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Freiheit für Apartheid-Mörder?

Im Auftrag der Apartheid folterte und tötete der Geheimpolizist Eugene de Kock zahlreiche Menschen mit äußerster Brutalität. Seit 1996 sitzt er im Gefängnis, verurteilt zu zwei Mal lebenslänglich und zusätzlichen 212 Jahren Haft. Doch seit einigen Wochen wird in Südafrika darüber diskutiert, ob er begnadigt werden sollte.

Von Leonie March | 06.02.2010
    An jeder großen Kreuzung in Südafrika hängen Plakate mit den Schlagzeilen des Tages: "Freiheit für Prime Evil? Soll de Kock begnadigt werden?", titelt eine große Zeitung. Thando Makapela versucht, nicht hinzusehen. Sie wendet den Blick ab, überquert zügig die Straße, betritt ein Haus. Dort treffen sich Opfer der Apartheid und deren Angehörige, um die schmerzhafte Vergangenheit aufzuarbeiten. Thando Makapela ringt sichtbar um Fassung, als sie die Geschichte ihres Bruders erzählt: Tiiselo Leballo wurde im März 1992 von dem berüchtigten Oberst der Geheimpolizei, Eugene de Kock, und seinen Männern ermordet.

    "De Kock hatte ihn gefesselt und in den Kofferraum gesperrt. Sie fuhren eine Weile herum, bevor sie den Kofferraum öffneten. Mein Bruder flehte sie an, fragte, was er verbrochen habe. Erst der zweite Schuss in den Kopf tötete ihn. Sie legten seine Leiche auf den Boden und sprengten sie in die Luft, danach sammelten sie die zerfetzten Teile seines Körpers auf und wiederholten das Ganze. Ich bin damals nach Nelspruit gefahren, um meinen toten Bruder zu sehen, aber es war nichts mehr von ihm übrig. Wir konnten ihn nicht einmal begraben. Später sah ich de Kock und seine Männer. Sie feierten, tranken und grillten, direkt bei der Leichenhalle."

    Thando Makapelas Blick ist leer, sie wischt sich eine Träne von der Wange. Wie kann man angesichts dieses Terrors überhaupt an Begnadigung denken, fügt sie leise hinzu. Der Mord an ihrem Bruder war einer der Fälle, für den de Kock keine Amnestie gewährt wurde. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission verurteilte die exzessive Gewalt. Wie viele Menschen de Kock im Namen des Apartheidregimes gefoltert und getötet hat, ist unklar. Aber es dürften während seiner Karriere als Geheimpolizist Hunderte gewesen sein. Wegen sechs Morden und einer Reihe weiterer Vergehen sitzt er im Gefängnis eine 212-jährige und zwei lebenslange Haftstrafen ab. Verbüßt hat er nicht einmal 14 Jahre. Allein aus diesem Grund ist eine Begnadigung undenkbar, meint John Steenhuisen von der Oppositionspartei Democratic Alliance. Auch das Argument, de Kock habe lediglich Befehle ausgeführt, lässt er nicht gelten.

    "Ich finde es schon problematisch, dass einige der führenden Köpfe vor der Wahrheitskommission kein volles Geständnis abgelegt haben und andere sogar völlig ungeschoren davongekommen sind. Aber de Kock war viel mehr, als ein Mitläufer. Videoaufzeichnungen und Zeugenaussagen belegen, dass er die Befehle gern ausgeführt hat, dass er Spaß am Töten hatte. Während der Apartheid ist schließlich niemand dazu gezwungen worden, für die Geheimpolizei zu arbeiten."

    Alte Weggefährten de Kocks sehen in ihm einen Sündenbock, der zu hart bestraft wurde. Doch auch einige seiner Opfer könnten damit leben, dass er begnadigt wird. Zandisile Musi entkam 1982 schwerverletzt einem Attentat de Kocks.

    "Was geschehen ist, sollten wir ruhen lassen. Wir haben damals für unsere Freiheit gekämpft, aber der Krieg ist vorüber. Ich persönlich habe de Kock vergeben."

    Doch versöhnliche Stimmen der Opfer, wie diese, sind in der Minderheit, meint Musa Ndlovu, von der Khulumani Support Group, einer Organisation, die über 30.000 Apartheid-Opfer vertritt.

    "Die meisten der Opfer wollen nicht, dass de Kock begnadigt wird. Einige befürchten sogar, dass er sich rächen und auch sie töten wird. Das muss Präsident Jacob Zuma bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Doch bislang hat er die Opfer und ihre Angehörigen nicht zu Rate gezogen. Das muss sich ändern. Wir hoffen, dass sich Zuma am kommenden Donnerstag, bei seiner Rede an die Nation zum 20. Jahrestag der Freilassung Nelson Mandelas, zu dieser Frage äußert. Ich persönlich lehne eine Begnadigung nicht grundsätzlich ab, solange de Kock beweist, dass er sich grundlegend verändert hat und die Opfer einbezogen werden."

    Das fordert auch Oppositionspolitiker John Steenhuisen.

    "Paragraph 84 unserer Verfassung ermächtigt den Präsidenten dazu, die Entscheidung über eine Begnadigung allein zu fällen. Wir glauben jedoch, dass hier ein rechtlicher Rahmen fehlt: Der Justizminister sollte miteinbezogen und es müssten klare Kriterien für die Begnadigung formuliert werden. Außerdem müssen die Familien der Opfer mit einbezogen werden."

    Doch nicht nur die gegenwärtige Rechtspraxis steht in der Kritik. Die Erinnerung an die Gräueltaten de Kocks und seine mögliche Begnadigung haben alte Wunden wieder aufgerissen. Die bisherige Art der Vergangenheitsbewältigung, auf dem das Selbstverständnis des neuen Südafrika gründet, ist umstritten. So macht sich beispielsweise Winnie Madikizela-Mandela, die Ex-Frau Nelson Mandelas, öffentlich darüber Gedanken, ob Verfahren nach dem Vorbild der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse nicht besser gewesen wären, als die Wahrheits- und Versöhnungskommission, vor der sie sich damals übrigens selbst wegen Menschenrechtsverletzungen verantworten musste. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen, meint Opfervertreter Musa Ndlovu dazu mit einem Schulterzucken. Der eingeschlagene Kurs sei richtig gewesen, müsse jedoch auch fortgesetzt werden.

    "Auch nach den Anhörungen vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission sind noch viele Fragen offen. Der Prozess wurde nicht richtig zu Ende geführt. Nur 22.000 Opfer kamen damals zu Wort und wurden finanziell entschädigt. Die Zahl derer, die bis heute nicht angehört oder entschädigt wurden, ist jedoch wesentlich größer. Dadurch ist eine Kluft in den Gemeinschaften entstanden. Wenn man den Prozess der Wahrheits- und Versöhnungskommission heute noch einmal aufnehmen würde, dann könnte das aufgearbeitet werden. Außerdem könnte es Klarheit bringen. Vielleicht würde de Kock ja heute sagen, wer ihm Befehle erteilt hat und wer an den Taten beteiligt war."

    Gewissheit ist eines der Hauptanliegen der Opfer. Sie wollen ihre Toten begraben können und mit der Vergangenheit abschließen, betont Thando Makapela.

    "Ich war damals bei de Kocks Prozess. Aber ich erinnere mich nicht daran, dass er jemals gesagt hat, warum er all diese Taten verübt hat. Bevor er das nicht tut, dürfen sie ihn nicht freilassen. Zuerst muss er uns sagen, was alles passiert ist und warum."