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Ganztagsschulen verändern den Alltag

Die Zahl der Ganztagsschulen in Deutschland steigt. Mittlerweile bietet jede zweite Schule ein warmes Mittagessen und Angebote am Nachmittag an. Doch es braucht mehr als das, betonen Experten.

Von Claudia Laak | 04.11.2011
    Bei laufender Fahrt den Motor wechseln – so beschreibt Schulleiter Karsten Haag aus Kiel den Veränderungsprozess an seiner Schule. Auf einen Schlag wurde seine Einrichtung mit einer anderen zur Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule zusammengelegt - und gleich nach den Ferien begann der Ganztagsbetrieb.

    "Die größten Hindernisse sind in den Köpfen der Leute, weil die noch so halbtagsmäßig ticken. Und weil Menschen grundsätzlich in unserem System sich nicht so wahnsinnig gerne verändern. Und die davon zu überzeugen, dass wir für die Kinder besser sein müssen, das war der Hauptschwierigkeitspunkt, der auch immer noch ein Thema ist."

    Beim Umbau seiner Halbtags- zur Ganztagsschule hat Karsten Haag viele Erfahrungen gemacht, die er gerne weitergibt. Sein Tipp:

    "Ruhe bewahren und die Vision im Kopf haben. Das Ziel sozusagen umschreiben für die eigene Schule. Anregungen holen an anderen Schulen, aber nicht einfach eins zu eins kopieren, sondern immer gucken, passt das auf meine Schule. Dann mit den Kollegen gemeinsam, mit allen an Schule Beteiligten zu träumen, wie kann's irgendwann sein in zehn Jahren."

    Dass die Zahl der Ganztagsschulen in Deutschland stetig wächst, hat mehrere Gründe: Zum einen können Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern so besser gefördert werden. Zum anderen lassen sich so Berufstätigkeit und Familie besser verbinden. Bernd Althusmann, Präsident der Kultusministerkonferenz und niedersächsischer Bildungsminister:

    "Es ist mehrfach untersucht worden: Eltern, die wissen, dass ihre Kinder nicht nur gut aufgehoben und betreut werden, sondern auch gute Bildung erfahren, die sind in ihren Unternehmen deutlich leistungsfähiger."

    Doch eine erfolgreiche Ganztagsschule braucht mehr als ein warmes Mittagessen und ein paar Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag, betonen Experten. Wichtig ist ein anderer Tagesablauf, der auf die Lernkurve der Schüler Rücksicht nimmt. Außerdem sollte sich die Schule nach außen öffnen, Kooperationen eingehen mit Sportvereinen oder Unternehmen, sagt Maren Wichmann. Sie leitet das Ganztagsschulprogramm der deutschen Kinder- und Jugendstiftung.

    "Wenn die Kinder den ganzen Tag in der Schule sind, kann es nicht von morgens bis abends Beschulung geben, sondern dann braucht es auch Zeiten für Rückzug, Entspannung, für das Ausleben von Interessen, aber auch Förderung in den Bereichen, wo es nötig ist. Dass dort andere Formen von Lernzeiten angeboten werden. In guten Ganztagsschulen gibt es keine Hausaufgaben mehr oder die Hausaufgaben werden in der Schule gemacht."

    Der Anteil der Ganztagsschulen in den einzelnen Bundesländern variiert stark. Er ist vom politischen Willen der jeweiligen Landesregierung abhängig, aber auch von der Hartnäckigkeit der Eltern, die die Ganztagsschule in ihrer Stadt einfordern. An der Spitze liegt derzeit Sachsen - fast alle öffentlichen Schulen arbeiten im Ganztagsbetrieb. Am anderen Ende der Skala liegt Baden-Württemberg - hier hat nur jede fünfte Schule auch am Nachmittag geöffnet. Der Präsident der Kultusministerkonferenz und niedersächsische Kultusminister Althusmann prophezeit: Die Halbtagsschule ist ein Auslaufmodell:

    "Der Weg in die Ganztagsschule ist der einzig Richtige, gerade um auch bestimmte Probleme mit lernschwachen Jugendlichen aufzufangen, die Länder haben schon 'ne Menge getan, aber wir werden uns noch anstrengen müssen."

    Das gilt ganz besonders für den eigenen Verantwortungsbereich von Bernd Althusmann – im Bundesländerranking Ganztagsschule steht Niedersachsen nämlich auf dem drittletzten Platz.