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Event-Gottesdienste
"Gott, Sex und sowas"

Die Kirchen experimentieren mit neuen Gottesdienstformen, um Sinnsucher und kirchenferne Milieus anzusprechen. Ob Starwars oder Orgasmus - alle Themen sind kanzeltauglich geworden. Und Shakira singt dazu.

Von Katharina Zeckau |
    Springend präsentiert sich für den Fotografen die Theologin Daniela Mailänder und zwei ihrer Kollegen der evangelischen Jugendkirche Lux in Nürnberg
    Springend präsentieren sich für den Fotografen die Theologin Daniela Mailänder und zwei ihrer Kollegen der evangelischen Jugendkirche Lux in Nürnberg (Daniel Karmann / picture-alliance/ dpa)
    "Durch Sex wird Leben geschaffen und Sex macht sogar noch Spaß. Denn wir Menschen haben die Fähigkeit, einen Orgasmus zu bekommen. Und das ist wohl eine Menge Spaß, würde ich mal sagen." Nein, neu sind diese Erkenntnisse nicht. Neu aber ist, dass sie in einem Gottesdienst verkündet werden: Joel Schäfer ist Therapeut und steht auf der Bühne der evangelischen Jugendkirche Lux, die die Bayerische Landeskirche in Nürnberg unterhält. Pfarrer Bernd Popp befragt ihn zum Thema des heutigen Gottesdienstes: "Hautnah - Gott, Sex und sowas: Entscheidet selbst wie es für euch zusammenpasst. Ich bete: Allmächtiger Gott, danke für diesen Sonntagmorgen ..."
    Nach dem Amen spielt die Live-Band "Underneath your clothes" von Shakira: Popsongs, Sexgespräche und Therapeuten auf der Bühne; das Duzen sämtlicher Beteiligter und die hochprofessionelle Licht- und Musiktechnik: Es gibt so einige Momente in diesem "Gottesdienst in freier Form", in denen man vergisst, dass man sich in einer Kirche befindet. Der Effekt ist gewollt: Nicht umsonst landet man, betritt man die Jugendkirche von der Straße aus, erstmal an einer runden Bar.
    Wie weit darf Kirche gehen in ihrem Versuch, den Menschen entgegenzukommen? Die evangelische Theologin Daniela Mailänder hält an diesem Vormittag die Predigt in der Lux-Kirche und glaubt: sehr weit: "Es gibt kein Tabuthema oder keine Zielgruppe wo ich sage, also die oder mit denen können wir keinen Gottesdienst feiern. Ich hab schon mit Skatern Gottesdienste gefeiert, oder eben auch mit Zielgruppen, wo ich denke, die haben auf den ersten Blick jetzt gar nichts damit zu tun."
    Zwischen Beweglichkeit und Verrenkung
    Die 33-Jährige findet, dass sie auch nicht unbedingt selber skaten muss, um entsprechende Gottesdienste feiern zu können - aber eine gewisse Nähe zur Zielgruppe, die brauche sie schon - sie ist noch jung genug für eine Jugendkirche.
    Um neue Milieus zu erreichen, rücken Daniela Mailänder und das Lux-Team ein ganzes Stück ab von dem normalen Sonntagmorgengottesdienst, den die Theologin selbst durchaus mag: Das Vaterunser und die Predigt kommen auch bei ihr noch vor, stehen aber gleichberechtigt neben neuen Elementen.
    Vielleicht sind es auch ganz andere Dinge, die den Leuten wichtig sind: Stefan Wagner ist Vater - dass es eine Kinderbetreuung gibt, ist für ihn wichtig - und die Musik mag er auch. "Ne Band spricht mich wesentlich mehr an als in 'nem traditionellen Gottesdienst Orgel und Lieder, die mehrere hundert Jahre alt sind."
    Je mehr sich Kirchen in Deutschland an einzelne Milieus richten wollen, desto subjektiver ist auch das Empfinden, wo die Grenze ist zwischen Beweglichkeit und Verrenkung, die die Kirche vollzieht, um den Menschen nahe zu sein.
    Für Daniela Mailänder nicht verhandelbar ist etwa die Bibel als Grundlage: In der Predigt klopft sie die alten Texte auf ihre heutige Relevanz in Sachen Sex ab - allerdings viel freier und flapsiger, als man dies aus der Kirche gewohnt ist. Reicht es denn, die äußere Form und die Sprache zu verändern, damit die Menschen wieder in die Kirchen kommen? Ja, glaubt die Theologin: "Es ist ein formales Problem meiner Meinung nach. Wir haben kein inhaltliches Problem, wir sprechen über Themen, die uns alle angehen. Die Kunst ist ja, in die Bibel zu gehen und zu sagen: Mensch, abgefahren, das sind ja plötzlich meine Themen!"
    Sonntagmorgen: Krieg der Sterne
    Das würde auch die Berliner Vikarin Ulrike Garve unterschreiben: Für sie liegt das Problem der Kirchen vor allem in einer unverständlichen Sprache, die es in die heutige Welt zu übersetzen gelte. Etwa ins Universum von Star Wars: Vor ein paar Monaten feierte die 30-Jährige zusammen mit einem Kollegen einen Gottesdienst zu Luke Skywalker und Co.: "Das war eigentlich nur ein großer Spaß von uns beiden, also Lucas Ludewig und ich mögen beide die Star-Wars-Filme und dachten, na ja, eigentlich so vom Thema passt es ja schon auch in so nen Gottesdienst."
