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Gavin Harrison
Ein Schlagzeuger, der Soli hasst

Gavin Harrison ist in Schlagzeuger-Kreisen zu einer Legende geworden. Auf mehr als 140 Alben ist er als Begleiter zum Beispiel von Eros Ramazotti oder Paul Young zu hören. Dass er, der Taktgeber im Hintergrund, nun selbst berühmt wurde, ist ihm eher unangenehm.

Von Fabian Elsässer | 01.03.2014
    Sam Browns Hit "Stop" aus dem Jahr 1988. Am Schlagzeug Gavin Harrison. Ein Ausschnitt des Albums "Mezzogiorno sulle Alpi" der italienischen Pop-Liedermacherin Alice aus dem Jahr 1992. Am Schlagzeug: Gavin Harrison. Aber eigentlich ist er eher der Mann fürs Komplexe.
    Er suche immer nach Rhythmen, die man so noch nie zuvor gehört habe, sagt der inzwischen 50-jährige und enorm jugendlich wirkende Schlagzeuger selbstbewusst. Das gelingt ihm vielleicht mit dem US-amerikanischen Sänger, Gitarristen und Bassisten O5Ric noch ein bisschen häufiger als bei seinem Hauptarbeitgeber, der Band "Porcupine Tree". Denn sein Partner Ric lässt sich auf eine Arbeitsweise ein, die viele Musiker schreiend das Weite suchen lassen würde: erst der Rhythmus, dann die Musik.
    Drei Alben hat das Duo seit 2007 aufgenommen. Das jüngste "The man who sold himself" von 2012 ist ein anspruchsvolles Konzeptalbum über die Finanzkrise und die Folgen menschlicher Gier. Anspruchsvoll natürlich auch in musikalischer Hinsicht. Mit schrägen Harmonien, zappaesken Gesängen und Harrisons Schlagzeugspiel, das wie präzise strukturiertes Chaos klingt.
    Viele dieser Songs seien schlichte Viervierteltakte, sie würden halt nicht so klingen. Ganz im Gegenteil. Porcupine Tree-Fans wissen das schon lange und erwarten etwa den explosiven Mittelteil der Mini-Oper "Anesthetize" bei jedem Konzert der Band mit angehaltenem Atem. Gavin Harrison, Sohn eines Profitrompeters, hatte schon als Teenager nur diesen einen Berufswunsch: Schlagzeuger zu werden. Und das hat er rein autodidaktisch geschafft. Er wäre ja gerne an eine Musikschule wie Berklee gegangen, habe aber mit 16 Jahren schon professionell gespielt und sich dann eben sehr viel selbst beigebracht, sagt Harrison.
    Trommel-Chamäleon mit Glückssträhne
    Seine Karriere verdankt das Trommel-Chamaleon vielen Zufällen. In den 80ern rutschte Harrison irgendwie in die Studioszene und kam über Kontakte schließlich nach Italien, wo er in den 90ern zum gefragten Session-Spieler aufstieg. Für Alice, Eugenio Finardi und Claudio Baglioni etwa. Sie alle schätzen seinen rhythmischen Eigensinn. Schon auf Sam Browns Hitalbum "Stop" mit der gleichnamigen Single versteckte er beispielsweise in einem durchweg poppigen Umfeld Rolls und Fills, wie sie später auch in seinen Fusion- und Prog- Projekten zu hören waren. Er hat einen unverkennbaren Stil, obwohl er das selbst beharrlich abstreitet.
    Was Harrison übrigens überhaupt nicht leiden kann, sind Schlagzeugsoli auf der Bühne. Bei Porcupine Tree-Konzerten etwa verweigert er sie strikt, auch wenn das Publikum danach ruft. Das sei Angeberei für Leute mit großem Ego. Doch ausgerechnet er gehörte zu den Schlagzeugern, die zur Drum-Solo-Week in David Letterman’s Show eingeladen wurden. Wegen seines Renommees, aber eben auch mal wieder durch Zufall, weil da wieder jemand jemanden kannte. Live bei Letterman? Passt nicht wirklich ins Bild, das man von Harrison hat. In sein eigenes auch nicht.
    Surreal sei das gewesen, irgendwie ironisch, auf jeden Fall seltsam. Aber eines sei noch seltsamer: Er habe dadurch kein einzige CD zusätzlich verkauft, obwohl Letterman sie vor einem Millionenpublikum direkt in die Kamera hielt.
    Doch Harrison ist mit Porcupine Tree und der Sessionarbeit gut im Geschäft, da kommt es ihm beim Duo mit O5Ric nicht so sehr auf Verkaufszahlen an. Und auf eins kann er sich ja verlassen: sein Publikum weiß Bescheid.