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Finalmente "Santo subito!"

Als Johannes Paul II im April 2005 starb, strömten sofort Tausende zum Petersplatz, um für den Papst zu beten. Aus der stillen Trauer wurde fast eine Kundgebung - ein Aufruf zur Heiligsprechung des beliebten Pontifex. "Santo Subito" riefen die Gläubigen: Sofort Heilig!

Von Ludger Kazmierczak und Tilmann Kleinjung | 30.04.2011
    "Subito" ist natürlich etwas anderes, aber eine Seligsprechung nach sechs Jahren darf durchaus als rekordverdächtig schnell bezeichnet werden. Viel länger hätten die Polen allerdings auch nicht mehr warten wollen. Es ist schließlich IHR Papst, der nun von Gott in die Schar der Seligen aufgenommen wird. Überall im Land stehen daher Großleinwände, um die Bilder aus dem Vatikan live zu übertragen. Hunderttausende werden auf den Beinen sein – viele davon in Krakau, wo Johannes Paul II. als Kardinal gewirkt hat - unter seinem bürgerlichen Namen Karol Wojtyla. Das Amt des Kardinals von Krakau bekleidet heute sein damaliger Sekretär Stanislaw Dziwis.

    "Selbstverständlich sind wir bereit. Wir haben uns seit dem Santo Subito auf diesen Moment vorbereitet, also sechs Jahre lang."

    Am Stadtrand von Krakau, gleich neben einer Basilika, die der polnische Papst vor neun Jahren eingeweiht hat, entsteht gerade ein großes Johannes-Paul-Gedächtniszentrum: mit einer Kapelle, einem Museum und einem Pilgerhaus. "Popetown" wird das Projekt von jenen genannt, die den Verehrungskult für leicht übertrieben halten. Aber diese Kritiker bilden in Krakau eindeutig eine Minderheit. Die meisten sind sich einig: Johannes Paul der Zweite war nicht irgendein Papst, sondern ein ganz besonderer.

    "Mit Lächeln und voller Hoffnung erwarten wir den 1. Mai. Dann wird Freude herrschen."

    "Ja, schon bald können wir uns freuen. Der Selige, Santo Subito!"

    "Er hat auf wunderschöne und einfache Weise unsere Herzen angesprochen, und deshalb haben ihn alle so geliebt und alle werden ihn weiter lieben."

    Viele polnische Pilger werden die Seligsprechung in Rom miterleben. Die Spezialangebote der Reiseveranstalter allerdings wurden nicht so angenommen wie erwartet. Die meisten Gläubigen ziehen es vor, den Tag in Polen zu verbringen.

    "Weil in Rom zu viele Menschen sein werden."

    "Es wurde wohl zu viel darüber erzählt, wie schwierig es sein wird in Rom mit Unterkünften und der Anreise. Da haben viele Angst bekommen und sind unruhig geworden."

    "Es ist nicht wichtig, ob wir auf dem Petersplatz stehen oder irgendwo anders. Am wichtigsten ist es, dabei zu sein."

    In Warschau wird die Seligsprechung auf dem weitläufigen Pilsudski-Platz übertragen – Public Viewing wie sonst nur bei Sportereignissen. Überall auf der Welt werden Menschen die Beatifikation von Johannes Paul II. verfolgen, aber kein Volk wird an diesem Tag das Gleiche empfinden wie die Polen. Denn es ist IHR Papst, der morgen seliggesprochen wird. Hier auf dem Pilsudski-Platz sprach Johannes Paul II. bei seinem ersten Polen-Besuch als Papst 1979 die legendären Worte:

    "Ich rufe, ich Sohn der polnischen Erde: Dein Geist komme. Möge Dein Geist kommen und das Antlitz der Erde erneuern, das Antlitz dieser Erde!"

    Damit sprach der Papst den Oppositionellen in der kommunistischen Volksrepublik Polen Mut zu, ihren Kampf um die Freiheit nicht aufzugeben. Der Rest ist Geschichte, so der Publizist Tomasz Królak, Geschichte, die Johannes Paul mitgestaltet hat.

    "Ein Jahr nach seinem Besuch ist die Gewerkschaft Solidarnosc entstanden. In der Danziger Werft brach der Arbeiterstreik aus, die Porträts von Johannes Paul dem Zweiten hingen damals an den Toren der Werft. Man darf ruhig sagen, dass der Papst die Solidarnosc-Bewegung die ganze Zeit moralisch unterstützt hat."

    Im Vatikan wird immer wieder betont: Mit Johannes Paul II. werde nicht der Papst seliggesprochen, sondern ein Christ mit Vorbildfunktion, im Leben ebenso wie im Leiden.

    "Die Körperkräfte lassen langsam nach, doch die inneren Kräfte folgen den physischen Gesetzen nicht."

