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Gärten erobern die Großstädte

Mit Gärten in der Stadt verbanden viele bis vor einigen Jahren noch spießige Laubenpieperkolonien mit strengen Pflanz- und Verhaltensregeln. Doch es gibt viele neue Formen des Gärtnerns: Beispielsweise fertig bepflanzte Parzellen mit Obst und Gemüsesetzlingen, die dem jeweiligen Pächter übergeben werden. Hier geht es darum, nicht nur draußen zu gärtnern, sondern auch zu ernten.

Von Barbara Weber | 29.05.2008
    "Wir beobachten, dass überall neue Gärten entstehen, zum Beispiel internationale Gärten, interkulturelle Gärten in den Großstädten, Gemeinschaftsgärten und als neue Tendenz auch sogenannte Selbsterntegärten. Also jenseits der bekannten Gärten in den Städten entsteht zur Zeit etwas Neues ... und das in verstärktem Umfang. "
    Autorin

    ... meint Prof.Maria Spitthöver, Landschaftsplanerin an der Universität Kassel.

    Mit Gärten in der Stadt verbanden viele bis vor einigen Jahren noch spießige Laubenpieperkolonien mit strengen Pflanz- und Verhaltensregeln. Und auch wenn sich in den organisierten Kleingärten langsam ein Generationswechsel abzuzeichnen scheint, ging es den Wissenschaftlern auf der Tagung um anderes:

    "Das Neue ist, dass ein Bedarf ist an Gärten, die vielleicht nicht so viel Arbeit machen wie zum Beispiel ein Kleingarten. Man möchte Gärtnern, draußen sein, sich betätigen, aber nicht mit der Verpflichtung, die zum Beispiel ein Kleingarten macht. Oder wenn wir an ein anderes Thema, an die vielen Migrantinnen und Migranten denken, suchen sie nach Betätigungsmöglichkeiten, draußen an der frischen Luft sein zu können und aus der enge der Wohnung gerade bei Arbeitslosigkeit usw. hinauskommen zu können. "

    Diesen neuen, gefragten Gartentypen entsprechen kleinen Nutzgärten, die zum Teil fertig bepflanzt mit Obst und Gemüsesetzlingen dem jeweiligen Pächter übergeben werden. Hier geht es darum, nicht nur draußen zu gärtnern, sondern auch zu ernten. Das hat in Deutschland Tradition:

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    "... zum Beispiel die Kleingärten, die gibt es seit etwa 150 Jahren in dieser Form, und diese Gärten hat es so vorher nicht gegeben. Und sie sind entstanden im Zuge der Industrialisierung, zusammen mit der Land-Stadt-Wanderung, wo Menschen, die früher auf dem Lande in der Agrarwirtschaft erwerbstätig waren, plötzlich in den Großstädten sich wiederfinden ohne Land in Mietwohnungen. Und ab 1870 etwa sind in vielen Großstädten diese heute so genannten Kleingärten entstanden, die der Staat dann erst bekämpft hat, dann aber zunehmend geschützt hat, Gesetze erlassen hat zum Schutz dieser Gärten und, ja, das ist ein Beispiel dafür, dass Neues irgendwann auch institutionalisiert wird. "

    Ähnlich wie bei uns vor 150 Jahren haben sich seit rund 20 Jahren Arbeiter in Nordsevilla Gartenparzellen erkämpft. Schon zur Franco Ära gab es den "Kampf ums Land", der sich allerdings auf den ländlichen Raum bezog.

    "Ich persönlich kenne das sehr gut von Andalusien. "

    Heidrun Hubenthal, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel.

    "Es hat sich speziell in Sevilla... hat es sich auch in der Stadt entwickelt und zwar am Rand, im Nordosten von Sevilla, ... gab es eine große Hacienda, die in Teilen brach gefallen ist und wo viel Wohnungsbau als Spekulationsobjekte gebaut wurde und ansonsten eher dieses Brachland, was eher wüstengleich war und ... in dieser Gemengelage haben die Bewohner angefangen, zu fordern, dass dort ein Park entsteht. Und sie haben es in einem Kampf über 20 Jahre durchgesetzt, dass dort ein Park entsteht, der 83 Ha groß sein wird im Endausbau. ...

    Was entstand war zunächst ein ganz normaler Park, aber...

    "Die Menschen, die dort in diesen Hochhausgebieten wohnen, haben außerdem gefordert, dass sie dort auch Gemüsegärten anlegen, das heißt, sie gehen durch den Park, und plötzlich fangen da Gemüsegärten an, also ohne jeden Zaun, ohne irgendeine Einschränkung und Begrenzung, die Leute sind da am Machen und Tun, und es ist eine wunderschöne Atmosphäre."

