Dynamo-Stadion in Kiew: Böller knallen. Etwa 3.000 Ultras singen. Ein Block, der rhythmisch bebt. Einige Männer haben trotz der winterlichen Kälte Jacken und Hemden ausgezogen und feuern mit nacktem Oberkörper ihre Lieblinge an. Dynamo-Kiew-Ultras sind hitzig. Das belegen Straßenschlachten wie die gegen polnische Ultras im vergangenen August. Die Stadionsperre im jüngsten Champions-League-Match gegen Maccabi Tel Aviv nach Übergriffen auf französische Fans im Spiel zuvor ist eine Reaktion auf die beachtliche Gewaltbereitschaft.
Beim Ligaspiel gegen Saporoshje beschränkten sich die gefürchteten Kerle aber auf Gesänge und Böller. Gäste-Fans müssen nichts befürchten. Zum einen haben sie einen Mitleidsbonus, wie Andriy, Ultra-Anführer bei Dynamo Kiew, erklärt.
"Dieses Team ist auf dem letzten Tabellenplatz. Es ist bankrott. Heute haben sie mit ihrer zweiten Mannschaft gespielt, und wir haben die Information, dass es heute das letzte Spiel von ihnen überhaupt ist. Sie haben kein Geld, um die nächste Runde in der Liga zu spielen."
Clubs mit Finanzproblemen
Die bevorstehende Pleite ist nichts Ungewöhnliches im ukrainischen Fußball dieser Tage. Zu Saisonbeginn wurde die Liga wegen Bewerbermangel von 16 auf 14 Teams verkleinert. Trotzdem gibt es neben Saporoshje mit Metallurg Charkiw ein zweites Team mit Finanznöten. Dessen Präsident Sergej Kurtschenko, einst enger Freund der Familie des gestürzten Staatspräsidenten Wiktor Janukowitsch, hat sich wegen Korruptionsvorwürfen nach Russland abgesetzt.
Der zweite Grund, warum Saporoshje-Fans an diesem kalten Dezemberabend nichts von den Dynamo-Ultras befürchten müssen, ist der Krieg im Osten, erklärt Andriy: "Wir haben einen gemeinsamen Feind. Das ist der russische Präsident. Er will unser Land okkupieren. In dieser Situation ist es nicht möglich, dass wir gegeneinander kämpfen. Wir haben einfach größere Probleme."
Ganze Kampfeinheiten sind laut Andriy aus Ultras und Hooligans gebildet: "Ich war auch im Osten, habe meine Freunde besucht, die dort sind. Wenn Ultras im gleichen Raum schlafen, wie können ihre Klubs dann Feinde sein?" Das stärkste Symbol der neuen Brüderschaft aus Ultras und Hooligans verschiedenster Klubs entdeckte Andriy ausgerechnet in der Waffenkammer: "Sticker von jedem Team sind dort angebracht. Mehr als 200 Sticker sind dort. Jeder Ultra, der dort reingeht, um seine Waffe zu holen, befestigt dort den Sticker seines Vereins. Ich kenne kein Team, dass niemanden an der Front hat."
Ukrainischer Fußball im Umbruch
Selbst einige der als links und anarchistisch geltenden Ultras von Arsenal Kiew kämpfen an der Front. Das bestätigt Arsenal-Präsident Oleksiy Kikireshko: "Jeder hat seine eigene Mission auf dieser Erde. Es gibt die, die kämpfen, die, die Fußball spielen und die, die Geld machen. Jeder führt sein Leben. Ich hoffe, dass sie bald zurück kommen und alles gut wird und sie dann wieder den Klub unterstützen."
Kikireshko, im Hauptberuf Rallyefahrer und Geschäftsmann, baut in diesen für das Land schwierigen Zeiten an einer ganz besonderen Zukunft. Er will mit Arsenal nicht nur in die erste Liga aufsteigen, sondern bald auch in der Champions League spielen: "Ich möchte nächstes Jahr in die 1. Liga aufsteigen, das Jahr darauf in die Premier League. In vier Jahren hoffe ich, dass wir in der Europa League spielen und in sechs Jahren in der Champions League. Das is das maximale Programm."
Der Zeitplan ist eng gesteckt, weil Kikireshko selbst noch in der ersten Mannschaft spielt und gern die Hymne der Champions League vom Rasen aus hören möchte. Für das ehrgeizige Programm geht er ungewöhnliche Wege. Auf seinem Klubgelände beherbergt er Shakhtior Donezk - und hofft im Gegenzug auf einen Wissenstransfer vom aktuellen Champions League-Teilnehmer.
"Sie nutzen unsere Infrastruktur. Und während sie hier wohnen und trainieren, lernen wir von ihnen für die Entwicklung unseres Klubs."
Der ukrainische Fußball steckt mitten im Umbruch. Manche Vereine stehen vor der Pleite. Andere setzen zum Höhenflug an. Ultras aller Ligen sind Waffenbrüder an der Front. Bleibt nur zu hoffen, dass nicht nur der Krieg bald ein Ende findet, sondern auch, dass die Kämpfer dann mental abzurüsten wissen.