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Flüchtling an Baum gefesselt
Widerwärtige Selbstjustiz oder mutige Zivilcourage?

Mehrere Männer in Arnsdorf in Sachsen habe einen psychischkranken Asylbewerber aus einem Supermarkt gezerrt und mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt. Der Fall sorgt für Aufregung, wirft aber auch Fragen auf: War das die Aktion einer Bürgerwehr? Und warum ließ die Polizei die Männer zunächst gehen? Erst Tage später hat sie drei von ihnen ermittelt, darunter einen CDU-Lokalpolitiker.

Von Ursula Kissel | 02.06.2016
    Ein Baum vor einem Supermarkt in Arsdorf (Sachsen) - an diesen soll am 21. Mai ein irakischer Flüchtling gefesselt worden sein.
    Eine Gruppe von Männern soll einen irakischen Flüchtling vor dem Supermarkt in Arnsdorf an einen Baum gefesselt haben. (picture alliance / dpa / Christian Essler)
    Der Vorfall hat sich den Angaben zufolge bereits am 21. Mai in Arnsdorf im sächsischen Landkreis Bautzen ereignet. Doch erst durch die Verbreitung eines Videos im Internet und dazu die menschenverachtende Kommentierung aus rechtsextremen Kreisen in sozialen Medien machte den Vorfall bekannt.
    Laut Polizei handelte es sich bei dem Mann, der gefesselt wurde, um einen 21-jährigen Iraker. Er sei Patient des psychiatrischen Fachkrankenhauses in Arnsdorf. Der Mann hatte tags zuvor in dem Markt eine Telefonkarte gekauft und war wegen Problemen damit mehrfach wieder in dem Geschäft aufgetaucht. Aufgrund von Sprachproblemen sei die Verständigung aber schwierig gewesen. Die Beamte seien deshalb gleich dreimal gerufen worden, hieß es. Zweimal brachten Polizisten den Asylbewerber demnach zurück in die Klinik. Nachdem er ein drittes Mal im Markt auftauchte, sei die Situation eskaliert. Als sich herausstellte, dass das Guthaben bereits aufgebraucht war, soll der Mann wütend geworden sein und Mitarbeiter mit einer Flasche bedroht haben.
    Unter Schlägen aus dem Geschäft gezerrt
    In dem Video ist eine Diskussion zwischen Mitarbeitern des Supermarktes und einem jungen Mann zu sehen: Dieser hält eine Flasche in der Hand, eine Mitarbeiterin fordert ihn auf, die Flasche wegzustellen. "Das will der Mann offensichtlich nicht, macht aber auch keine Anstalten, mit der Flasche zuzuschlagen, sondern er hält sie hinter dem Rücken", schilderte Landeskorrespondent Bastian Brandau im DLF das zu sehene Geschehen.
    Plötzlich tauchten dann aus dem Eingangsbereich vier Männer auf, die den Mann gepackt und ihm die Flasche weggenommen und ihn dann zum Ausgang gezerrt hätten. "Er wehrt sich, fordert sie auf, ihn loszulassen, sie aber zerren ihn - auch unter Schlägen - heraus", berichtete Brandau weiter. Niemand sonst im Supermarkt habe eingegriffen. Am Ende des Videos sei dann eine Frauenstimme zu hören mit den Worten: "Ist schon schade, dass man eine Bürgerwehr braucht."
    Wohl auch aufgrund dieser Bemerkung ist in mehreren Medien nun die Rede von der Aktion einer Bürgerwehr.
    Ermittlungen gegen die vier Männer, aber auch gegen den Iraker
    Die Polizisten fanden den Iraker dann mit Kabelbindern gefesselt an einem Baum auf dem Parkplatz. Die vier Männer gaben laut Polizei an, sie hätten eine Gefährdungssituation abgewendet und den Iraker an der Flucht hindern wollen.
