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Filmgeschichte
Entdeckungsreise in das Kino der Weimarer Republik

Ob "Nosferatu", "Metropolis" oder "Der blaue Engel": Sie alle entstanden zwischen 1918 und 1933 und setzten Maßstäbe in der Kinogeschichte. Die Ausstellung "Licht und Schatten" in Berlin beleuchtet jetzt diese besonders kreative Phase deutschen Filmschaffens.

Von Bernd Sobolla | 21.01.2014
    "Du hast aber einen schönen Ball.
    Nanu, das habe ich doch schon mal gehört. Das war doch!?
    Das war doch!?"
    Ein Mädchen, das einen Ball prellt, der plötzlich "wie verlassen" zur Seite rollt, während der Mörder pfeifend von dannen zieht. In Fritz Langs Thriller "M" versetzt 1931 ein pathologischer Kindermörder Berlin in Panik. Es folgt eine beängstigende Menschenjagd: Die Polizei, die Nachbarschaft, die Unterwelt – alle suchen ihn. Schließlich gelingt es, den mutmaßlichen Mörder mit einem M zu kennzeichnen. Dazu meint der Regisseur Wim Wenders in einer Filmanalyse:
    "Sensationell! Das ist eine rein visuelle Erfindung, sich das M mit Kreide auf die Hand zu malen und ihm dann in diesem vorgetäuschten, kleinen Manöver da auf den Rücken zu klopfen. Das führt ja dann zu diesem wirklich tollsten Schuss des ganzen Films, wie der Lorre vor dem Spiegel das M entdeckt. Da auf der Schulter! Da ist der ganze Film drin."
    Insgesamt 225 Fotos hat der Kurator Hans Helmut Prinzler aus 66 Filmen ausgewählt. Wobei die Ausstellung weitgehend chronologisch aufgebaut ist. So begegnen die Besucher zunächst den Filmen der frühen Weimarer Zeit, Werke die kurz nach dem Ersten Weltkrieg entstanden.
    Hans Helmut Prinzler: "Und mit dem Kriegsende 1918, das war überraschend schnell dann, kam eine ganze Reihe von außerordentlichen Regisseuren in die Filmstudios. Der erste und sehr bekannte ist Ernst Lubitsch. Dann kam Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, Robert Wiene und andere. Insofern ist die Weimarer Republik einzigartig, aber natürlich auch dem Zeitgeist geschuldet und allem, was damals gemacht wurde."
    Berlin war in den 20er-Jahren eine brodelnde Kultur-Metropole. Und in der Filmstadt Babelsberg, vor den Toren Berlins, spiegelte sich das wider. Hans Helmut Prinzler beschreibt das damalige Leben in den Ausstellungs- und Buchtexten präzise und prägnant, macht die Weimarer Zeit fast greifbar. Er erläutert Politik, Wirtschaft, Technik und Zensur, geht dann auf die Situation von Theater, Literatur und Malerei ein, um schließlich auf Kino- und Filmarchitektur einzugehen, Filmmusik und Filmkritik, Filmfotografie und die verschiedenen Filmgenres. Spätestens hier wird deutlich, was für ein unglaublich breites Spektrum die Weimarer Zeit bot, und wie frei sich die Filmemacher ausdrücken konnten. Auch weil 1918 die Filmzensur aufgehoben wurde, wie Hans Helmut Prinzler erläutert:
    "Die Folgen, die sich daraus ergeben haben: Freiere Darstellung von Sexualität, bestimmte Tabus, die es durchaus gab, auch gleichgeschlechtliche Liebe durfte dann auch dargestellt werden. Natürlich nicht in aller Deutlichkeit, aber doch so, dass einem klar war, worum es da ging."
    Dokumentarfilme über Körperkultur, mit nackten tanzenden Darstellern, drücken das Lebensgefühl der 20er-Jahre aus, zum Beispiel in Wilhelm Pragers "Wege zu Kraft und Schönheit". Carl Theodor Dreyer drehte mit dem Film "Michael" ein Werk über gleichgeschlechtliche Liebe, gleiches gilt für Leontine Sagan die "Mädchen in Uniform" inszenierte. Doch damit nicht genug: Wer glaubt, dass Vampir-Filme eine heutige Mode seien, wird durch die Fotos von "Nosferatu" von Friedrich Wilhelm Murnau bzw. "Genuine" von Robert Wiene eines anderen belehrt. Werke wie "Der Golem" von Carl Boese und Paul Wegener oder "Die Nibelungen" von Fritz Lang begründeten das Fantasy-Genre. Zudem schuf Lang mit "Metropolis" den Klassiker des Science-Fiction-Films schlechthin.
    Hans Helmut Prinzler: "Aber er ist ja nur zum Teil reines Science Fiction. Er hat natürlich sehr viele Reflexe auch auf die damalige Gegenwart. Über Ausbeutung und Kapitalismus ist da schon viel enthalten. Also in der Oberstadt wohnen die Reichen, und in der Unterstadt wird der Mehrwert geschaffen. Aber das Interessante an dem Film ist seine Vision, auch seine ästhetische Vision."
    Die Ausstellung zeigt zu jedem Film fünf bis zehn Fotos, dazwischen sind riesige Filmplakate montiert, die das Erscheinungsbild auflockern und strukturieren. Und auf Monitoren analysieren Tom Tykwer, Wolfgang Kohlhaase und Wim Wenders einige Klassiker. "Licht und Schatten" ist eine Entdeckungsreise in die vielseitigste Zeit der deutschen Filmgeschichte, in der Zeitgeschehen und Zukunftsvisionen mit viel Sinn für Dramaturgie in bewegte Bilder umgesetzt wurden. Und in der auch die Unterhaltung einen hohen Stellenwert hatte. Besonders als sich nach Einführung des Tonfilms mit dem Revuefilm ein weiteres Genre entwickelte, und Stars wie Lilian Harvey ein Millionenpublikum begeisterten.
    Ausstellung
    Licht und Schatten. Am Filmset der Weimrarer Republik
    23. Januar vis 27. April 2104
    Buchtipp
    Hans Harald Prinzler: Licht und Schatten.
    Die großen Stumm- und Tonfilme der Weimarer Republik
    Schirmer/Mosel 2012
    ISBN 978-3-8296-0588-5,Preis: 29,95 Euro