Wer sich in Zypern am Strand oder Swimmingpool erholt, wird kaum etwas von den politischen Konflikten der Insel bemerken. Wer allerdings die zypriotische Hauptstadt Nicosia aufsucht, findet eine geteilte Stadt vor: Eisentore verbarrikadieren die Gassen, aus Ruinen wächst Gebüsch, Hubschrauber kreisen. Seit nunmehr 28 Jahren sind Nord- und Südzypern durch eine Demarkationslinie voneinander getrennt. Sie wird von den Vereinten Nationen überwacht: Der längste UN-Einsatz, den es je gab. 1974 wurde Zypern nach elf Jahren ethnischer Konflikte und einem Eingreifen der türkischen Armee zwischen Zyperntürken und Zyperngriechen aufgeteilt.
Seit 28 Jahren herrscht kalter Krieg. Der griechisch-zypriotische Südteil boomt dank Tourismus und Business und erhebt den Alleinvertretungsanspruch für die ganze Insel. Dennoch existiert auch die "Türkische Republik Nordzypern" als eigenständiger Staat. International allein von der Türkei anerkannt, steht das Land unter Embargo. Es darf keinen direkten Handel treiben. Neben Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen gehört Zypern zu den Kandidaten der nächsten EU-Erweiterungsrunde. Doch welches Zypern soll aufgenommen werden? Brüssel hat entschieden: Wenn sich die Kontrahenten nicht einigen sollten, so wird es allein der wohlhabende griechisch-zypriotische Südteil sein. Das könnte jedoch zu Spannungen führen. Seit es die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft der Insel gibt, treffen sich Glafkos Kleridis, 82, Präsident Südzyperns, und Rauf Denktasch, 78, Führer der Zyperntürken, mehrmals wöchentlich zu Verhandlungen im Ledra Palace Hotel von Nicosia. Die beiden alten Herren sind schon lange im politischen Geschäft. Sie kennen sich aus den Zeiten ihres Studiums in London vor 50 Jahren. Dennoch treten die Verhandlungen auf der Stelle. Mihalis Papapetrou, Regierungsprecher der "Republik Zypern":
Wir hoffen, dass die Aussicht einer EU-Mitgliedschaft Zyperns als Katalysator wirken könnte, als ein neues Element, um die Verhandlungen zu beflügeln, so dass sie zu einem Ergebnis kommen könnten. Leider aber haben wir bis heute keinerlei Ergebnis gesehen.
Beide Seiten bezichtigen einander der Unnachgiebigkeit, der Sturheit.
Trotz der Tatsache, dass die griechisch-zypriotische Seite versucht hat, auf sehr konkrete und spezifische Weise Entgegenkommen zu zeigen, ist die türkische Seite eigensinnig geblieben und hat sich nicht von der Stelle bewegt, nicht im geringsten Detail.
Zu den Vorschlägen, die die zyperngriechische Seite in die momentanen Verhandlungen eingebracht hat, gehört die vollständige Demilitarisierung der gesamten Insel; ein etwas waghalsiger Vorschlag, denn letztendlich wären davon auch die britischen Militärbasen betroffen. Diese sind direkt dem Parlament in London unterstellt und nehmen als "britisches Kronland", drei Prozent der Oberfläche des Inselstaates ein. 1959 hatten sich die Briten diesen Status als Voraussetzung für die Entlassung Zypern in die Unabhängigkeit ausbedungen und zugebilligt bekommen.
Es wird keine Armee geben, keine Waffenkäufe. Und das Geld, dass wir durch diese Nicht-Bewaffnung einsparen, wird, zusammen mit der Hilfe der EU, benutzt, um die Infrastruktur der türkisch-zypriotischen Wirtschaft zu verbessern. Denn der geht es sehr schlecht und wir möchten keine wirtschaftlichen Unterschiede in unserer Gesellschaft.
