Mittwoch, 24. April 2024

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Filmemacher Günter Peter Straschek
Die Schwierigkeiten der Revolution

Sozialistische Lehrfilme sowie eine heute vergessene Dokumentation über die Emigration von rund 2800 Filmschaffenden aus Nazideutschland hat der österreichische Filmemacher Günter Peter Straschek hinterlassen. Im Kölner Museum Ludwig sind seine Arbeiten aus den Jahren 1966 bis 1975 neu ausgestellt.

Von Peter Backof | 02.03.2018
    Filmstill aus "Ein Western für den SDS" - Christian Semler und Elke Edelmann in einem Büro, an der Wand hängt ein Poster von Che Guevara
    In "Ein Western für den SDS" finden sich keine Cowboys, wohl aber Sozialisten (Museum Ludwig, Köln)
    "Das war ganz aufregend. Wir wussten, dass es den Film gibt. Wir haben den Nachlass von Straschek durchsucht - jeden Schnipsel, der dort war. Und in der allerletzten Dose lag dann endlich dieser Film", sagt Julia Friedrich. "Ein Western für den SDS", heißt der 23-minütige sozialistische Lehrfilm in Schwarz-Weiß. Kuratorin Julia Friedrich hat ihn gewissermaßen entdeckt. 50 Jahre lang galt der Western, der keiner ist, als verschollen. Man sieht darin brutalistische Nachkriegsarchitektur, Fabrik- und Verwaltungsgebäude der BRD '68 - und nicht die Rocky Mountains. Auch Cowboys und Indianer: Fehlanzeige.
    "Wir alle sind abgesprengte Bourgeois und neigen natürlich dazu, in voluntaristischer Weise unseren Unmut und unsere Unlust zu verfolgen. Indem wir uns Guevara-Bilder an die Wand hängen, zeigen wir nur unsere abstrakte Solidarisierung."
    Legendär - "weil ihn keiner gesehen hat"
    Es geht um die Mobilisierung einer jungen Frau für den Sozialistischen Deutschen Studentenbund, sowie um die Rechte der Frauen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Darüber diskutiert man, insbesondere in der Filmindustrie, bis heute. Günter Peter Strascheks Filmsprache in diesem frühen Werk indes ist nicht leicht zu verdauen. Dogmatische Texte, Dialoge, mehr hölzern deklamiert als geschauspielert. Gleichwohl gilt dieser aus heutiger Sicht langsame und harmlose Film als berüchtigt und legendär:
    "Ja, eben weil ihn keiner gesehen hat. Weil er beschlagnahmt worden ist, in Berlin 1968. Studentenunruhen, Beschlagnahme des Films durch die Filmhochschule selbst. Studenten, die versucht haben, diesen Film wieder zurückzubekommen, die Pressekonferenzen gegeben haben. Und das war eine hochpolitisierte und aufgeladene Stimmung."
    Der "Western für den SDS" wurde so über seine Qualität hinaus zum Symbol. 18 Studenten wurden damals von der Deutschen Film- und Fernsehakademie verwiesen, darunter Harun Farocki oder der spätere RAF-Terrorist Holger Meins. Dies alles, sowie die Karriere von Günter Peter Straschek in der Folge, haben Julia Friedrich und das Museum Ludwig in einem 300-seitigen Katalog umfassend dokumentiert. Eine Datenfülle, die einen als Besucher einer Ausstellung schlichtweg überfordern würde. Der israelisch-deutsche Künstler und Dramaturg Eran Schaerf hat daher - ganz anders - einen extrem datenreduzierten Parcours konzipiert, als verwinkelten Raum im Raum, in dem es keine parallelen Linien gibt. Gebaute Enge - oder der Raum gewordene Slogan "Muff von tausend Jahren unter den Talaren." Eran Schaerf sagt:
    "Ich fand es erst mal erstaunlich, dass so ein Film beschlagnahmt worden ist. Das hat mir etwas über diese Zeit noch mal deutlich gemacht, dass ein Film über die Rolle der Frau in der Beziehung und in der Gesellschaft so beschlagnahmt wird. Es ist schon ein anderes '68, das man in Strascheks Filmen sieht."
    Reinszenierung der '68er
    Und das auch als Ausstellung mehr bieten möchte als die Kolportage sattsam bekannter Ikonen wie Dutschke, Kaufhausbrand, "Macht kaputt, was euch kaputt macht!" Als konsequent analoges Setting mit Stilmitteln der Zeit - Schaukästen mit blassen Messing-Lettern, wie sie damals auch vor einem Kino oder in einer Fabrik im Gebrauch waren - wird fast so etwas wie Zeitgeist reinszeniert. Auf das alte Ledersofa vor der Wand mit dem Western darf und soll man sich hinfläzen. Die Ausstellung erlebt man eher, als dass man sie konsumiert.
    "Wir haben uns entschlossen, den Ausstellungsraum nicht so zu belassen, wie er ist, sondern eine Kulisse zu bauen. Auch kann man sagen im brecht'schen Sinn eine Kulisse, die deutlich sagt, dass es eine Kulisse ist."
    Zwischen einem dieser von innen leuchtenden Schaukästen und einer anderen Projektionswand im Fluchtpunkt des Raums baut sich eine Spannung auf. Hier die Fragen, ein fast behördlich nüchterner Fragebogen - dort die Antworten, als Film. Wenn man so will, Günter Peter Strascheks Lebensleistung: 2800 Filmschaffende aus der Nazizeit hat er interviewt, warum und wie sie Deutschland verlassen mussten. Eine der ganz wenigen seiner Arbeiten, die überhaupt jemals im Fernsehen gezeigt und dann im Archiv vergessen wurden: Das war 1975, fünf Stunden-Filme in den dritten Programmen der ARD.
    "Wir gingen also hin. Goebbels war unerhört liebenswürdig. Und dann also kam die kalte Dusche. Leider, sagte er, musste ich heute einen Film verbieten, 'Das Testament des Dr. Mabuse'." (Fritz Lang)
    Ganz anders als der spröde "Western für den SDS": Da lauscht man ganz gebannt der Fluchtgeschichte von Fritz Lang, sowie von vielen heute nicht mehr bekannten Produzenten, Sekretärinnen, Komponisten. Doch es geht bei dem Projekt nicht darum, Günter Peter Straschek zu einem besseren Platz in der Mediengeschichte zu verhelfen. Es geht - und das löst die klug gemachte Schau ein - um das "Hier und Jetzt".
    In der Reihe "HIER UND JETZT" des Kölner Museum Ludwig sind die historischen Filme von Günter Peter Straschek bis zum 1. Juli als Ausstellung inszeniert.