    Es sind die Bilder des leidenden Papstes, die heute vor allem die Erinnerung an diesen Mann prägen. Seine letzten Jahre, seine letzten Tage, sein letzter Versuch, den Segen "Urbi et Orbi" zu spenden.

    "In einer säkularisierten Welt hat er auch eine nichtreligiöse Botschaft gesandt. Indem er gezeigt hat, dass auch ein leidender Mensch eine Würde hat und ein leidender Mensch etwas bedeutet. Und das hat sehr viele Menschen beeindruckt."

    Darin liegt für den Vatikanexperten und Journalisten Marco Politi die Bedeutung dieses Pontifikats. Dass Karol Wojtyla ein Papst zum Anfassen war.

    "Das ist der erste Papst der globalisierten Welt. Das war ein Papst, der in erster Linie ein Mensch war, er hatte nicht diese klerikale Aura."

    Programmatisch in diesem Sinne war auch Johannes Pauls erster Auftritt. Als er sich nach dem Konklave auf der Loggia des Petersdomes der überraschten Menge präsentierte, als erster Nicht-Italiener nach 455 Jahren.

    "Ich weiß nicht, ob ich mich gut in eurer, in unserer italienischen Sprache verständlich machen kann. Aber wenn ich Fehler mache, werdet ihr mich korrigieren."

    Ein fehlbarer, ein charmanter Papst, der vor allem in der direkten Kommunikation mit den Menschen überzeugte. Priester, die in Rom studiert haben, schwärmen noch heute von den Begegnungen mit diesem Papst, der sie als Studenten regelmäßig wie selbstverständlich zu sich in die päpstliche Wohnung eingeladen habe. Johannes Paul II. suchte den Kontakt mit den Menschen und absolvierte 104 Auslandsreisen. Allein in der Bundesrepublik war er dreimal, zuletzt 1996 im wiedervereinigten Deutschland.

    "In diesem Prozess gibt es heute noch Probleme, die viele Menschen bewegen. Es darf sich nicht ein radikaler Individualismus durchsetzen, der am Ende die Gesellschaft zerstört."

    Johannes Paul II. war ein politischer Papst, er leistete seinen Beitrag zum Ende des Kalten Krieges, er forderte weltweit die Achtung der Menschenrechte. Unvergessen, so sagt der Vatikankenner und Journalist, sei das strikte "Nein" gegen den Irakkrieg des George W. Bush gewesen.

    "Und er hat auch eine neue Seite der Geschichte geöffnet, in dem er in Assisi alle Führer der Weltreligionen zusammenführte, damit alle Religionen zusammenarbeiten für den Frieden und gegen religionsmotivierte Gewalt."

    Benedikt XVI. setzt im interreligiösen Dialog andere Akzente. Ein gemeinsames Gebet, wie es Johannes Paul II. in Assisi organisierte, ist mit diesem Papst nicht denkbar. Generell interpretiert Joseph Ratzinger das Papstamt – ohne es ausdrücklich hervorzuheben – anders als sein Vorgänger. Benedikt XVI. ist kein Papst zum Anfassen, dafür gehe er anders als Johannes Paul mit deutscher Gründlichkeit gegen Missstände in der katholischen Kirche vor, sagt der Vatikan Journalist Marco Politi. Zum Beispiel beim Missbrauchsskandal:

    "Als Person hat Johannes Paul II. dieses Delikt als schrecklich empfunden. Aber in seinen letzten Jahren hat er nicht verstanden, wie tief verzweigt dieses Problem in der Kirche war."

    Das Pontifikat Johannes Pauls II. war das zweitlängste der Kirchengeschichte. 26 Jahre, die sich in kein Schema pressen lassen. In seiner Weltoffenheit war Johannes Paul ein moderner Papst, in Fragen der Moral und der Lehre folgte er strikt der katholischen Tradition. Für andere Wege hatte er dabei wenig Verständnis: Mit harter Hand ging er gegen die lateinamerikanischen Befreiungstheologen wie Oscar Romero und gegen den deutschen Reformer und Kirchenkritiker Hans Küng vor. Sein Glaube aber war tief und seine Begeisterung für das Christentum ansteckend. Das inoffizielle Motto seines Pontifikats wählte er selbst in seiner Antrittspredigt: "Habt keine Angst!"

    "Habt keine Angst! Öffnet, ja, reißt die Tore weit auf für Christus."

    "Giovanni Paolo! Santo!"

