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Flüchtlingspolitik
Seehofers Kritik perlt an Merkel ab

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer will mit einem Ultimatum an Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik erzwingen. Die reagierte gelassen auf die Kritik. Allerdings lud sie die Parteichefs der Koalition zu einem Treffen am Wochenende ein.

27.10.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU).
    Merkel gibt die Richtung in der Flüchtlingspolitik vor. (picture alliance / dpa / David Ebener)
    Seehofer hatte Merkel aufgefordert, angesichts der vielen aus Österreich einreisenden Flüchtlinge umgehend mit der Regierung in Wien zu sprechen. Über die Grenze kommen derzeit jeden Tag Tausende Flüchtlinge. Merkel betonte, dass die Bundesregierung mit der österreichischen Regierung seit dem Frühsommer in konstanten Kontakten auf allen Ebenen stehe. "Diese Kontakte haben heute schon wieder stattgefunden, die werden morgen stattfinden, übermorgen stattfinden." Dies sei "die Normalität unseres Handelns".
    Auch ein von Seehofer formuliertes Ultimatum wies die CDU-Politikerin zurück. Der bayerische Ministerpräsident hatte von der Bundesregierung Ergebnisse in der Flüchtlingskrise bis zum Wochenende verlangt. "Wir werden nach Allerheiligen beurteilen können, ob Berlin bereit ist, die bayerische Forderung nach einer Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung zu übernehmen", sagte er in einem Interview mit der "Passauer Neuen Presse". "Sollte ich keinen Erfolg haben, müssen wir überlegen, welche Handlungsoptionen wir haben."
    Merkel: "Schritt für Schritt vorgehen"
    Merkel hielt in einer Pressekonferenz dagegen: Es gelte, Schritt für Schritt vorzugehen. "Wir können den Schalter nicht mit einem Mal umdrehen", betonte sie, ohne namentlich auf Seehofer einzugehen. Die Kanzlerin verwies auch auf die europäischen Vereinbarungen für eine engere Zusammenarbeit auf der Balkanroute. Allerdings lud Merkel die Parteichefs der Koalition zu Treffen zur Flüchtlingskrise am Wochenende ein.
    Bayern hatte zuvor schon Berlin mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht und nicht näher definierte "Notwehrmaßnahmen" angekündigt, falls die Bundesregierung die Zuwanderung nicht reguliere.
    Voggenhuber: "Beispiellose Selbstherrlichkeit" von Merkel
    Ebenfalls ein scharfer Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik ist der ehemalige österreichische Grünen-Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber. Er warf der Kanzlerin im Deutschlandfunk eine "beispiellose Selbstherrlichkeit in der europäischen Asylfrage" vor. Die Öffnung der deutschen Grenzen bezeichnete er als "einen urplötzlichen, völlig unvorhergesehenen Anfall von Humanität, den man vorher weder im Mittelmeer, noch gegenüber den afrikanischen Flüchtlingen irgendwie feststellen konnte".
    Bayerns Kritik an Österreich sei allerdings auch "harter Tobak", sagte Voggenhuber weiter. "Die bayerische Regierung versucht offenbar, die Kritik an dem eigenen Koalitionspartner, an der Frau Bundeskanzler Merkel über die Bande Österreich zu verstärken."
    Juncker mahnt Einhaltung von Versprechen an
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte die Regierungen der Mitgliedsstaaten unterdessen auf, ihre in der Flüchtlingskrise gemachten Versprechen rasch einzulösen. Bisher sei nicht einmal die Hälfte der von der EU-Grenzagentur Frontex und der Asylbehörde Easo angeforderten Experten bereit gestellt worden, sagte er vor dem Europaparlament in Straßburg. Man verliere an Glaubwürdigkeit, wenn es nicht gelinge, die Kluft zwischen Versprechen und Taten zu verringern.
    (hba/ach)