Rauf Denktasch und seine Zyperntürken allerdings lehnen dieses großherzige Geschenk dankend ab. Ihre Erfahrung besagt nämlich, dass nur eines ihre Sicherheit garantiert, und das ist die Anwesenheit der türkischen Armee. Sie sind gebrannte Kinder, die nicht einmal den Sicherheitsgarantien der Europäischen Union glauben, welche ihnen gewährt würden, wenn sie auf die Armee und die staatliche Selbständigkeit verzichteten und im Austausch dagegen in den Genuss aller Vorteile der EU-Mitgliedschaft kämen. Nordzypern ist von der türkischen Wirtschaftskrise in vollem Maße betroffen, innerhalb eines halben Jahres verlor die türkische Lira gegenüber dem Pfund die Hälfte ihrer Wertes, aber man muss sich die "Türkische Republik Nordzypern" deshalb nicht als maroden Drittweltstaat vorstellen. Alles ist modern, neu, es gibt einen Bauboom, das Warenangebot ist zwar eingeschränkt, aber ausreichend. Wie sind die Erwartungen der zyperntürkischen Bevölkerung an die Verhandlungen? Jan Asmussen ist "Assistent Professor" an der "AMERICAN UNIVERSITY GIRNE, einer Privatuniversität mit 7000 Studenten:
Die Zyperntürken haben Ängste und sind mit Sicherheit nicht bereit, als Minderheit in einem neuen Staatswesen zu leben. Auf der anderen Seite ist auch eine gewisse Hoffnung damit verbunden, weil die wirtschaftliche Situation im Norden besonders nach der Wirtschaftskrise in der Türkei schlechter geworden ist. (...)Einen direkten Wunsch, unmittelbar sich mit den Griechen wieder zusammenzufinden, kann ich eigentlich nicht feststellen. Es ist mehr der Wunsch, in wirtschaftlich und friedenpolitisch gesicherten Verhältnissen zu leben.
Bis Mitte der fünfziger Jahre des 20.Jahrhunderts haben Griechen und Türken auf Zypern gut zusammen gelebt. Es gab 340 gemischt-ethnische Dörfer. Kirche und Moschee, türkisches Kahve und griechisches Kafeneion teilten sich friedlich ihre Kunden. Man half sich bei der Ernte und lud sich gegenseitig zu Festen ein. Es herrschte der Respekt gutnachbarlicher Beziehungen. Weiter ging es nicht. Liebeshändel über die Religionsgrenzen hinaus waren seltene, leidenschaftliche Ausnahmen. Und die Schulen waren entweder griechisch oder türkisch. Über die Schulen begannen seit 1920 nationalistische Vorstellungen einzusickern. Die Griechen träumten von einer hellenistischen Renaissance, "Enosis" hieß das Wort der Stunde, Anschluss an Griechenland. Jan Asmussen hat mit einer Arbeit über die gemischtethnischen Dörfer auf Zypern promoviert: "Wir waren alle Brüder", so der programmatische Titel seiner Arbeit:
Der Grund für diesen Nationalismus ist nicht die direkte Auseinandersetzung, sondern ist eigentlich der Wunsch, der nationalistische Traum, der sich entwickelt hat zumal bei den Zyperngriechen, heim zu kommen zur Mutter Griechenland, sie haben dies "enosis" genannt, Anschluss an Griechenland und dieser Traum war zunächst überhaupt nicht verbunden mit irgendeiner Negativhaltung gegenüber den Türken, nur die Türken waren eben ein Hinderungsgrund um dieses Ziel zu erreichen, und das hat schließlich dazu geführt, dass dieser Nationalismus gewalttätiger geworden ist und auch in die Dörfer eingedrungen ist.
Ganz ähnlich sieht es Peter Zervakis vom "Zentrum für europäische Integrationsforschung" der Universität Bonn, Zitat:
"England und das osmanische Reich wurden fortan als ungerechte Besatzer perzipiert, die man loswerden müsse. Dies hieß sicher nicht, dass zunächst gegen die türkischen Nachbarn opponiert wurde. Nur als numerische Minderheit, sollten sie halt mit ihrem Schicksal als zukünftige griechische Staatsbürger zufrieden sein. Sollten sie sich allerdings dagegen auflehnen, drohte ihnen das Schicksal der kretischen Türken, die in einem Exodus fast vollkommen vertrieben oder umgebracht wurden."
Fazil Korkut ist Staatssekretär im "Außen- und Verteidigungsministerium" der "Türkischen Republik Nordzypern". Um den Zypernkonflikt zu verstehen, sagt er, müsse man mindestens 50 Jahre zurückgehen.
Zypern war bis 1960 eine britische Kolonie. Nach dem 2.Weltkrieg begann überall auf der Welt das Zeitalter der Entkolonialisierung und der Selbstbestimmung. Also wollten die Griechen auf Zypern daraus mit Unterstützung Griechenlands Kapital schlagen. Sie hatten schon lange den Traum von "enosis", das heißt: Vereinigung Zyperns mit Griechenland. Also starteten sie einerseits eine diplomatische Kampagne und andererseits gründeten sie 1954 eine Terrororganisation auf der Insel, die EOKA".
Der Terror richtete sich gegen die Briten, aber bald wurden auch Türken zur Zielscheibe.
Die Türken sagten: Wenn die Griechen "enosis” wollen, dann wollen wir "taksim", das heißt: Teilung".