    "Santo subito", skandierten die Gläubigen auf dem Petersplatz schon kurz nach dem Tod Johannes Pauls. Doch ihr Wunsch, dass dieser Mann sofort selig, sofort heiliggesprochen werde, kollidierte mit dem Kirchenrecht, das ein ganz strenges Verfahren, einen komplizierten Prozess dafür vorsieht. Bis zur endgültigen Seligsprechung dauert es häufig mehrere Jahrzehnte. Papst Benedikt XVI. hatte die schwierige Aufgabe die Begeisterung der Menschen für seinen Vorgänger mit dem Regelwerk der katholischen Kirche in Einklang zu bringen. Normalerweise müssen fünf Jahre zwischen dem Tod einer Person und dem Auftakt zum Seligsprechungsverfahren liegen.

    Doch schon wenige Wochen nach seinem Amtsantritt hat Benedikt diese Regel zugunsten seines Vorgängers außer Kraft gesetzt und den Prozess der Seligsprechung sofort eingeleitet. Im Vatikan wird allerdings Wert auf die Feststellung gelegt, dass das Verfahren für Johannes Paul II. wie alle anderen durchgeführt worden sei. Zuständig für das Verfahren ist Kardinal Angelo Amato, der Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen.

    "Bei der Sorgfältigkeit und Strenge des Verfahrens wurden keinerlei Zugeständnisse gemacht. Der Fall wurde behandelt wie jeder andere. Gerade um das Andenken dieses großen Papstes zu ehren, ist die Prüfung besonders gründlich durchgeführt worden, um gar keine Zweifel aufkommen zu lassen."

    Beim Verfahren muss geprüft werden, ob der künftige Selige im "Ruf der Heiligkeit" steht. Das galt bei Johannes Paul II. schon zu Lebzeiten. Außerdem, so der Kirchenhistoriker Kardinal Walter Brandmüller, wird festgestellt:

    "… dass nach sorgfältiger Prüfung, dieser Christ die christlichen Tugenden nicht nur in gewöhnlichem, sondern in heroischem Maße geübt hat und dass er deswegen als Vorbild für das christliche Leben bezeichnet werden kann."

    Schließlich wird ein Wunder verlangt, das auf Fürsprache des Verstorbenen hin bewirkt wurde. Eine unerklärliche Heilung. Im Fall von Johannes Paul war es die französische Nonne Marie Simon-Pierre. Zehn Jahre litt sie an Parkinson. Und wollte deshalb schon ihren Dienst als Krankenschwester aufgeben. Im Juni 2005 wandte sie sich in einem Gebet an den zwei Monate zuvor verstorbenen Johannes Paul. Über Nacht wurde sie nach eigenem Bekunden von ihrer Krankheit erlöst.

    Experten des Vatikan und unabhängige Ärzte untersuchten den Fall und bestätigten eine rational nicht erklärbare Heilung. Damit war der Weg für die Seligsprechung frei. Doch unumstritten ist dieses Verfahren nicht. Andere Mediziner schließen eine Fehldiagnose nicht aus – keine Parkinson-Erkrankung, das hieße keine Wunderheilung. Und Gerüchte, die Nonne Simon-Pierre habe einen Rückfall erlitten, machten ebenfalls die Runde. Neben solchen Kuriositäten gibt es auch ernsthaftere Bedenken: In der evangelischen Kirche stellt man zwar nicht die Vorbildfunktion Johannes Pauls in Frage, kritisiert aber, dass zur Seligsprechung ein Wunder "angeblich wissenschaftlich" nachgewiesen werden müsse. Der evangelische Landesbischof von Bayern, Johannes Friedrich:

    "Da habe ich theologische Bauchschmerzen dabei, weil ich denke, Wunder schafft Gott und niemand sonst. Und Wunder können auch nicht durch die Anrufung des Namens eines Heiligen oder Seligen geschaffen werden. Da wird die Wirkmächtigkeit Gottes für mich leicht infrage gestellt."

    Falls Benedikt XVI. seinen Vorgänger auch heiligsprechen will, muss noch ein zweites Wunder anerkannt werden. Dieses müsste sich nach der Seligsprechung ereignen. Kardinal Walter Brandmüller:

    "Der Unterschied zwischen Selig- und Heiligsprechung liegt darin, dass die Seligsprechung für eine Teilkirche, für ein Bistum, für ein Land ausgesprochen wird, in dessen Bereich dann der Selige verehrt werden kann. Während die Heiligsprechung diese Verehrung für die ganze Kirche erlaubt."

    "Santo subito!" skandierten die Menschen nach dem Tod Johannes Pauls auf dem Petersplatz. Angesichts der weltweiten Verehrung, die diesem Papst entgegengebracht wird, scheint es nur noch eine Frage der Zeit, dass Johannes Paul II. auch als Heiliger verehrt wird; das allerdings liegt ganz im Ermessen seines Nachfolgers. Die Seligsprechung gilt für die Diözese Rom und für die polnischen Bistümer. Für die Kirche in seinem Heimatland hatte er immer überragende Bedeutung – nicht nur weil er die Freiheitsbewegung beflügelte.

