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Fußballbuch
Blinde Liebe für den Fußball

"Mroskos Talente. Das fabelhafte Leben eines Bundesliga-Scouts", so heißt das Buch, in dem der Journalist Ronald Reng das Leben des heute 38-jährigen Lars Mrosko aufgeschrieben hat. Es liest sich wie ein Roman - und beschreibt doch die Realität des Fußball-Kosmos - und wieso so viele mit Hingabe in diesem Bereich arbeiten wollen.

Von Moritz Küpper | 09.08.2015
    Ronald Reng, Autor des Buchs "Mroskos Talente. Das fabelhafte Leben eines Bundesliga-Scouts".
    Ronald Reng, Autor des Buchs "Mroskos Talente. Das fabelhafte Leben eines Bundesliga-Scouts". (picture-alliance / dpa / Erwin Elsner)
    Die Sportschule Wedau in Duisburg. Fußballfeld um Fußballfeld schmiegen sich hier – inmitten des Ruhrgebiets – aneinander. Es ist der Schauplatz des Länderpokals, einem Fußballturnier, bei dem die besten jungen Spieler Deutschlands sich erstmals miteinander messen. Hier wird die erste Nationalmannschaft des DFB zusammengestellt, die U15; hier stehen sich die Scouts der Fußballclubs und Spielerberater-Agenturen gegenseitig auf den Füssen – und hierhin fuhr auch Lars Mrosko. Jahrelang. Bis, ja bis, er eines Tages diese SMS schrieb:
    "Ich bin enttäuscht vom Profifußball, wo es immer nur um den nächsten Profit, den nächsten Vertrag, die nächste Schlagzeile geht, aber nicht mehr um das Spiel an sich! ... Das ist nicht mehr meine Welt ... Ich danke allen, die ich in den zurückliegenden 15 Jahren kennen und schätzen gelernt habe, Freunden, Bekannten, Kollegen ... Heute habe ich meine Beratungsagentur aufgelöst. Ich ziehe mich aus dem Fußballgeschäft zurück."
    Eine Lebensgeschichte, die für das große Ganze steht
    "Mroskos Talente. Das fabelhafte Leben eines Bundesliga-Scouts", so heißt das Buch, in dem der Journalist Ronald Reng das Leben des heute 38-jährigen Lars Mrosko aufgeschrieben hat – eben bis zu dieser SMS. Und eigentlich ist es auch mehr als nur ein Fußball-Buch. Sagt zumindest Reng:
    „Vordergründig geht es um eine ungewöhnliche Lebensgeschichte. Eines Mannes, Lars Mrosko, der in Berlin-Neukölln aufgewachsen ist, bekannt, verschrien, als prekäre Verhältnisse in Deutschland, das Synonym dafür. Der in der Tat in einer Familie aufgewachsen ist mit vielen Problemen: Die Mutter hatte Probleme, die fünf Kinder zu kontrollieren. Er hat die große Freiheit nach der Wende genossen, auch Leute kennen gelernt, mitgerannt in Jugend-Gangs, die sich mit Diebstählen finanziert haben.
    Das ist sozusagen die vordergründige Biographie des Buchs, die man hoffentlich als spannende Lebensgeschichte lesen kann und dann, hoffe ich sozusagen, unterschwellig, das große Ganze in dem Buch zu transportieren: Wie geht es eigentlich zu, in der Geschäftswelt Profifußball? Denn mein Protagonist Lars Mrosko war ganz lange Scout, also Spielersucher für Bayern München, den VfL Wolfsburg und danach Spielerberater. Und das sind ja Bereiche, die, glaube ich, sehr viele Menschen faszinieren."