Das spätere politische Schicksal der Insel war also schon in den 50er Jahren angelegt. 1960 wurde die Republik Zypern gegründet. Ihre Verfassung beruhte auf einer komplizierten Ordnung wechselseitiger "checks and balances". Doch es gelang trotzdem nicht, den Nationalitätenkonflikt zu bändigen. Die türkische Seite fühlte sich übervorteilt, die griechische sah sich durch ständige türkische Vetos blockiert. Im November 1963 schlug Staatspräsident Erzbischof Makarios eine Änderung der Verfassung vor. Vizepräsident Kücük lehnte für die Zyperntürken ab. Weihnachten 1963 kam es zu blutigen Übergriffen griechischer Fanatiker auf die türkische Minderheit. Für die Zyperntürken war damit die "Republik Zypern" am Ende. Für die Griechen besteht sie, gestützt auf UN-Resolution 186 von 1964, bis heute weiter. Die Plätze für die türkischen Abgeordneten im Parlament - die natürlich nicht erscheinen - werden seit 39 Jahren freigehalten. Die Banknoten zeigen neben griechischer weiterhin auch türkische Beschriftung. Die Zyperntürken stehen trotz aller Dementis eng zusammen. Am Ursprung dieser "Türkischen Republik Nordzypern" stehen traumatische Erfahrungen: Fazil Korkut:
"Die Griechen fingen an, türkische Zyprioten umzubringen, warfen sie aus der Regierung und aus den Staatsorganen. Türkische Zyprioten wurden gezwungen in Enklaven zu leben, die drei Prozent des Territoriums ausmachten. Sie bekamen natürlich auch kein Geld mehr, wurden "freigestellt", aus dem Staatsbudget herausgeschnitten. Kein Einkommen. Kein Geld, keine Wirtschaft. Von 1963 bis 1974 mussten wir mithilfe von Geld überleben, das aus der Türkei kam, 30 Pfund Sterling für jede Familie.
Von 1963 bis 1974 betrieben die Zyperngriechen eine Kampagne ethnischer Säuberung. Das ist sowohl durch die Berichte des UN Generalsekretärs wie auch durch die internationale Presse bezeugt. Es ist also nicht die Frage, ob die ethnische Säuberung stattgefunden hat oder nicht. Es gab sie.
Am 15.Juli 1974 putschten griechische Nationalisten, gesteuert von der Athener Junta unter Geheimdienstchef Dimitri Ioannides, gegen den zypriotischen Staatspräsidenten Erzbischof Makarios. Makarios entging nur knapp einem Mordanschlag. Ein gewisser Nikos Sampson kam an die Macht. Erklärtes Ziel: "enosis" und Ausschaltung aller "griechenfeindlichen" Mächte. Der Staatsstreich kostete sogar zweitausend griechische Zyprioten das Leben, die für die Regierung Makarios gearbeitet hatten. Am 20.Juli intervenierte die türkische Armee. Seither ist die Insel geteilt. Peter Zervakis:
Es gibt da nichts herumzudeuten, dass der Anlass der türkischen Intervention zu recht auf einen Versuch, auf einen Putsch der Makarios-Gegner zurückzuführen ist, die die Republik durch Vertreibung des Präsidenten Griechenland überführen wollten. Da gibt es nichts zu deuten. Da spricht auch dafür, wenn man sich die Akteure ansieht: das waren Türkenfresser.
Ich zögere nicht.
erklärt Mihalis Papapetrou, Pressesprecher der "Republik Südzypern"
Ich zögere nicht, Ihnen zu sagen, dass ich meine Seite als die hauptverantwortliche ansehe. Nicht weil sie mehr Verbrechen begangen hat, nein, beide Seiten haben Verbrechen begangen, sondern weil sie als stärkere, bevölkerungsreichere Seite verantwortlicher hätte handeln müssen, um mit der Situation fertig zu werden.
Die Regierung Makarios war – mit stillschweigender Duldung der Weltmächte - tief verstrickt in die Drangsalierung der türkischen Minderheit auf Zypern. Die Vereinten Nationen erkannten sie aber weiterhin als legitime Regierung der "Republik Zypern" an. Auch die Türken hatten Extremisten in ihrem Reihen, deren Geschäft Rache und Mord war. Und bei der Invasion 1974 mussten viele Griechen aus Nordzypern fliehen. Ebenso verließen alle Zyperntürken den Süden. Da der innerzypriotische Konflikt zur Zeit nicht zu lösen ist, wird vermutlich nur der Süd-Teil in die EU kommen. Darauf hat sich jedenfalls der Europarat verständigt. Da aber der Südteil völkerrechtlich ganz Zypern vertritt, werden damit de jure auch die Zyperntürken EU-Mitglieder sein und im Prinzip sogar alle Türken, denn jeder Türke kann Bürger Nordzyperns werden. Allerdings erkennen die Zyperngriechen nur jene Zyperntürken als legale Bürger der "Republik Zypern" an, die schon vor der Teilung der Insel 1974 auf Zypern lebten. Neues Konfliktpotential also.