    Sechs Jahre nach seinem Tod indes zeigen sich in der polnischen Amtskirche Risse. Sie ließ sich immer wieder in politische Auseinandersetzungen hineinziehen, was die Gräben zwischen nationalistischen und liberalen Bischöfen vertiefte. Gräben, die Johannes Paul II. mit seiner Autorität immer zu überbrücken vermochte.

    So kommt dem polnischen Klerus die Seligsprechung gelegen. Für junge Polen ist laut Umfragen ihr Papst – gleich nach den eigenen Eltern – immer noch die größte Respektsperson. Johannes Paul der Zweite war im besten Sinne des Wortes ein Menschenfänger - wohl auch deshalb, weil er selbst als Papst immer Mensch geblieben ist. Es gibt heute nicht nur die Bilder vom Heiligen Vater im Messgewand, sondern auch die des wandernden Johannes Paul im Urlaub. Und die vielen Fotos des jungen Karol Wojtyla – Fußball spielend in Wadowice, seinem Heimatort in der Nähe von Krakau, dem er 1999 noch einmal einen Besuch abstattete.

    "Da hinten war die Konditorei. Nach dem Abitur gingen wir dorthin, um Cremeschnitten zu essen. Reichlich Cremeschnitten, weil wir das alles überstanden hatten. So etwas vergisst man nicht. Viele Erinnerungen."

    Acht Mal ist Karol Wojtyla als Papst Johannes Paul der II. nach Polen zurückgekehrt. Bei seinem Besuch 1991, kurz nach der politischen Wende in Osteuropa und dem Fall des Kommunismus, erinnerte er sich in Krakau an seine erste Reise 12 Jahre zuvor.

    "Als ich Warschau 1979 zum ersten Mal besuchte, sprach ich auf dem Siegesplatz die Worte: Möge dein Geist kommen und das Antlitz der Erde erneuern. Die Freiheit, um die wir Christus gebeten haben, wurde uns gegeben, gebracht, geschenkt. Nicht, damit wir sie vergeuden, sondern damit wir sie leben und den anderen bringen."

    Während dieses Besuches 1991 war Lech Walesa - die einstige Symbolfigur des Widerstandes - Präsident der freien demokratischen Republik Polen. Der Elektriker und Wortführer der Solidarnosc-Aktivisten hatte es bis an die Spitze des neuen Staates gebracht. Ohne den Papst, davon ist Walesa bis heute überzeugt, hätte es die friedliche Revolution in den 80er-Jahren nicht gegeben.

    "Ohne den Beistand des Heiligen Vaters wäre ich, genau so wie Millionen andere, niemals in den Widerstand gegangen. Keinesfalls! Die Menschen hätten sich nicht erhoben, sie hätten Angst gehabt, sie hätten gar nicht erst darüber nachgedacht."

    Der Historiker Antoni Dudek teilt diese Einschätzung. Das Pontifikat Johannes Paul II. habe den Niedergang des kommunistischen Systems in einem großen Teil dieser Welt beschleunigt, sagt er.

    "Johannes Paul II. war ein charismatischer Mensch, der die Welt der Arbeit, die Welt der Arbeiter sehr gut verstand. Er hat ihnen eine Alternative zum realen Sozialismus aufgezeigt, indem er viel über das Recht der Menschen auf Würde, Arbeit und Freiheit geredet hat. Er hat ihnen klar gemacht, dass die Kommunisten die Arbeiterklasse nicht befreit, sondern unterjocht haben. Diese Botschaft hat der kommunistischen Ideologie den Todesstoß versetzt. Diese Botschaft erreichte in den 80er-Jahren allmählich das Bewusstsein der Menschen in verschiedenen Ländern. Und das ist mit eine der Ursachen für dieses Wunder von 1989, als die kommunistischen Regime begannen, wie Dominosteine umzufallen: zuerst in Polen, dann in Ungarn und dann in den weiteren Ländern des Ostblocks."

    Johannes Paul II. war ein Symbol für die Polen, eines, das Identität stiftete - in einer Zeit, als der Kommunismus eine polnische Identität nicht zuließ. Den Menschen in seinem Heimatland bedeutet er deshalb bis heute mehr als den Gläubigen im Rest der Welt.
    Papst Johannes Paul II. bricht unmittelbar nach den Schüssen auf dem Petersplatz am 13. Mai 1981 zusammen.
    Papst Johannes Paul II. bricht unmittelbar nach den Schüssen eines Attentäters auf dem Petersplatz am 13. Mai 1981 zusammen. (AP Archiv)
    Amerika kondoliert an der Totenbahre von Papst Johannes Paul II.
    Amerika kondoliert an der Totenbahre von Papst Johannes Paul II. (AP)