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Erfolg mit Immuntherapien
Euphorie unter Krebsforschern

Immuntherapien bekämpfen Tumore, indem sie das körpereigene Immunsystem anregen, den Tumor anzugreifen. Lange Zeit schien die Entwicklung dieser Medikamente kaum voranzukommen. Jetzt aber häufen sich die Studien, die von Erfolgen berichten. Manche Forscher sind geradezu euphorisch, andere betrachten die Aufregung mit Skepsis.

Von Katrin Zöfel | 09.10.2015
    Krebsforscher haben es mit einem übermächtigen, tödlichen Gegner zu tun. Die Versuchung ist groß, auch den kleinsten Fortschritt wie einen Sieg zu feiern, auch wenn es nur um ein paar Monate mehr Lebenszeit für die Patienten geht. Von außen betrachtet wirkt das manchmal seltsam. All der Aufwand für ein paar Monate mehr, die dazu noch oft durch starke Nebenwirkungen überschattet sind. Doch zurzeit, so scheint es, bahnt sich etwas grundsätzlich Neues an.
    "Es gibt sehr viel Aufregung um die sogenannten Immuntherapien. Nach einem Jahrzehnt voller Arbeit, die kaum Erfolge brachte, häufen sich jetzt positive Studienergebnisse, zunächst nur bei Haut- und Lungenkrebs, aber inzwischen auch bei insgesamt 15 weiteren Krebsarten. Überall sehen wir, dass die Patienten länger leben."
    Patienten profitieren
    Richard Sullivan ist Experte für Gesundheitssysteme am King's College in London, er betrachtet die Dinge immer ein wenig aus der Vogelperspektive. Die neuen Immuntherapien, sagt er, könnten die Krebstherapie tatsächlich langfristig verändern. Eine der vielen Studien, die zurzeit positive Ergebnisse bringen, hat Padmanee Sharma von der University of Texas in den USA geleitet. Sie hat 400 Patienten mit Nierenkrebs mit einem der sogenannten Checkpoint Inhibitoren behandelt, einem Wirkstoff, der das Immunsystem am Herunterfahren hindert, also praktisch dauerhaft aktiviert. Für belastbare, langfristige Aussagen ist es noch zu früh, doch die ersten Daten zeigen, dass die Patienten tatsächlich profitieren. Padmanee Sharma hofft, dass dieser Effekt anhält.
    "Diese Therapien könnten einen "Memory-Effekt" auslösen, so ähnlich wie Infektionen oder Impfungen. Das Immunsystem könnte sich womöglich auch lange Zeit später noch an die Krebszellen erinnern, und sie sofort wieder bekämpfen, wenn der Tumor zurückkehren und wieder wachsen sollte."
    Mischung aus Hoffnung und Enttäuschung
    Bisher sind zwei dieser Checkpoint-Inhibitoren in der Endphase der klinischen Testung. Für mehrere weitere Wirkstoffe, die jeweils etwas anders funktionieren, beginnen gerade die ersten klinischen Tests. Nicht zuletzt das Tempo, mit dem zurzeit neue Ergebnisse publiziert werden, erzeugt so etwas wie Euphorie unter jenen, die jahrelang Zeit und Arbeit in dieses Konzept gesteckt haben. Die niederländische Onkologin Elisabeth de Vries hat in ihrer Karriere schon viele Zyklen aus Hoffnung und Enttäuschung mitgemacht.
    "Ich fand es noch nie so schwer vorauszusehen, wo wir in ein paar Jahren stehen werden. Vielleicht ist das wirklich ein Durchbruch. Alle paar Wochen gibt es neue Studienergebnisse. Gleich mehrere Pharmafirmen arbeiten an neuen Wirkstoffen. Es ist eine aufregende Zeit."
    Für Richard Sullivan sieht die Sache aus seiner Vogelperspektive betrachtet etwas anders, auch wenn er die Erfolge der Immuntherapie durchaus ernst nimmt. Doch er setzt sie in Relation zu anderen Methoden.
    "Es ist noch sehr früh. Wir wissen nicht, ob es zu unerwarteten Nebenwirkungen kommen wird, oder ob die Patienten wirklich so viel länger leben, wie wir jetzt hoffen. Dazu kommt die Frage der Kosten. Die neuen Medikamente sind so teuer, dass wir sie uns irgendwann gar nicht mehr werden leisten können. Dann nutzen sie niemandem etwas. Wir müssen uns zwei Dinge fragen: Erstens: Können und wollen wir die hohen Preise akzeptieren? Und zweitens: Bringt es nicht vielleicht viel mehr, wenn wir Geld in bessere Operationen oder Strahlentherapie stecken oder in ein System, das für frühere, genauere Diagnosen sorgt?"
    Vermutlich wird es sich erst in einigen Jahren sagen lassen, ob die Euphorie der Forscher wirklich gerechtfertigt ist. Doch klar ist jetzt schon, dass sich die Mediziner in Zukunft mehr Gedanken darüber machen müssen, mit welcher Methode sie für wieviel Geld wieviel erreichen können.