    Nebeneffekte dieser "wunderschönen Atmosphäre" gibt es einige: Zunächst ermöglichen diese Nutzgärten einen intensiven Kontakt zur Nachbarschaft, was die typischen Probleme einer Hochhaussiedlung mildert. Zum anderen haben die Menschen direkten finanziellen Nutzen: Da es sich bei den Gärtnern überwiegend um ärmere Bevölkerungsschichten handelt, ergeben sich durch die Gärten zusätzliche Versorgungsmöglichkeiten.

    Um das nackte Überleben geht es auch bei einem Projekt auf Kuba. Durch intensiv genutzte Monokulturen, das Handelsembargo der USA und den Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion, verschlechterte sich die Ernährungssituation der Bevölkerung dramatisch:

    "Die Bevölkerung hat gehungert. ...Eine Krankheit erschien dann innerhalb von drei Monaten, die sogenannte A-Vitaminose mit entsprechenden Mangelerscheinungen. Da wurden innerhalb von drei Monaten fünf Prozent der Bevölkerung ereilt.

    Das Regime beschloss Gegenmaßnahmen und stellte innerstädtische Landflächen zur Verfügung. Zusätzlich wurden...

    "... die Leute ausgebildet, die stellen Saatgut zur Verfügung, die stellen die Verknüpfung her zu den jeweiligen Kommunen, um dort Flächen auszukundschaften, wo man so was machen könnte, ...die den potenziellen Gärtnern eine Hilfestellung leistet. ... Das sind von Familien bis zu ...Genossenschaften, auf dieser Ebene, also von zwei Personen bis 50 Personen können das sein."

    Die Gärten variieren in ihrer Größe....

    "Was das gemeinsame eigentlich an allen Gärten ist, dass die total gut in Schuss sind. Sie werden alle ökologisch bewirtschaft. Und man muss sich vorstellen, Kuba, das ist ein tropisches Klima, sie können da bis zu 12 Ernten im Jahr haben. "

    Der Andrang, einen solchen städtischen Garten bewirtschaften zu dürfen, ist inzwischen groß. Immerhin können Familien sich so nicht nur selbst ernähren, sondern auch noch Gewinn aus ihrem Garten erzielen.

    Das steht in Deutschland weniger im Vordergrund bei den Anhängern der großstädtischen Gartenbewirtschaftung. Die Universität Kassel hat dazu ein eigenes Forschungsprojekt entwickelt.
    Prof. Maria Spitthöver:

    "Wir haben ein Projekt kreiert, sogenannte Selbsterntegärten, das heißt, dass in langen parallelen Reihen auf einem Stück Acker, Gemüse ausgepflanzt wird, eine lange Reihe Porree, eine lange Reihe Möhren, Zucchini, was sie sich alles vorstellen können, Salat, Kohl. Und diese langen Reihen werden parzelliert und an Unterpächter vergeben. Das Gelände wird professionell bestellt im Frühjahr gepflügt, geeggt, gefräst, gesät, gepflanzt. Und das fertig gestellte Gelände wird übergeben und die potentielles Gärtner müssen nur noch Unkraut hacken und können dann ihr Gemüse ernten. Das kommt sehr, sehr gut an und ist eine ganz unkomplizierte Sache, sich dem Thema Garten zu nähern."

    Auch wenn die Gärten im Kasseler Norden, einem überwiegend von Migranten und Harz IV-Empfängern bewohnten Gebiet liegen, gehören die Pächter fast ausnahmslos der akademisch gebildeten Mittelschicht an. Die erhoffte Zielgruppe - so die Erfahrung von Maria Spitthöver - ist nicht über die Zeitung oder Flyer zu erreichen sondern nur über persönliche Kontakte in der Landessprache.
    Hier ist die Politik gefragt, denn Beispiele aus anderen Städten zeigen, dass Nutzgärten einen positiven Effekt auf Migranten und ärmere Bevölkerungsgruppen haben können.

    "Wir haben ja zum Beispiel diese Programme "Soziale Stadt", gerade in Quartieren mit hohem Migrantenanteil, hohen Transferleistungen, hoher Arbeitslosigkeit usw. Da denke ich, dass man dieses Gartenthema als Baustein, als Instrument von Stadterneuerung und Revitalisierung von Stadtteilen einsetzen könnte. Es gibt viele synergetische Effekte: Die Menschen haben gesundes Obst und Gemüse, bewegen sich an der Luft, können nachbarschaftliche Kontakte knüpfen, im Stadtteil strahlt ein Gelände, was nicht brach liegt sondern genutzt wird, positive Effekte aus, das wirkt ganz anders als eine liegengelassene Fläche und für die Stadt hat es Vorteile, weil sie Pacht einnimmt und das Gelände nicht pflegen muss, was alles Geld kostet und was wir jetzt über den Pachtvertrag übernommen haben, bis hin zu Reparaturleistung Zäune usw. Also ich sehr mit diesem Ansatz sehr viele Vorteile nur müsste es dann stärker Teil der Politik werden als das aktuell noch der Fall ist. "