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Erinnerung an die Weiße Rose

Hans und Sophie Scholl waren aktiv im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, warfen Flugblätter in den Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität in München und wurden vom Regime 1943 ermordet. An der LMU gibt es eine Gedenkstätte und eine jährliche Gedenkvorlesung.

Von Michael Watzke | 30.01.2013
    Heute Mittag vor dem Portal der Ludwig-Maximilians-Universität: Gärtnermeister Oliver Kronthaler lädt ein Blumengesteck von seinem Lastwagen:

    "Das ist der Kranz des Bundespräsidenten, den er heute Abend niederlegen wird."

    Ein Kranz mit roten und gelben Rosen für die "Weiße Rose". Jene Widerstandskämpfer um die Geschwister Scholl, die das Nazi-Regime 1943 hinrichten ließ. Vor genau 70 Jahren.

    "Also es ist, muss ich ehrlich sagen, schon ein bissel weit weg für mich. Aber dadurch, dass man viel davon in der Schule gehört hat, ist es doch immer wieder gegenwärtig."

    Oliver Kronthaler betrachtet die Flugblätter der Weißen Rose, die vor dem Eingang der Uni als Nachbildung in das Kopfsteinpflaster eingelassen sind. Auf dem verwaschenen Marmor kann man jene Sätze lesen, mit den Hans und Sophie Scholl ihre Mitbürger wachrütteln wollten:

    "Deutsche! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Schicksal erleiden, das den Juden widerfahren ist? Wollt Ihr mit dem gleichen Maße gemessen werden wie Eure Verführer? Wir schweigen nicht! Wir sind Euer böses Gewissen! Die weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!"

    Diese Sätze sind auf dem Geschwister-Scholl-Platz in Stein gemeißelt. Und trotzdem wissen manche Studenten nichts damit anzufangen, wie dieser angehende Jurist:

    "Ja die kenne ich, die hab ich mal gesehen. Aber ich kann Dir nicht sagen, was da drauf ist." "Du weißt nicht, um was es da geht?" "Nein, keine Ahnung." "Sophie Scholl, Weiße Rose?" "Sagt mir nichts. Geschichtlich bin ich eine absolute Niete." "Und grundsätzlich Widerstand im Dritten Reich…?" "Kenn’ ich mich überhaupt gar nicht aus. Null."

    Die Inschrift auf dem Grab Sophie Scholls in München lautet: "Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden?" Die frühere LMU-Studentin Hildegard Hamm-Brücher ist noch heute entrüstet, wie wenig die NS-Geschichte der Münchner Universitäten bisher aufgearbeitet sei. Professor Bernd Huber, der Präsident der LMU, kann ihr nur zaghaft widersprechen:

    "Frau Hamm-Brücher, die ja bei uns im Kuratorium sitzt oder gesessen hat, hat sich sehr engagiert dafür eingesetzt, dass diese Aufarbeitung in Angriff genommen wurde. Und wir haben vieles von dem, was Frau Hamm-Brücher zu Recht angemahnt hat, in den letzten Jahren nun endlich auch zu Ende gebracht."

    Dazu gehört eine Gedenkstätte für die Vereinigung der Weißen Rose und eine jährliche Gedenk-Vorlesung:

    "Es ist eine schöne Tradition, dass an diesen besonderen Jahrestagen uns der Bundespräsident die Ehre gibt, bei uns zu sprechen. Das hat Richard von Weizsäcker begonnen. Johannes Rau hat es fortgesetzt. Und diesmal ist es der neue Bundespräsident Joachim Gauck."

    Vielleicht wird der Bundespräsident heute Abend vor den Flugblättern stehen bleiben und die Worte lesen, die Hans und Sophie Scholl und ihren Mitstreiter Christoph Probst auf das Schafott der Nazis führten.

    "Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique regieren zu lassen."

    Susanne Hirzel, eine Jugendfreundin von Sophie Scholl, erinnert sich an ein Treffen mit der jungen Widerstandskämpferin kurz vor ihrem Tod:

    "Sie hat gesagt: Ich muss etwas machen, sonst bin ich mitschuldig. Sie hat mir erzählt, dass sie vorhaben, Flugblätter zu drucken. Und diese Flugblätter wollen sie verteilen."

    Als Hans und Sophie Scholl am 18. Februar 1943 1700 Flugblätter von einer Balustrade in den Lichthof der LMU warfen, entdeckte sie der Hausmeister, ein SA-Mann. Schon vier Tage später standen sie vor dem Volksgerichtshof unter Roland Freisler. Sophies Schwester Ilse erinnerte sich später an diesen Schauprozess.

    "Als mein Vater hörte, dass der Pflichtverteidiger völlig versagte und dem Volksgerichtshof Recht gab, ist er aufgestanden und hat versucht, seine Kinder selber zu verteidigen. Und da haben sie ihm dann das Wort abgeschnitten und haben meine Eltern beide hinausgewiesen aus dem Saal."

    Heute Mittag vor der LMU. Der junge Architektur-Student Adolfo Carasco aus Spanien betrachtet die Flugblätter. Sie zeigen, sagt er, dass damals nicht alle Deutschen Nazis waren.

    "Und für Europa heutzutage ist es der Beweis dafür, dass wir immer unsere Ideen verfolgen sollten und dass wir nicht aufgeben sollten. Was heutzutage leider häufig der Fall ist, dass junge Menschen sagen: Ja, mein Gott, da kann man nichts dran ändern, dann mach’ ich lieber nichts."

    Adolfo Carasco will heute Abend bei der Gedenkvorlesung dabei sein.