Montag, 13. Mai 2024

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European Song Contest
"Wichtig für das Selbstverständnis der Ukraine"

Peter Urban, langjähriger Kommentator des European Song Contest, sieht den ESC als Zeichen des Zusammenhalts. Die Veranstaltung stehe für Zusammenarbeit, Toleranz und gegenseitigen Respekt. In Zeiten, wo alles in der EU auseinanderreiße, sollten Menschen wieder lernen, gemeinschaftlich zu denken, sagte er im DLF. Beim ESC könne man das lernen.

Susanne Luerweg im Gespräch mit Peter Urban | 09.02.2017
    Peter Urban
    Peter Urban (Deutschlandradio / Kerstin Janse)
    Susanne Luerweg: Europa bricht auseinander, die Briten feiern den Brexit, die Russen annektieren die Krim, doch bei allen Gegensätzen gibt es immer noch eine Veranstaltung, bei der sich alle gemeinsam feiern: der ESC, der Eurovision Song Contest. Mehr als 40 Nationen treten in diesem Jahr an, Menschen auf der ganzen Welt verfolgen die Veranstaltung und am Ende gewinnt in der Regel nicht Deutschland. Nach den Pleiten und Pannen der letzten Jahre bei der Auswahl von Song und Sänger wollen die Verantwortlichen in diesem Jahr aber alles richtig machen und haben ein auf den ersten Blick doch sehr kompliziertes System erfunden, um den geeigneten Kandidaten, die geeignete Kandidatin ins Rennen zu schicken. Vier Frauen und ein Mann treten heute Abend beim ESC-Vorentscheid in Köln an, und ebenfalls mit dabei ist der jahrelange ESC-Kommentator Peter Urban. Mit ihm wollen wir ein wenig Licht ins Casting-Dunkel bringen und einen Blick auf das Finale des ESC im krisengeschüttelten Kiew im Mai werfen. Herr Urban, schönen guten Tag!
    Peter Urban: Schönen guten Tag!
    Fünf Finalisten aus 2.000 Bewerbungen
    Luerweg: Also, Herr Urban, heute Abend gibt es den ESC-Vorentscheid in Köln, vier Frauen, ein Mann werden antreten und dann wird es auch schon kompliziert. Erst mal singen alle fünf einen Coversong!
    Urban: Ja, also, erst mal ist es so kompliziert dann auch nicht. Aus 2000 Bewerbungen wurden fünf ausgesucht, das war schon ein ziemlich schwieriger Schritt. Ich musste das nicht machen, Gott sei Dank. Aber es sind wirklich fünf sehr, sehr gute Sänger ausgesucht worden, auch Sänger, die sonst nicht bei Castingshows unbedingt mitmachen. Denn ich persönlich halte von diesen Castingshows nicht so viel, weil auch die Karriere dieser Sänger dann bald immer verendet. Insofern sind hier wirklich Kandidaten ausgesucht worden, die auch eine Zukunft haben, die sehr talentiert sind. Und die fünf sind nun mal da und nun wurden – das ist die Hauptänderung in diesem Jahr – zwei Songs vorgeschlagen, die die offiziellen ESC-Songs sind. Und aus diesen beiden Songs muss das Publikum dann den Song wählen auch und den Sänger, der den Song dann vorträgt. Im Unterschied zur Vergangenheit ist es ja so, da wurden immer von den verschiedenen Plattenfirmen Künstler mit ihren Songs vorgeschlagen, und das waren aber nicht Songs, die unbedingt für den ESC, diesen Eurovision Song Contest geeignet waren. Und insofern hatten wir auch nicht so tolle Ergebnisse, weil, das passte eigentlich nicht. Jetzt sind es zwei Songs, die einfach eine gewisse Stärke haben, und die müssen nur gut gesungen werden.
    Luerweg: Und damit sind die Schallplattenfirmen raus, haben gar keinen Einfluss mehr?
    Urban: Es gibt eine Schallplattenfirma später, die diesen Song dann veröffentlichen wird, klar, den Siegersong. Aber die haben die Auswahl nicht getroffen, nein.
    "Man muss eine klare Persönlichkeit haben"
    Luerweg: Das sind ja jetzt vier sehr junge Damen, die da heute Abend antreten, ein Mann, die Damen vielleicht so ein bisschen … Lena Meyer-Landrut ist das große Vorbild, hat man auch ein bisschen in die Richtung gecastet, haben Sie den Eindruck?
    Urban: Nee, überhaupt nicht. Also, wäre ja auch ziemlich … bescheiden.
    Luerweg: Ja.