    So kamen kurz vor Weihnachten statt der üblichen 80 über 500 Menschen in die Berliner Zionskirche, darunter auch so mancher verkleidete Darth Vader. Die Orgel spielte den Soundtrack und zu sehen waren Filmclips, deren Inhalt - den ewigen Kampf des Guten gegen das Böse - die beiden in Beziehung setzten zur christlichen Botschaft: "In Star Wars spielt ja der Meister eine große Rolle: Warum nicht mal das als Gottestitel verwenden, um da Parallelen zu verdeutlichen: Dass Menschen sich häufig nach etwas sehnen, was größer ist als sie und ihnen vorgibt, wie sie zu leben haben. Das ist für uns Christen Gott, und für Darth Vader war das halt der Senator, der Böse - und beide kann man mit Meister ansprechen."
    Ein Unding? Oder eine legitime, interessante Öffnung? Man muss dazu sagen: Abgesehen von der Sprache und manch äußerem "Special effect" war es ein ganz normaler evangelischer Sonntagsgottesdienst.
    Ulrike Garve findet, ausprobieren ist erlaubt - lächerlich macht man sich nur, wenn diejenigen, die den Gottesdienst gestalten, nicht authentisch sind: "Ich glaub', es hängt immer ganz viel an denjenigen, die's machen. Würde ich zum Beispiel einen Bikergottesdienst machen, wäre das anbiedernd, weil mir das fremd ist. Aber es gibt Pfarrer, die selbst eingeschworene Biker sind und denen man das abnimmt. Ich glaub es gibt auch Grenzen: Der Spiegel hatte ja so ne schöne Satire gemacht zu unserem Gottesdienst: Also wir werden keinen Gottesdienst für VW machen oder Coca-Cola oder solche Werbesachen!"
    Kirche als Wohnzimmer
    Einen Star-Wars-Gottesdienst zu feiern, das kann sich Pater Ewald Häusler für sich persönlich nicht vorstellen. Aber seine Kirche dem grundsätzlich verschließen, das würde der Pfarrer der katholischen Gemeinde Sankt Heinrich in München nicht - auch für ihn gilt: "Wovon ich nicht lebe, das kann ich nicht einbringen. Wenn jetzt aus einem Aktivenkreis ein Vorschlag kommt, wir machen das so und so, weil jemand etwas davon versteht, dann bringt er das ein, und wir gestalten das. Also es kommt immer darauf an, dass jemand von dem, was er vorschlägt, auch ne eigene Erfahrung hat. Und das dann auch authentisch einbringen kann. Etwas zu machen nur weil es gemacht ist, das kann ich nicht! Aber ich kann zusammenführen, da kommt es auf die Offenheit an!"
    So entsteht beides: Vielfalt und Authentizität.
    Um die Menschen in seine Kirche zu holen, setzt der 65-jährige Häusler weder auf spektakuläre Event-Gottesdienste noch auf abgefahrene Themen, sondern auf niederschwellige Angebote. Deshalb werden nach dem Gottesdienst schon mal Stehtische in der Kirche aufgestellt und Hotdogs verteilt. Deshalb gibt es während der Messe Theater-Einlagen, in denen die gaffende Menge nach Jesu' Verhaftung dargestellt wird: Oder Konzerte des gemeindeeigenen Gospelchors, bei denen die weit über 300 Besucher irgendwann in und neben den vollbesetzten Kirchenbänken tanzen.
    2008 hat Häusler die katholische Gemeinde mitten in München übernommen, und mit seinem Konzept vom "Wohnzimmer Kirche" spürbar belebt. Die Elemente, die er dafür einsetzt, sind nicht neu: Schließlich gab es Gospel in Kirchen auch schon vor 30 Jahren. Und wie man Menschen in ihrer Lebenswelt abholen kann, das steht in der Theorie bereits in zig Konzepten: Das Entscheidende ist die Umsetzung in die Praxis, um eine Kirchengemeinde lebendig zu halten - das funktioniert nicht ohne überdurchschnittliches Engagement. Und auch nicht ohne eine gewisse Demut darin, dass man heute eben auch als Kirche um die Aufmerksamkeit der Menschen konkurrieren muss, sagt Pfarrer Häusler: "Man lebt in einer Angebotsgesellschaft, wo einfach jede Person ein enormes Spektrum an Angeboten hat: Was tun, wie Freizeit verbringen? Kirche, neben dem Spirituellen, muss einen Freizeitwert haben. Und daran orientiert man sich in der Pastoral mit den niederschwelligen Angeboten, mit den Erlebnis- und Gesprächsmöglichkeiten, mit Fest und Feier, Zeltlager, was auch alles kommt."
    "Durchjammern" wollen sich weder der katholische Pfarrer noch die beiden jungen evangelischen Theologinnen. Dann doch lieber: Die Flucht nach vorne - auch auf die Gefahr hin, dass vielleicht mal etwas danebengeht.