Der Zypernkonflikt kann sich in schlechtesten Fall sogar zum Stolperstein für die gesamte EU-Erweiterung auswachsen; die Vorbehalte vieler EU-Mitglieder gegen einen Beitritt des geteilten Zypern bleiben bestehen und können jederzeit wieder auf den Tisch kommen.
Die Griechen möchten den Beitritt Zyperns zur Europäischen Union im Jahr ihrer EU-Präsidentschaft 2003 besiegeln. Ein Widerspruch von irgendeiner Seite würde automatisch das Veto Griechenlands gegen die Osterweiterung nach sich ziehen. Von der Türkei, seit Helsinki 1999 offizieller Beitrittskandidat, erwartet man einvernehmliche Politik, was immer das heißen mag. So wird also im Ledra-Palace Hotel weiterverhandelt:
Ich hoffe, ich bin immer noch optimistisch, dass die Türken sich im letzten Moment entschließen werden, doch noch mitzumachen.
so Regierungsprecher Papapetrou. Jan Asmussen von der "American University" in Girne/Nordzypern:
Das Problem ist, dass diese Verhandlungen ein gewaltiges Pokern mit sich bringen bei dem die Verhandlungspositionen sehr weit auseinander liegen. Die Griechen wollen natürlich möglichst viel von dem zurückgewinnen, was sie 1974 verloren haben. Das bedeutet in erster Linie erst einmal Land und auch die Souveränität über die gesamte Insel. Die Zyperntürken möchten gewinnen, dass sie international anerkannt werde. Sie möchten vor allem Dingen das, was sie Embargo nennen, aufgehoben wissen, d.h. direkten Handel treiben können international, ohne Schwierigkeiten reisen können und sie möchten in diesen Verhandlungen möglichst wenig von ihrer eigenen Souveränität aufgeben. Diese beiden Positionen sind nicht sehr einfach zusammenzubringen.
Cathy Clerides, die Tochter des jetzigen Präsidenten und Abgeordnete seiner Partei, hat ihr Büro im Regierungspalast von Nicosia. Sie ist Anfang fünfzig, charmant und wirkt sehr britisch. Für viele gilt sie als zukünftige Regierungschefin, auch wenn sie selbst das in Abrede stellt: Sie wolle die Opfer nicht bringen, die mit einer politischen Führungsrolle verbunden sind. Cathy Kleridis war in den 90er Jahren stark in den Bürgerrechtsbewegungen engagiert, die über die Demarkationslinie hinweg Begegnungen auf der Ebene von Parteien, Berufsverbänden und Gewerkschaften organisierten - bis hin zu "open days" mit über 6000 Teilnehmern von beiden Seiten. Allerdings seien diese "vertrauensbildenden Maßnahmen", sagt Mrs. Klerides, von türkischer Seite nach und nach immer mehr unterbunden worden. Dennoch:
Wir haben immer noch - und ich glaube das ist ein sehr positives Element - das Treffen der politischen Parteien beider Seiten, griechische und türkische Zyprioten, einmal im Monat im Ledra Palace. Das wird weitergeführt.
Wir müssen uns mit der Vergangenheit beschäftigen, wir müssen ehrlich mit ihr umgehen. Beide Seiten müssen zugeben, dass sie Dinge getan haben, die sehr grausam waren für die andere Seite. Aber ich denke, wir müssen begreifen, dass es Zeit ist, nach vorn zu schauen. Wir wollen den Kreislauf von Gewalt nicht an unsere Kinder weitervererben. Die Gelegenheit ist jetzt da als Mitglieder der EU mit all den Garantien, die damit verbunden sind: Demokratie, Gerechtigkeit, multikulturelle Gesellschaft, Respekt vor jedermanns nationaler Identität und so weiter. Der Rahmen ist da. Er ist uns überreicht worden wie ein Geschenk.
Die Zyperntürken stehen Geschenken allerdings nach wie vor misstrauisch gegenüber. Dass man sie als "Verlierer" verunglimpft, lässt sie kalt. Wer das Opfer ethnischer Verfolgung gewesen ist, wird dieses mit Sicherheit über lange Zeit nicht vergessen. Nordzypern will nicht über eine mögliche Rückkehr der griechischen Vertriebenen in den Norden diskutieren. Die türkische Seite leidet nach wie vor unter ihrer Nicht-Anerkennung. Sie begann mit der UN-Resolution 186 im Jahre 1964 und stellt für die zyperntürkische Regierung bis heute die "Crux" des Zypernproblems dar. Fazil Korkut:
Wenn einer Seite gesagt wird: Du bist die Regierung und die andere Seite ist nichts, so kann es logischerweise nicht zu einer Verständigung kommen. Wenn Sie die Regierung sind und alles besitzen, warum sollten Sie sich mit mir verständigen? Sehen Sie, das ist unser Problem hier.