    Und die daher auch – ab nächster Woche wieder – Wochenende für Wochenende von Kameras ausgeleuchtet werden: Wer gewinnt, wer verliert? Wer geht wohin? Wer verdient wie viel? Es ist dieser ausgeleuchtete Kosmos Profifußball, den Reng beschreibt. Das Buch – eigentlich ein Sachbuch, das sich aber liest wie ein Roman – nimmt einen mit, in die Welt der Bundesliga. Reng gelingt es mit seinen präzisen, feinen Beobachtungen die Besonderheiten einer Branche herauszuarbeiten, dessen Faszination am Ende vielleicht doch gerade in dessen Widersprüchen liegt.
    Menschliches Millionengeschäft?
    Und das liegt nicht nur daran, dass die Stunden von Fernsehbildern in Wahrheit gar nicht die Geschichten dieser Branche erzählen, dass es auf der einen Seite ein hoch-professioneller, millionenschwerer Geschäftszweig geworden ist, der aber am Ende doch häufig durch Zufälle geprägt ist und im Ergebnis wohl menschlicher ist als viele andere Bereiche. Und dessen Erfolg und Reichweite auf der Energie der kindlichen Freude und Begeisterung am Spiel aufgebaut ist. Es sind die vielen kleinen hinter den großen Geschichten, die das Buch für Fußballinteressierte lesenswert macht. Denn hinter jedem Gerücht, hinter jedem Transfer, stecken viele kleine Schritte:
    "Hör mal", sagte Ceylan, "Hast Du vielleicht die Telefonnummer von Kolo Toure?" Kolo Toure war ein afrikanischer Weltklasseverteidiger, der beim FC Arsenal in London spielte. Das war, bislang, nicht gerade Mroskos Fußballliga gewesen. Er sagte: "Ich schau mal, was ich machen kann." Er konnte jede Telefonnummer im Fußball besorgen. Ganz sicher. Er kannte immer jemanden, der jemanden kannte, der jemanden kannte. Unlängst hatte Giacomo Petralito angerufen, der Vertrauensberater von Wolfsburgs Sportdirektor Klaus Allofs. Ob Mrosko ihm nicht die Nummer eines Spielers von Hannover 96 besorgen könne, Konstantin Rausch. Den wolle er gerne Allofs vorschlagen. "Ich zahle dir 2.000 Euro", sagte Petralito. Eine Minute später hatte Mrosko die Nummer. "Ja, Wahnsinn!", sagte Petralito, "ich habe doch gerade erst aufgelegt." Die 2.000 Euro zahlte er tatsächlich. Wobei er sich hätte denken können, dass Petralito dann öfter anrief und nach Telefonnummern verlangte. Und natürlich nichts mehr zahlte. Die 2000 Euro waren nur der Köder gewesen."
    Die Liebe geht über den reinen Verdienst hinaus
    Denn am Ende gibt es auch in dieser schillernden Welt nicht genug Geld für alle – und dennoch wollen viele bleiben. Für Reng, der schon seit Jahrzehnten und unter anderem aus England und Spanien über diese Fußball-Welt berichtet, eine fast schon romantische Seite des Geschäfts:
    "Mich hat eigentlich am meisten überrascht, wie viele Menschen bereit sind, ich meine, ein halbes Leben eigentlich nur zu führen, also kaum Geld zu verdienen, kaum dazu zu gehören, weil sie in der vierten Liga spielen, weil sie ein U17-Trainer sind, weil sie ein schlecht bezahlter Scout sind und trotzdem immer weiter machen und sich an diese Welt Fußball klammern. Da hatte ich doch immer das Gefühl: Aber Junge, du musst doch jetzt mal merken, du wirst immer noch als Scout für 1.500 Euro sieben Tage die Woche durch Europa gejagt, nutz Deine Kontakte, such dir einen anderen Job außerhalb und das wollen die meisten nicht wirklich, weil sie davon träumen dazu zu gehören. Und: Wie blind Liebe macht, ist bekannt, aber es war trotzdem nochmal erstaunlich zu spüren, wie blind die Liebe zu Fußball macht und sie unbedingt dabeibleiben wollen."
    Und warum das so ist, davon gibt Rengs Buch mehr als nur einen Eindruck.