Dienstag, 19. März 2024

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Geschlechtergerechtigkeit in Orchestern
Frauen spielen selten die erste Geige

Vor allem in den höher bezahlten Positionen deutscher Orchester sind Frauen immer noch unterrepräsentiert. Das hat eine Erhebung des Deutschen Musikinformationszentrums ergeben. Warum sich dies bald ändern wird, erläuterte der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, Gerald Mertens, im Dlf.

Gerald Mertens im Gespräch mit Jörg Biesler | 02.03.2021
Musiker der Brandenburger Symphoniker spielen am 30.07.2013 in Rheinsberg (Brandenburg) im Heckentheater des Schlossparks bei der Aufführung der Phantastischen Oper "Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach
Einsatz auf den billigeren Plätzen: In deutschen Orchestern nehmen deutlich weniger Frauen als Männer Führungspositionen ein. (picture alliance / Jens Kalaene)
Wie eine Umfrage des Deutschen Musikinformationszentrums (miz) bei 129 deutschen Orchestern ergab, liegt dorr der Frauenanteil insgesamt bei 39,6 Prozent. Dieser Wert ergibt sich aber vor allem daraus, dass Frauen in niedrigeren Dienststellungen wie Vorspielerinnen und Vorspieler und im sogenannten Tutti mit einem Anteil von 47,5 Prozent fast gleichauf mit ihren männlichen Kollegen liegen. Bei den höheren und damit auch besser bezahlten Positionen wie Konzertmeisterin, Stimmführer oder Solistinnen und Solisten sind Frauen dagegen mit 28,4 Prozent deutlich unterrepräsentiert. In den 21 höchstdotierten Orchestern werden die höheren Dienststellungen sogar zu mehr als drei Viertel – 78,1 Prozent – von Männern besetzt.
"Da gibt es noch Nachholbedarf, das ist unstreitig", kommentierte im Deutschlandfunk der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, Gerald Mertens, diese Zahlen. Den Grund für die offensichtliche Benachteiligung von Frauen in diesem Kultursektor sieht er in der tradierten gesellschaftlichen Rollenverteilung, die es auch hier gebe.

Tradierte Rollenbilder

Dass Frauen mehrheitlich auf nachgeordneten Positionen eingesetzt würden, sei, so der Musikfunktionär in "Kultur heute", auch "damit verbunden, dass ich von so einer Position mich bei bestimmten Anlässen weniger wegtauschen kann. Also dass ich weniger auch mal eine andere Kollegin oder einen anderen Kollegen an der Stimmführerposition spielen lassen kann. Ich bin halt sehr viel häufiger gefordert, als ich im Tutti gefordert bin. Wenn ich am dritten oder vierten Pult spiele, kann ich leichter mal auch sagen: Heute Abend, in der Woche passt es mir nicht, ich spiele diesen Dienst nicht."
Genderspezifisch tradiert, das ergab die aktuelle Orchesterstudie ebenfalls, ist nach wie vor auch die Wahl der Instrumente. Die höchsten Frauenanteile gibt es bei den Harfen (93,7 Prozent) und Flöten (65,4). Die höchsten Männeranteile finden sich bei der Tuba (98,1), der Posaune (96,5), bei Pauke/Schlagwerk (95,4) und der Trompete (94,7) so Mertens: "Aber die Masse der Orchester besteht ja zur Hälfte aus Streicherinnen und Streichern, Violine bis Kontrabass – und dort haben wir rein von den Zahlen her eine Gleichheit von ungefähr fifty-fifty Männer und Frauen."

Die Zukunft ist weiblich

Der Orchesternachwuchs der Zukunft sei aber überwiegend weiblich; das werde demnächst auch die Berufsorchester erreichen, so Mertens: "Wir haben noch ein strukturelles Defizit in den Führungspositionen. Aber ich glaube, in zehn Jahren spätestens werden diese Zahlen ganz anders aussehen." Durch familienfreundlichere Arbeitsplätze und mehr Angebote für Kinderbetreuung ließe sich das schon heute beschleunigen. Das allerdings sei sehr aufwändig und teuer.