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Flaschen für Sammler

Pfandflaschensammeln ist ein mühseliges Geschäft. Umgekehrt ist es für die Besitzer von Pfandflaschen lästig, diese zum Sammelautomaten zu bringen. Da kann man doch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, dachte sich ein Berliner Student und gründete die Internetseite "pfandgeben.de".

Von Rainer Brandes | 08.08.2011
    Berlin, Bahnhof Zoo: An einer schäbigen Betonmauer stehen rund 20 Obdachlose und andere Bedürftige vor dem Eingang zur Bahnhofsmission Schlange. Drinnen gibt es ein warmes Mittagessen. Die meisten tragen Taschen oder Rucksäcke bei sich, gefüllt mit leeren Flaschen. Unter ihnen ist auch Dieter Bürger. Der 30-Jährige sitzt im Rollstuhl. An dessen Lehne hat er einen Rucksack voller Plastikflaschen befestigt. Seit acht Jahren sammelt er Flaschen und Dosen. Die Arbeit ist gefährlicher als man denkt, sagt er:

    "Im Müll liegen manchmal Glasscherben und auch so andere Sachen, die ich lieber mal nicht so erläutern möchte, wie Spritzen und so, und wenn man denn da rein greift: Man weiß nicht, ob die Person krank ist oder irgendwas hat, und daher gehen alle, die Flaschen sammeln, das Risiko ein, auch ganz schnell krank zu werden."

    Deshalb findet Dieter Bürger die Idee der Internetplattform pfandgeben.de prinzipiell gut. Dort können sich Flaschensammler mit ihrer Handynummer und dem Bezirk, in dem sie sammeln möchten, registrieren lassen. Wer dort zum Beispiel "Berlin Kreuzberg" eingibt, erhält eine Liste mit neun Handynummern. Wer mindestens 20 Flaschen zu Hause hat, kann sich eine Nummer aussuchen, den Flaschensammler anrufen und fragen, ob er kommen möchte, um sie abzuholen. Das erspart dem Sammler den Griff in den Mülleimer. Für Dieter Bürger hat die Sache nur einen Haken: Mit seinem Rollstuhl kann er nur eine begrenzte Anzahl an Flaschen transportieren und in einem Haus ohne Fahrstuhl kommt er nicht in die Wohnungen der Flaschenbesitzer. Deshalb sagt er nur:

    "Ich würde, wenn ich nicht im Rollstuhl sitzen würde, sofort da mitmachen."

    Ein blonder junger Mann mischt sich ein. Boxer, wie er sich nennt, wurde vor Kurzem aus dem Gefängnis entlassen und steht jetzt auf der Straße. Von der Pfandflaschenaktion hat er noch nichts gehört, ist aber begeistert:

    "Dit hört sich wunderbar an, die Aktion werd' ick einfach mal mitmachen. Weil 'ne bessere Jelegenheit kann man doch jar nit dann kriegen, wenn man janz einfach dann anjerufen wird und sacht: Hier, pass uff, die Party is' vorbei. Ja, und ick krieg dann meine zwei, drei Müllsäcke voll mit Pfandflaschen, ja, dit is' doch wieder ein Haufen Jeld mit eenmal."

    So wie Boxer sehen das hier die meisten. Es gibt aber auch kritische Stimmen. Denn mitmachen kann nur, wer ein Handy besitzt. Außerdem befürchten manche, es könnten sich auch Teilnehmer auf der Plattform anmelden, die das Geld gar nicht so dringend brauchen. Die nähmen den wirklich Bedürftigen dann die Einnahmen weg. So sieht das zum Beispiel dieser Mann, der seinen Namen nicht nennen mag.

    "Warum lassen sie nicht die paar Flaschen armen Leuten. Die Leute haben kein Geld, da kommen die Studenten, die erfinden was, die haben mehr Geld in der Tasche wie die Leute, die hier stehen. Die sollen überlegen, was sie tun!"

    Richard Metzler ist Programmierer und Informatikstudent. Der 31-Jährige ist Mitinitiator von pfandgeben.de. Er glaubt nicht, dass dort Leute mitmachen, die das Geld eigentlich nicht bräuchten:

    "Wir gehen davon aus, dass sich nur Bedürftige bei uns anmelden. Allerdings kann natürlich jeder sich anmelden. Aber letztendlich ist es ja so: Wenn man jemand anruft und der kommt vorbei und man stellt dann fest, der trägt irgendwie eine goldene Uhr am Arm oder so, dann ruft man den wahrscheinlich nicht noch mal an."

    Eine Bedürftigkeitsprüfung gibt es jedenfalls nicht. Wer wollte auch festlegen, wer das Geld braucht und wer nicht. Einer der Kreuzberger Flaschensammler zum Beispiel ist Sebastian. Der durchtrainierte junge Mann mit den kurzen dunklen Haaren trägt ein ärmelloses, schwarzes Shirt. Er steigt aus seinem Auto. In der Hand hält er zwei große blaue Plastiktüten und klingelt an der Tür einer Altbauwohnung.

    "Ja, hallo, hier ist Sebastian. Ich komme wegen der Pfandflaschen."

    In der Wohnung warten etwa 60 Pfandflaschen auf Sebastian. Der ist Student und sammelt Leergut, um sich zu seinem Nebenjob noch etwas Geld hinzuzuverdienen. Denn die 800 Euro, die er mit seinem Job verdient, reichen ihm nicht aus.

    "Deswegen mach das auch, weil ich möchte halt den Flaschensammlern auf der Straße jetzt auch keine Konkurrenz machen, weil ich brauche zwar das Geld, hab es jetzt aber glaube ich nicht so nötig, wie die, die wirklich im Abfalleimer danach suchen müssen. Und ich denke mal, ich mach denen keine Konkurrenz, weil die eben kein Auto haben und das gar nicht bewerkstelligen können. Deswegen finde ich das Okay."

    Heute Abend hat sich sein Einsatz jedenfalls gelohnt. Vielleicht – so hofft er – kann er im Monat 150 bis 200 Euro mit Pfandgeld verdienen.