen, ohne selbst einen Cent zu besitzen. Und zwar oft ohne Schuld.

    Jose Francis Kelly beispielsweise wäre nie auf den Gedanken gekommen, sein Heimatland Ghana zu verlassen. Der 29-jährige Lehrer war auf dem Weg in die Schule, als er einen tragischen Unfall hatte, bei dem ein kleiner Junge ums Leben kam.

    "Man hat mich verhaftet und beinahe zu Tode geprügelt, also musste ich fliehen erst nach Libyen und dann hierher. Ein Jahr und vier Monate war ich in einem Immigrantenlager, kürzlich bekam ich meinen Ausweisungsbescheid. Innerhalb von fünf Tagen sollte ich Italien verlassen. Aber ich kann nicht mehr nach Hause zurückkehren."

    Er versteht nicht, warum man ihm das Recht auf Asyl verwehrt.