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Frankfurter Poetikvorlesung als Magnet

Sie gehört zu den einflussreichsten Vorlesungen im Literaturbetrieb: die Frankfurter Poetikvorlesung. Seit 55 Jahren kommen die bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller in den Adorno Hörsaal der Frankfurter Universität. Dort dozieren sie in jedem Semester über aktuelle Fragen der Literatur. Für die Stadt und die Universität tragen sie dabei das Bild Frankfurts als Produktionsstätte der Literatur in die Welt.

Von Mike Roth | 18.06.2005
    Andrea Diener am Computer ihrer Studentenbude in Frankfurt Griesheim. Die junge Schriftstellerin und Anglistikstudentin macht die Poetikdozentur der Universität Frankfurt gern zum Thema ihrer ironischen Seitenhiebe gegen den deutschen Literaturbetrieb.

    " Ach, die Poetikvorlesung. Folge drei ist eigentlich eine Erweiterung des Artikels in der Zeit … "

    Bei ihren Besuchen der Poetikvorlesungen hat die Studentin bereits die Schriftstellerin Monika Maron kennen gelernt. Mit Robert Gernhard hat sie einen Kaffee getrunken. Und während einer durchzechten Nacht mit Robert Menasse hat sie sich Tipps für ihre ersten Schritte als Jungautorin geholt.

    " Natürlich kann man das jetzt nicht eins zu eins umsetzen. Weil jeder Autor natürlich seine eigene Poetik hat. Aber so einzelne anstoßende Gedanken bekommt man natürlich immer wieder, klar. Dafür ist es ja auch da. "

    1959 hat die Frankfurter Universität die Gastdozentur für Poetik ins Leben gerufen. Und startete dabei gleich mit einem Donnerschlag. Ingeborg Bachmann, die Grand Dame der deutschen Nachkriegsliteratur, klärte Fragen der zeitgenössischen Dichtung nach dem zweiten Weltkrieg. Und andere folgten: Martin Walser, Günter Grass, Christa Wolf, Friedrich Dürrenmatt. – Bis heute gleicht die Liste der Gastdozenten einem Who is Who der jüngeren deutschen Literaturgeschichte. Dennoch – unter den Studierenden hat das Interesse an der Vorlesungsreihe mittlerweile abgenommen, sagt Diener.

    " Studenten, eigentlich sind in der Minderheit. Ich würde mir ehrlich gesagt mehr erwarten, oder dass es mehr Studierende interessieren würde, weil es doch grade ein sehr ungewöhnliches Angebot ist, grade jetzt für Literaturwissenschaftler. Der Großteil des Publikums macht doch tatsächlich so das einschlägige Kulturpublikum aus dem Frankfurter Westend aus. "

    Und die kommen in Scharen. Während der Vorlesungen ist der Adorno Hörsaal der Universität proppenvoll. Mit Plakaten wirbt die Hochschule in der gesamten Stadt für ihre Veranstaltung. Sie soll ein Brückenschlag sein zwischen dem intellektualisierten Literaturbetrieb der Universität und den an Literatur interessierten Bürgen der Stadt, sagt Volker Bohn, der Dekan des Fachbereichs Neuere Philologien, der die Poetikvorlesungen anbietet.

    "Für das Interesse außerhalb der Universität, sei es innerhalb der Stadt, sei es sogar außerhalb der Stadt ist es eine Veranstaltung, die zu den glaube ich für die Universität unter den Gesichtspunkten der Public Relations oder auch der Bindung an den Standort Frankfurt sicher eine der erfolgreichsten der Universität ist."

    Frankfurt ist nicht nur Deutschlands Finanzmetropole. Die Stadt blickt auch auf eine lange Tradition der Dichter und Denker zurück. Dieses Bild Frankfurts in der Welt kann Kulturdezernent Hans-Bernhard Nordhoff nicht oft genug betonen. Die renommierten Poetikvorlesungen bilden da nur einen der Steine in einem großen Mosaik, meint er.

    "Mir ist es auch wichtig deutlich zu machen das Frankfurt der Ort der Produktion ist. Das heißt ein Ort von Schriftstellerinnen und Schriftstellern in einer sehr ansehnlichen Anzahl. Und da spielt es natürlich auch eine Rolle, dass man sich Gäste ein lädt und mit den Gästen diskutiert. Und das ist produktiv und das wird weiter produktiv sein."

    Finanziert wird die Gastdozentur zum größten Teil vom Suhrkampverlag. Neben den Freunden und Förderern der Goethe-Universität bezahlt er seit 1963 die Honorare der prominenten Autoren. Verlagssprecher Thomas Sparr:

    " Der Verlag geht mit dieser Poetikdozentur an die Universität, weil er dort die gegenwärtige und zukünftige Generation von Lesern und Leserinnen findet und auch möglichen Autorinnen und Autoren, von denen wir erst in einigen Jahren etwas erfahren werden. Das ist der tiefere Sinn dieser Poetikdozentur, der ersten in Deutschland. "

    Um das Werben künftiger Leser und Autoren macht sich Andrea Diener noch wenige Gedanken, ebenso wie um das Renommee der Universität und der Stadt Frankfurt. Was für die Literaturstudentin und angehende Autorin momentan zählt, ist der direkte Kontakt zu den ganz Großen der deutschen Literaturszene. Und vielleicht, wünscht sie insgeheim, steht sie einmal selber im Adorno Hörsaal der Frankfurter Universität und plaudert aus dem Nähkästchen ihrer Schreibwerkstatt. Was sie dann erzählen wird, steht jedoch noch auf einem unbeschriebenen Blatt.

    " Ja das ist dieses berühmte: welche Rede würde ich halten, wenn ich jetzt den Oskar bekommen würde. Also da sag ich jetzt wirklich nichts drüber. Also da reden wir dann in dreißig Jahren drüber."