    Urban: Nein, ich glaube, man hat einfach die besten Kandidaten ausgesucht. Dass das nun vier zu eins ist, hätte auch drei zu zwei sein können, ich glaube, da gibt es keinen …
    Luerweg: War mal geplant, drei zu zwei, aber dann …
    Urban: Ja, genau, dann stieg einer aus und … Insofern sind es jetzt vier Frauen und ein Mann. Und so jung sind sie eigentlich auch nicht, also, da gibt es … Einige sind Ende 20. Aber nein, dieser Vergleich mit Lena wäre ja auch albern, es gibt allerdings eine, die singt ein bisschen in die Richtung. Ich kann nur sagen, sie sollte das lieber nicht tun, denn man sollte nicht eine Kopie von irgendwas anderem sein. Man muss eine klare Persönlichkeit, ein Charisma haben, sonst hat man hier überhaupt keine Chance.
    "Man kann schon sagen, dass man Englisch singen sollte"
    Luerweg: Sie sagen das gerade, man muss eine klare Persönlichkeit haben, man muss ein Charisma haben. Sie sind derjenige, der immer so sanft-ironisch im Hintergrund kommentiert beim ESC, das lieben alle sehr, das schätzen alle sehr. Und höre ich da schon so einen Favoriten für heute Abend raus?
    Urban: Ich kann es nicht sagen, denn dieses System, da haben Sie ja insofern recht, ist nicht ganz einfach in der Struktur. Also, die singen erst einen Coversong, und die drei Besten beim Publikum, die am besten ankommen beim Publikum, kommen dann in die nächste Runde und können dann erst diesen ausgesuchten ESC-Song singen. Insofern, das ist ja nun also vollkommen unsicher, wer da jetzt weiterkommt. Und dann können wir erst weitersehen.
    Luerweg: Jetzt sind diese Songs alle auf Englisch. Jetzt könnte man ja sagen: Mensch, warum nicht mal wieder ein Song auf Deutsch? Also, es gab ja diese Jahre, die ja sehr humorvoll geprägt waren mit Guildo Horn oder mit Stefan Raab, hatten wir alle viel Spaß, sind wir zwar nicht Sieger geworden, aber immerhin auf den vorderen Plätzen gelandet. Jetzt aber doch lieber Englisch?
    Urban: Aber die waren ja auch Englisch, oder "Wadde Hadde Dudde Da" war irgendwas.
    Luerweg: Ja, das war irgendwas, okay, ich dachte, zwischenzeitlich mal Deutsch!
    Urban: Aber insofern … Da war die Sprache ja auch nicht so wichtig. Der letzte deutschsprachige Beitrag aus Deutschland war, glaube ich, Roger Cicero, "Frauen regieren die Welt". Da hatten wir das Problem dann, die Message zu erklären, weil, das muss man ja verstehen, worüber da gesungen wird. Das ist natürlich das Problem, dass Deutsch nicht so unbedingt verstanden wird in Europa, deswegen finde ich es ganz in Ordnung, in Englisch zu singen. Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn es passt, auch einen deutschen Song zu singen. Also, "Merci, Chérie" hat ja auch mal funktioniert. Aber heutzutage ist Popmusik eben hauptsächlich Englisch. Mal Französisch auch, aber es ist nicht Deutsch. Insofern … Im internationalen Bereich. Insofern kann man das schon sagen, dass man Englisch singen sollte.
    Vom Schlagerwettbewerb zum Popmusikwettbewerb
    Luerweg: Diese ESC-Musik, die allgemein dargeboten wird, ist nicht ganz zwingend Ihre. Sie sind da so ein bisschen reingerutscht in diesen Job, vor 20 Jahren, glaube ich, ziemlich genau. Und jetzt machen Sie das so und hören gut hin, aber legen wahrscheinlich nicht unbedingt die Siegerplatten später auf, oder?
    Urban: Nicht unbedingt. Aber es gibt hier und da auch wieder richtig gute Songs, die da auch mitmachen und teilnehmen. Also, der aus Schweden aus dem letzten Jahr, den kann man ja immer noch hören, von diesem kleinen Sänger Frans, der läuft ja auch noch mal im Radio oder so. Aber andere, die hört man dann auch gar nicht mehr. Als ich da angefangen habe, da war der deutsche Beitrag eine gewisse Bianca Shomburg aus Bielefeld, die wirklich … Also, ist der reinste Schlager gewesen. Also, Ralph Siegel hatte das produziert. Und da begannen sich die Zeiten aber auch schon zu ändern und da gewannen dann in dem Jahr Katrina and the Waves. Also, das heißt, die Tendenz war im internationalen Bereich schon ein wenig anders, da ist Deutschland dann nachgekommen mit Guildo Horn, mit Stefan Raab, mit diesen anderen Beiträgen. Und darüber freue ich mich dann natürlich. Das Ganze hat eine ganz, ganz klare, starke Wandlung genommen, ist nicht mehr der Schlagerwettbewerb, ist einfach ein Popmusikwettbewerb. Und den kann ich manchmal amüsiert, manchmal aber auch interessiert und engagiert begleiten. Und das macht mir Spaß.