Das bestmögliche Szenarium wäre für mein Gefühl, wenn die Türkei reale Aussichten hätte, Mitglied der europäischen Union zu werden. Ich denke, auf weite Sicht wäre das die beste Lösung für die Türkei wie für Europa auch. Es würde die griechisch-türkische Annäherung stärken und die gesamte Situation in diesem Teil der Welt stabilisieren.
Seit 28 Jahren herrscht kalter Krieg. Der griechisch-zypriotische Südteil boomt dank Tourismus und Business und erhebt den Alleinvertretungsanspruch für die ganze Insel. Dennoch existiert auch die "Türkische Republik Nordzypern" als eigenständiger Staat. International allein von der Türkei anerkannt, steht das Land unter Embargo. Es darf keinen direkten Handel treiben. Neben Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen gehört Zypern zu den Kandidaten der nächsten EU-Erweiterungsrunde. Doch welches Zypern soll aufgenommen werden? Brüssel hat entschieden: Wenn sich die Kontrahenten nicht einigen sollten, so wird es allein der wohlhabende griechisch-zypriotische Südteil sein. Das könnte jedoch zu Spannungen führen. Seit es die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft der Insel gibt, treffen sich Glafkos Kleridis, 82, Präsident Südzyperns, und Rauf Denktasch, 78, Führer der Zyperntürken, mehrmals wöchentlich zu Verhandlungen im Ledra Palace Hotel von Nicosia. Die beiden alten Herren sind schon lange im politischen Geschäft. Sie kennen sich aus den Zeiten ihres Studiums in London vor 50 Jahren. Dennoch treten die Verhandlungen auf der Stelle. Mihalis Papapetrou, Regierungsprecher der "Republik Zypern":
Wir hoffen, dass die Aussicht einer EU-Mitgliedschaft Zyperns als Katalysator wirken könnte, als ein neues Element, um die Verhandlungen zu beflügeln, so dass sie zu einem Ergebnis kommen könnten. Leider aber haben wir bis heute keinerlei Ergebnis gesehen.
Beide Seiten bezichtigen einander der Unnachgiebigkeit, der Sturheit.
Trotz der Tatsache, dass die griechisch-zypriotische Seite versucht hat, auf sehr konkrete und spezifische Weise Entgegenkommen zu zeigen, ist die türkische Seite eigensinnig geblieben und hat sich nicht von der Stelle bewegt, nicht im geringsten Detail.
Zu den Vorschlägen, die die zyperngriechische Seite in die momentanen Verhandlungen eingebracht hat, gehört die vollständige Demilitarisierung der gesamten Insel; ein etwas waghalsiger Vorschlag, denn letztendlich wären davon auch die britischen Militärbasen betroffen. Diese sind direkt dem Parlament in London unterstellt und nehmen als "britisches Kronland", drei Prozent der Oberfläche des Inselstaates ein. 1959 hatten sich die Briten diesen Status als Voraussetzung für die Entlassung Zypern in die Unabhängigkeit ausbedungen und zugebilligt bekommen.
Es wird keine Armee geben, keine Waffenkäufe. Und das Geld, dass wir durch diese Nicht-Bewaffnung einsparen, wird, zusammen mit der Hilfe der EU, benutzt, um die Infrastruktur der türkisch-zypriotischen Wirtschaft zu verbessern. Denn der geht es sehr schlecht und wir möchten keine wirtschaftlichen Unterschiede in unserer Gesellschaft.
Rauf Denktasch und seine Zyperntürken allerdings lehnen dieses großherzige Geschenk dankend ab. Ihre Erfahrung besagt nämlich, dass nur eines ihre Sicherheit garantiert, und das ist die Anwesenheit der türkischen Armee. Sie sind gebrannte Kinder, die nicht einmal den Sicherheitsgarantien der Europäischen Union glauben, welche ihnen gewährt würden, wenn sie auf die Armee und die staatliche Selbständigkeit verzichteten und im Austausch dagegen in den Genuss aller Vorteile der EU-Mitgliedschaft kämen. Nordzypern ist von der türkischen Wirtschaftskrise in vollem Maße betroffen, innerhalb eines halben Jahres verlor die türkische Lira gegenüber dem Pfund die Hälfte ihrer Wertes, aber man muss sich die "Türkische Republik Nordzypern" deshalb nicht als maroden Drittweltstaat vorstellen. Alles ist modern, neu, es gibt einen Bauboom, das Warenangebot ist zwar eingeschränkt, aber ausreichend. Wie sind die Erwartungen der zyperntürkischen Bevölkerung an die Verhandlungen? Jan Asmussen ist "Assistent Professor" an der "AMERICAN UNIVERSITY GIRNE, einer Privatuniversität mit 7000 Studenten:
Die Zyperntürken haben Ängste und sind mit Sicherheit nicht bereit, als Minderheit in einem neuen Staatswesen zu leben. Auf der anderen Seite ist auch eine gewisse Hoffnung damit verbunden, weil die wirtschaftliche Situation im Norden besonders nach der Wirtschaftskrise in der Türkei schlechter geworden ist. (...)Einen direkten Wunsch, unmittelbar sich mit den Griechen wieder zusammenzufinden, kann ich eigentlich nicht feststellen. Es ist mehr der Wunsch, in wirtschaftlich und friedenpolitisch gesicherten Verhältnissen zu leben.
