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Gabor Steingart und der "Journalist"
Ein geschwärztes Interview und viele offene Fragen

Es ist ein außergewöhnlicher Vorgang: Ein Journalist gibt ein Interview – und zieht es später komplett zurück. So geschehen ist das nun im Fall von Gabor Steingart, der mit dem Magazin "Journalist" gesprochen hat. Hintergrund des Streits ist auch die Frage, wie Medien mit Autorisierungen umgehen.

Von Michael Borgers | 02.10.2019
Der Journalist Gabor Steingart
Der Journalist Gabor Steingart (Sven Simon/dpa/picture alliance )
Gabor Steingart ist eine der schillerndsten Figuren im deutschen Journalismus der vergangenen Jahre. Über Stationen bei der Wirtschaftswoche und dem Spiegel landete er beim Handelsblatt, war dort Chefredakteur und Herausgeber. Seit seinem Aus bei der Zeitung im vergangenen Jahr arbeitet Steingart in eigener Sache. Sein "Morning Briefing", das er schon beim Handelsblatt gestartet hatte, gehört inzwischen zu den erfolgreichsten Podcast-Angeboten. Bekannte Politiker und andere Persönlichkeiten lassen sich in diesem Format Tag für Tag interviewen.
Ab dem kommenden Jahr sollen der Podcast und andere Angebote auf einem Redaktionsschiff in Berlin entstehen; der Springer-Verlag ist an diesem Projekt namens "Media Pioneer" beteiligt. Steingart verspricht in einem Werbevideo "100 % Journalismus". Und führt aus, "Journalismus beginnt dann, wenn andere wollen, dass Du schweigst". Das Problem seien "nicht die kritischen Journalisten", sondern "die harmlosen".
Kritische Fragen, nicht harmlose
Für Aufmerksamkeit sorgt da diese Meldung in eigener Sache des "Journalisten", dem monatlich erscheinenden Magazins des Deutschen Journalistenverbandes (DJV): "Autorisierungs-Ärger – Steingart-Interview erscheint geschwärzt" heißt es da. Das Magazin wehre sich "gegen massive Eingriffe bei der Autorisierung". Steingart habe seine Aussagen über seinen Anwalt komplett zurückgezogen, nachdem die Redaktion bei der Autorisierung des Interviews dessen Änderungen nicht akzeptiert hätte.
Die Fragen der Interviews, die das Magazin nun veröffentlicht hat, zeigen: Journalistin Catalina Schröder ist Steingart kritisch und nicht harmlos begegnet. So fragt sie, ob der 57-Jährige mit seinem Claim "100 % Journalismus. Keine Märchen" nahelege, dass alle Medien außer ihm Märchen erzählten. Außerdem will Schröder wissen, ob Steingart seinen Vorwurf an den ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz - dieser habe kein Abitur - oder ein gemeinsames Foto mit dem ehemaligen Trump-Berater und Breitbart-Gründer Stephen Bannon bereue.
Autorisierung als gängige Praxis
Dass Steingart sogar versucht habe, in die Fragen der Autorin einzugreifen und diese zum Teil umzudichten, werfe "ein düsteres Bild auf das Berufsverständnis eines Medienunternehmers, dessen Werbeslogan ‚100 Prozent Journalismus. Keine Märchen‘ lautet", findet Journalist-Chefredakteur Daniel. Journalisten sähen sich immer wieder Versuchen ausgesetzt, "für den Interviewten genehme Gespräche zu veröffentlichen", kommentiert der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Umso wichtiger sei es, dass führende Köpfe der Medienwelt, zumal Journalisten, mit gutem Beispiel vorangingen.
Er habe gestaunt angesichts der verweigerten Interviewfreigabe, sagte Michael Angele, Chefredakteur des "Freitag", im Deutschlandfunk. Er habe Steingart als Journalisten erlebt, der Politiker daran erinnert, "nicht zu glatt zu werden". Grundsätzlich stelle die Praxis der Interview-Autorisierung zwar einen großen Aufwand dar, sei aber "nicht ganz verkehrt". Gedruckte Interviews seien fast nie eine Eins-zu-eins-Umsetzung des Gesprächsverlauf, sondern eine "eigene Gattung", bei der man "auch mal nachbessern" wolle, betonte Angele.
Dass Journalisten die Gespräche, die sie führen, aufzeichnen, ist längst mehr Regel denn Ausnahme. Noch immer verlangen viele, vor allem prominente Interviewpartner, dennoch, ein Gegenlesen des fertigen Textes. Der "Spiegel" gilt als Begründer dieser als Autorisierung bezeichneten Praxis. 1958 hatte das elf Jahre zuvor gegründete Magazin als erstes deutsches Printmedium das Verfahren für seine Gespräche eingeführt. Viele folgten diesem bis heute freiwilligen Prinzip. Presserechtlich gilt grundsätzlich das gesprochene Wort.