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Experimentieren statt Bewerbungsmappe

Wer sich an einer Kunsthochschule bewirbt, der braucht eine Bewerbungsmappe. An der HBK in Braunschweig sieht das anders aus: Beim Projekt "Frühstart Kunst" können potenzielle Studienbewerber die Hochschulangebote ausprobieren und - mit etwas Glück - einen Studienplatz auch ohne Mappe ergattern.

Von Susanne Schrammar | 07.05.2010
    "Also, ich hab grad ein bisschen Farbe auf die Platte verteilt und ein bisschen Lösungsmittel darauf gegeben, sodass das so schöne Flecken gibt. Jetzt rolle ich das einmal kurz durch die Platte und mal schauen, was das gibt!"

    Bekleidet mit einer farbbesprenkelten grünen Schürze steht Yana Tsegay an der Druckwalze und dreht an dem großen gusseisernen Rad der Maschine. Ein paar Sekunden später kommt ein mit schwarzen und purpurnen Flecken versehenes Papier zum Vorschein: Yanas erste Druckgrafik.

    "Ich wollte schon immer mal Monotypie machen. Und das ist halt eine gute Gelegenheit."

    Die 19-jährige Abiturientin aus Offenbach ist eine von 70 Teilnehmern des Projekts "Frühstart Kunst" an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig (HBK). Zwei Tage lang können Studienbewerber sich hier einen Überblick darüber verschaffen, was die niedersächsische Kunsthochschule so zu bieten hat. Tutoren und Dozenten führen die Teilnehmer herum, und die können sich nach Herzenslust ausprobieren: Malerei-, Foto- und Filmklassen, Kurse in Bildhauertechnik, Druck oder Keramik.

    "Ich hab mir gedacht, das ist eine ganz schöne Gelegenheit, mal ein bisschen reinzuschauen, wie es an der Hochschule aussieht, hier an der HBK, und mal so Kunststudium ausprobieren. Ich bin mir jetzt unsicher, ob ich wirklich Kunst studieren möchte, weil: Freie Kunst, das ist schon mal was anderes als jetzt zum Beispiel visuelle Kommunikation oder Design allein. Muss ich mir noch klar werden, was denn für mich das Richtige ist von beidem."

    Doch es geht nicht nur um Information - "Frühstart Kunst" wird von der HBK Braunschweig auch als alternatives Bewerbungsverfahren für das Studium angeboten - als Ergänzung zum sonst üblichen Mappenverfahren. Das, sagt Dozent und Initiator Roland Schappert, sei einfach nicht mehr zeitgemäß.

    "Es ist zum Teil ein sehr altmodisches Verfahren, was zu einer Vereinheitlichung geführt hat, was sich zeigt an absurden Beispielen, dass manche Bewerber für ein Kunststudium selbst kleine Ölbilder auf Passepartouts aufkleben, um dann das einheitliche Mappenformat zu erreichen. Und da kann man doch sehr schnell feststellen: So eine Vereinheitlichung will man nicht haben als Künstler. Sondern: Es ist mehr eine Offenheit, Forscherdrang, glaube ich, das Wichtigste beim Beginn eines Kunststudiums."

    Und darum ist das Herzstück von "Frühstart Kunst" auch eine dreistündige Arbeitsphase, in der die Bewerber vor Ort ohne große Vorgaben eigene Kunstwerke und Projekte entwickeln können. Eine Rolle Paketklebeband, ein Stück Pappe und das Motto "Was bleibt?" waren gestern Nachmittag die Grundzutaten für eine wahre Kreativitätsexplosion. Für die Dozenten eine gute Möglichkeit, die potenziellen Kunststudenten besser kennenzulernen, ohne dass ein Druck aufgebaut wird.

    Leona-Alina Boltes und Marie Fischer haben im vergangenen Jahr beim ersten "Frühstart Kunst" teilgenommen und auf diese Weise zwei der zehn begehrten Direktzulassungen für das Studium in Braunschweig ergattert.

    "Die Leute fand ich super-nett und die ganze Stimmung hier. Das hat Spaß gemacht und das war so ein Aha-Erlebnis für mich."

    "Dass wir hier alles machen durften, was wir wollten und die Freiheit hatten und das Interesse von den Professoren an den Leuten, an jedem Einzelnen. Dass man richtig gemerkt hat, dass die wissen wollen, wer man ist. Also, zu merken, es gibt ganz viele Angebote, was man machen kann in allen Bereichen."

    Bewerberin Yana Tsegay hat nach eigenem Bekunden kein Problem mit dem aufwendigen Mappenverfahren. Schließlich, sagt die 19-Jährige, müsse man später im Kunststudium auch sehr viel Arbeit investieren, da sei dies eine gute Vorbereitung. Doch die beiden Schnuppertage seien andererseits sehr viel persönlicher. Ihr hat es bisher gut gefallen. Noch bis zum späten Nachmittag können die Bewerber das Programm der Braunschweiger Kunsthochschule kennenlernen. Dann heißt es zittern, ob die Dozenten sie für einen Studienplatz ausgewählt haben. Yana tritt noch einmal an die Druckwalze.

    "Ja, ich glaub, ich werd hier in dem Bild hier noch mal was reinzeichnen; wahrscheinlich noch ein bisschen Braunschweig angucken und abwarten, was es geworden ist."