Bis Mitte der fünfziger Jahre des 20.Jahrhunderts haben Griechen und Türken auf Zypern gut zusammen gelebt. Es gab 340 gemischt-ethnische Dörfer. Kirche und Moschee, türkisches Kahve und griechisches Kafeneion teilten sich friedlich ihre Kunden. Man half sich bei der Ernte und lud sich gegenseitig zu Festen ein. Es herrschte der Respekt gutnachbarlicher Beziehungen. Weiter ging es nicht. Liebeshändel über die Religionsgrenzen hinaus waren seltene, leidenschaftliche Ausnahmen. Und die Schulen waren entweder griechisch oder türkisch. Über die Schulen begannen seit 1920 nationalistische Vorstellungen einzusickern. Die Griechen träumten von einer hellenistischen Renaissance, "Enosis" hieß das Wort der Stunde, Anschluss an Griechenland. Jan Asmussen hat mit einer Arbeit über die gemischtethnischen Dörfer auf Zypern promoviert: "Wir waren alle Brüder", so der programmatische Titel seiner Arbeit:
Der Grund für diesen Nationalismus ist nicht die direkte Auseinandersetzung, sondern ist eigentlich der Wunsch, der nationalistische Traum, der sich entwickelt hat zumal bei den Zyperngriechen, heim zu kommen zur Mutter Griechenland, sie haben dies "enosis" genannt, Anschluss an Griechenland und dieser Traum war zunächst überhaupt nicht verbunden mit irgendeiner Negativhaltung gegenüber den Türken, nur die Türken waren eben ein Hinderungsgrund um dieses Ziel zu erreichen, und das hat schließlich dazu geführt, dass dieser Nationalismus gewalttätiger geworden ist und auch in die Dörfer eingedrungen ist.
Ganz ähnlich sieht es Peter Zervakis vom "Zentrum für europäische Integrationsforschung" der Universität Bonn, Zitat:
"England und das osmanische Reich wurden fortan als ungerechte Besatzer perzipiert, die man loswerden müsse. Dies hieß sicher nicht, dass zunächst gegen die türkischen Nachbarn opponiert wurde. Nur als numerische Minderheit, sollten sie halt mit ihrem Schicksal als zukünftige griechische Staatsbürger zufrieden sein. Sollten sie sich allerdings dagegen auflehnen, drohte ihnen das Schicksal der kretischen Türken, die in einem Exodus fast vollkommen vertrieben oder umgebracht wurden."
Fazil Korkut ist Staatssekretär im "Außen- und Verteidigungsministerium" der "Türkischen Republik Nordzypern". Um den Zypernkonflikt zu verstehen, sagt er, müsse man mindestens 50 Jahre zurückgehen.
Zypern war bis 1960 eine britische Kolonie. Nach dem 2.Weltkrieg begann überall auf der Welt das Zeitalter der Entkolonialisierung und der Selbstbestimmung. Also wollten die Griechen auf Zypern daraus mit Unterstützung Griechenlands Kapital schlagen. Sie hatten schon lange den Traum von "enosis", das heißt: Vereinigung Zyperns mit Griechenland. Also starteten sie einerseits eine diplomatische Kampagne und andererseits gründeten sie 1954 eine Terrororganisation auf der Insel, die EOKA".
Der Terror richtete sich gegen die Briten, aber bald wurden auch Türken zur Zielscheibe.
Die Türken sagten: Wenn die Griechen "enosis” wollen, dann wollen wir "taksim", das heißt: Teilung".