    Einer der vier Männer soll auch die Polizei angerufen und dabei von Ladendiebstahl gesprochen haben. Die Beamte ließen die Männer gehen, ohne ihre Personalien festzuhalten. Später wurden dann Ermittlungen gegen Unbekannt eingeleitet.
    Gestern gab die Polizei nun bekannt, sie habe jetzt drei der vier Tatverdächtigen identifiziert und ermittele gegen sie wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung. Auch gegen den Iraker hat die Polizei Ermittlungen eingeleitet. Es gehe dabei um den Verdacht der Bedrohung. DLF-Landeskorrespondent Brandau sagte dazu: "Ausdrücklich wird nicht ermittelt wegen Diebstahls oder Körperverletzung."
    In Arnsdorf waren die Verdächtigen längst bekannt
    Dass die Polizei erst jetzt die Tatverdächtigen ermittelt habe, sei bemerkenswert, erklärte Brandau weiter. Denn in Arnsdorf sei schon länger bekannt gewesen, um wen es sich handele. So soll einer der Beteiligten ein CDU-Gemeinderatsmitglied sein. Dieser sei in dem Rat wenige Tage nach dem Vorfall darauf angesprochen worden. Der CDU-Politiker habe auch bereits gegenüber mehreren Medien bestätigt, dabei gewesen zu sein. Er habe das Vorgehen verteidigt und von "Zivilcourage" gesprochen, erklärte Brandau.
    Der CDU-Lokalpolitiker wies allerdings zurück, dass es sich um die Aktion einer Bürgerwehr gehandelt habe. Es gebe in dem Ort keine Bürgerwehr, wurde er zitiert. Gefesselt habe man den Flüchtling nur, weil er immer wieder um sich geschlagen habe.
    Polizeichef rechtfertigt das Festhalten des Irakers teilweise
    Die Polizei untersucht nun das Geschehen - und "auch das Handeln der vor Ort eingesetzten Streife", wie der Görlitzer Polizeipräsident, Conny Stiehl, sagte. Der Staatsschutz sei in die Arbeit der Emittlungsgruppe eingebunden. Zu prüfen sei, ob die vier Tatverdächtigen das "Festhalte- und Festnahmerecht durch Jedermann", wie es das Gesetz erlaubt, überschritten hätten.
    "Durch die Erregtheit des Asylbewerbers war das Festhalten sinnvoll, ich tu mich schwer zu sagen, notwendig", erklärte Stiehl. Die alarmierten Polizeibeamten hätten sich dann in dem Markt über den Sachverhalt informiert, ohne Kenntnis von dem Video zu haben. "Also mussten wir davon ausgehen, dass das Handeln derjenigen, die uns geholfen haben, korrekt war."
    Ob es sich nun tatsächlich um eine Bürgerwehr handelte, ist noch unklar. Für deren Existenz fehlen bisher offenbar die Belege.
    Die Bürgermeisterin von Arnsdorf, Martina Angermann, erklärte, sie habe keine Kenntnis über eine Bürgerwehr. Sie sehe dazu auch keine Notwendigkeit, "da bisher in Arnsdorf die Ruhe und Sicherheit gewährleistet war". Über den Vorfall sei sie "bestürzt und sprachlos" und schäme sich "für das Handeln dieser Männer".
    Höhn (Linke): "Widerwärtige Lynchjustiz"
    Auch andere Politiker reagierten empört. Der Chef der Grünen-Fraktion im Bundestag, Anton Hofreiter, sagte, es zeige sich "wieder einmal, dass Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu einer traurigen Realität in Sachsen gehören".
    Der Linken-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn sprach von "widerwärtiger Lynchjustiz". Sein Parteikollege Rico Gebhardt nannte es "Wild-West-Manier". Der sächsische Linken-Fraktionschef betonte, es sei "das eine, dazwischen zu gehen, wenn eine Situation eskaliert, die Situation zu beruhigen. Einen psychisch kranken Mann jedoch zu schubsen, zu schlagen und mit Kabelbindern an einen Baum zu fesseln, überschreitet jedwede Grenze und ist Selbstjustiz."