    Luerweg: Jetzt beobachten Sie das Geschehen 20 Jahre, dieses Jahr ist der Austragungsort Kiew, doch eher eine krisengeschüttelte Hauptstadt in der Ukraine. Es gibt jetzt schon erste Ansagen von wegen Russen lassen wir nicht einreisen, russische Künstler, die für die Krim-Annexion waren. Wie politisch ist letztendlich der ESC doch auch, wenn man bei allem Show-Brimborium …
    Urban: Ja, natürlich kann man immer sagen: Das ist immer politisch, was da passiert, besonders im letzten Jahr, als der Song über eine historische Tatsache, ein Ereignis dann auch der Siegertitel war. Das ist ja eine sehr persönliche, aber auch sehr politische Geschichte, die dort besungen wurde. Insofern ist das schon ein Punkt, der hier beachtet werden muss, vor allen Dingen jetzt in einem Land, das vom Bürgerkrieg oder vom Krieg geschüttelt ist. Da kann man schon fragen: Ist das sinnvoll, das da jetzt zu machen? Aber für die Ukraine selbst ist es glaube ich sehr, sehr wichtig, also für ihr Selbstverständnis, eben auch sich mit positiveren, mit anderen Dingen zu beschäftigen und auch das Land wieder so darzustellen, wie es sich eigentlich sehen würde.
    "Die Leute sollten mehr gemeinschaftlich denken"
    Luerweg: Aber es ist natürlich auch ein bisschen so wie bei den Olympischen Spielen, dass man sagen muss. Da wird wahnsinnig viel Geld investiert, also, ich glaube, der Direktor des Staatsfernsehens ist schon zurückgetreten, hat gesagt, Leute, das mache ich nicht mit. Und wäre das Geld in einem Land wie der Ukraine nicht vielleicht an der einen oder anderen Stelle besser investiert? Müsste man ja auch mal fragen.
    Urban: Richtig, aber ich denke, es ist dann so finanziert, dass nicht die Ukraine diese Finanzen aufbringen muss, ich glaube, das wird also auch von der europäischen Gemeinschaft, von der EBU mitgetragen und von Sponsoren. Ich glaube nicht, dass die Ukraine dann darunter auch die nächsten zehn Jahre leiden wird.
    Luerweg: Haben Sie denn trotzdem den Eindruck … Also, ich habe so ein bisschen in der Anmoderation formuliert: Also, Europa bricht auseinander, aber jetzt haben wir ja noch diese Veranstaltung, da feiern wir uns noch mal und da wachsen wir ein bisschen zusammen?
    Urban: Das ist doch auch schön. Ja, das ist also auch immer noch gut. Es ist ja nicht nur eine EU-Veranstaltung, es war immer schon eine Veranstaltung, die auch von Israel, manchmal nahm auch Marokko teil … also, von Israel bis Kanada, jetzt Australien … also eine internationale Veranstaltung ist, die wirklich für Zusammenarbeit, Toleranz und gegenseitigen Respekt eigentlich dasteht, was Fußball eigentlich auch sein möchte. Insofern finde ich es gut, dass auch in Brexit-Zeiten und in diesen anderen Zeiten, wo alles auseinanderreißt, irgendwas zusammen ist. Und das gibt mir ein gutes Gefühl und ich finde es auch ganz wunderbar, ich glaube, die Leute sollten auch sonst in ihrem Verständnis auch mehr gemeinschaftlich denken. Das können wir hier lernen.
    "Wenn ich merke, dass ich Sänger und Titel verwechsel, dann höre ich bestimmt auf"
    Luerweg: Herr Urban, jetzt noch eine letzte Frage: Wie lange machen Sie das noch, wie lange kommentieren Sie das noch? Die Fußstapfen werden ja immer größer, die Sie da hinterlassen, wer soll da überhaupt noch reinwachsen?
    Urban: Also, ich weiß nicht, wie lange ich das mache, weil, es gibt ja auch Leute, die Königshochzeiten auch noch im hohen Alter kommentieren, wer weiß, ob ich das dann auch noch mache. Seelmann ist gerade 80 geworden, glaube ich, diese Woche … Nein, ich weiß es nicht, es macht mir Spaß, ich fühle mich fit, ich mache das gerne. Wenn ich irgendwie merke, dass ich irgendwie Sänger und Titel verwechsel und Startnummern und alles durcheinanderbringe, dann höre ich bestimmt auf.
    Luerweg: Peter Urban, seit 20 Jahren ESC-Kommentator, zum heutigen Vorentscheid, die Suche nach unserem Song für Kiew. Herr Urban, vielen Dank für das Gespräch, und ich wünsche uns dann allen ein schönes Finale im Mai!
    Urban: Ja, und einen guten Song! Vielen Dank!
    Luerweg: Auf jeden Fall!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.