Das spätere politische Schicksal der Insel war also schon in den 50er Jahren angelegt. 1960 wurde die Republik Zypern gegründet. Ihre Verfassung beruhte auf einer komplizierten Ordnung wechselseitiger "checks and balances". Doch es gelang trotzdem nicht, den Nationalitätenkonflikt zu bändigen. Die türkische Seite fühlte sich übervorteilt, die griechische sah sich durch ständige türkische Vetos blockiert. Im November 1963 schlug Staatspräsident Erzbischof Makarios eine Änderung der Verfassung vor. Vizepräsident Kücük lehnte für die Zyperntürken ab. Weihnachten 1963 kam es zu blutigen Übergriffen griechischer Fanatiker auf die türkische Minderheit. Für die Zyperntürken war damit die "Republik Zypern" am Ende. Für die Griechen besteht sie, gestützt auf UN-Resolution 186 von 1964, bis heute weiter. Die Plätze für die türkischen Abgeordneten im Parlament - die natürlich nicht erscheinen - werden seit 39 Jahren freigehalten. Die Banknoten zeigen neben griechischer weiterhin auch türkische Beschriftung. Die Zyperntürken stehen trotz aller Dementis eng zusammen. Am Ursprung dieser "Türkischen Republik Nordzypern" stehen traumatische Erfahrungen: Fazil Korkut:
"Die Griechen fingen an, türkische Zyprioten umzubringen, warfen sie aus der Regierung und aus den Staatsorganen. Türkische Zyprioten wurden gezwungen in Enklaven zu leben, die drei Prozent des Territoriums ausmachten. Sie bekamen natürlich auch kein Geld mehr, wurden "freigestellt", aus dem Staatsbudget herausgeschnitten. Kein Einkommen. Kein Geld, keine Wirtschaft. Von 1963 bis 1974 mussten wir mithilfe von Geld überleben, das aus der Türkei kam, 30 Pfund Sterling für jede Familie.
Von 1963 bis 1974 betrieben die Zyperngriechen eine Kampagne ethnischer Säuberung. Das ist sowohl durch die Berichte des UN Generalsekretärs wie auch durch die internationale Presse bezeugt. Es ist also nicht die Frage, ob die ethnische Säuberung stattgefunden hat oder nicht. Es gab sie.
Am 15.Juli 1974 putschten griechische Nationalisten, gesteuert von der Athener Junta unter Geheimdienstchef Dimitri Ioannides, gegen den zypriotischen Staatspräsidenten Erzbischof Makarios. Makarios entging nur knapp einem Mordanschlag. Ein gewisser Nikos Sampson kam an die Macht. Erklärtes Ziel: "enosis" und Ausschaltung aller "griechenfeindlichen" Mächte. Der Staatsstreich kostete sogar zweitausend griechische Zyprioten das Leben, die für die Regierung Makarios gearbeitet hatten. Am 20.Juli intervenierte die türkische Armee. Seither ist die Insel geteilt. Peter Zervakis:
Es gibt da nichts herumzudeuten, dass der Anlass der türkischen Intervention zu recht auf einen Versuch, auf einen Putsch der Makarios-Gegner zurückzuführen ist, die die Republik durch Vertreibung des Präsidenten Griechenland überführen wollten. Da gibt es nichts zu deuten. Da spricht auch dafür, wenn man sich die Akteure ansieht: das waren Türkenfresser.
Ich zögere nicht.
erklärt Mihalis Papapetrou, Pressesprecher der "Republik Südzypern"
Ich zögere nicht, Ihnen zu sagen, dass ich meine Seite als die hauptverantwortliche ansehe. Nicht weil sie mehr Verbrechen begangen hat, nein, beide Seiten haben Verbrechen begangen, sondern weil sie als stärkere, bevölkerungsreichere Seite verantwortlicher hätte handeln müssen, um mit der Situation fertig zu werden.
Die Regierung Makarios war – mit stillschweigender Duldung der Weltmächte - tief verstrickt in die Drangsalierung der türkischen Minderheit auf Zypern. Die Vereinten Nationen erkannten sie aber weiterhin als legitime Regierung der "Republik Zypern" an. Auch die Türken hatten Extremisten in ihrem Reihen, deren Geschäft Rache und Mord war. Und bei der Invasion 1974 mussten viele Griechen aus Nordzypern fliehen. Ebenso verließen alle Zyperntürken den Süden. Da der innerzypriotische Konflikt zur Zeit nicht zu lösen ist, wird vermutlich nur der Süd-Teil in die EU kommen. Darauf hat sich jedenfalls der Europarat verständigt. Da aber der Südteil völkerrechtlich ganz Zypern vertritt, werden damit de jure auch die Zyperntürken EU-Mitglieder sein und im Prinzip sogar alle Türken, denn jeder Türke kann Bürger Nordzyperns werden. Allerdings erkennen die Zyperngriechen nur jene Zyperntürken als legale Bürger der "Republik Zypern" an, die schon vor der Teilung der Insel 1974 auf Zypern lebten. Neues Konfliktpotential also.
Der Zypernkonflikt kann sich in schlechtesten Fall sogar zum Stolperstein für die gesamte EU-Erweiterung auswachsen; die Vorbehalte vieler EU-Mitglieder gegen einen Beitritt des geteilten Zypern bleiben bestehen und können jederzeit wieder auf den Tisch kommen.
Die Griechen möchten den Beitritt Zyperns zur Europäischen Union im Jahr ihrer EU-Präsidentschaft 2003 besiegeln. Ein Widerspruch von irgendeiner Seite würde automatisch das Veto Griechenlands gegen die Osterweiterung nach sich ziehen. Von der Türkei, seit Helsinki 1999 offizieller Beitrittskandidat, erwartet man einvernehmliche Politik, was immer das heißen mag. So wird also im Ledra-Palace Hotel weiterverhandelt:
Ich hoffe, ich bin immer noch optimistisch, dass die Türken sich im letzten Moment entschließen werden, doch noch mitzumachen.
so Regierungsprecher Papapetrou. Jan Asmussen von der "American University" in Girne/Nordzypern:
Das Problem ist, dass diese Verhandlungen ein gewaltiges Pokern mit sich bringen bei dem die Verhandlungspositionen sehr weit auseinander liegen. Die Griechen wollen natürlich möglichst viel von dem zurückgewinnen, was sie 1974 verloren haben. Das bedeutet in erster Linie erst einmal Land und auch die Souveränität über die gesamte Insel. Die Zyperntürken möchten gewinnen, dass sie international anerkannt werde. Sie möchten vor allem Dingen das, was sie Embargo nennen, aufgehoben wissen, d.h. direkten Handel treiben können international, ohne Schwierigkeiten reisen können und sie möchten in diesen Verhandlungen möglichst wenig von ihrer eigenen Souveränität aufgeben. Diese beiden Positionen sind nicht sehr einfach zusammenzubringen.
Cathy Clerides, die Tochter des jetzigen Präsidenten und Abgeordnete seiner Partei, hat ihr Büro im Regierungspalast von Nicosia. Sie ist Anfang fünfzig, charmant und wirkt sehr britisch. Für viele gilt sie als zukünftige Regierungschefin, auch wenn sie selbst das in Abrede stellt: Sie wolle die Opfer nicht bringen, die mit einer politischen Führungsrolle verbunden sind. Cathy Kleridis war in den 90er Jahren stark in den Bürgerrechtsbewegungen engagiert, die über die Demarkationslinie hinweg Begegnungen auf der Ebene von Parteien, Berufsverbänden und Gewerkschaften organisierten - bis hin zu "open days" mit über 6000 Teilnehmern von beiden Seiten. Allerdings seien diese "vertrauensbildenden Maßnahmen", sagt Mrs. Klerides, von türkischer Seite nach und nach immer mehr unterbunden worden. Dennoch:
Wir haben immer noch - und ich glaube das ist ein sehr positives Element - das Treffen der politischen Parteien beider Seiten, griechische und türkische Zyprioten, einmal im Monat im Ledra Palace. Das wird weitergeführt.
Wir müssen uns mit der Vergangenheit beschäftigen, wir müssen ehrlich mit ihr umgehen. Beide Seiten müssen zugeben, dass sie Dinge getan haben, die sehr grausam waren für die andere Seite. Aber ich denke, wir müssen begreifen, dass es Zeit ist, nach vorn zu schauen. Wir wollen den Kreislauf von Gewalt nicht an unsere Kinder weitervererben. Die Gelegenheit ist jetzt da als Mitglieder der EU mit all den Garantien, die damit verbunden sind: Demokratie, Gerechtigkeit, multikulturelle Gesellschaft, Respekt vor jedermanns nationaler Identität und so weiter. Der Rahmen ist da. Er ist uns überreicht worden wie ein Geschenk.
Die Zyperntürken stehen Geschenken allerdings nach wie vor misstrauisch gegenüber. Dass man sie als "Verlierer" verunglimpft, lässt sie kalt. Wer das Opfer ethnischer Verfolgung gewesen ist, wird dieses mit Sicherheit über lange Zeit nicht vergessen. Nordzypern will nicht über eine mögliche Rückkehr der griechischen Vertriebenen in den Norden diskutieren. Die türkische Seite leidet nach wie vor unter ihrer Nicht-Anerkennung. Sie begann mit der UN-Resolution 186 im Jahre 1964 und stellt für die zyperntürkische Regierung bis heute die "Crux" des Zypernproblems dar. Fazil Korkut:
Wenn einer Seite gesagt wird: Du bist die Regierung und die andere Seite ist nichts, so kann es logischerweise nicht zu einer Verständigung kommen. Wenn Sie die Regierung sind und alles besitzen, warum sollten Sie sich mit mir verständigen? Sehen Sie, das ist unser Problem hier.
Das bestmögliche Szenarium wäre für mein Gefühl, wenn die Türkei reale Aussichten hätte, Mitglied der europäischen Union zu werden. Ich denke, auf weite Sicht wäre das die beste Lösung für die Türkei wie für Europa auch. Es würde die griechisch-türkische Annäherung stärken und die gesamte Situation in diesem Teil der Welt stabilisieren.