Freitag, 29. März 2024

Archiv

Glauben
Heiß begehrter Segen

Gottesdienste kriseln, aber Segensfeiern boomen: Für das alte Ritual gibt es immer neue Anlässe: den ersten Kita-Tag und den letzten Arbeitstag vor der Rente, die bevorstehende Geburt eines Kindes und die Genesung von einer schweren Krankheit.

Von Michael Hollenbach | 25.09.2019
Ein Aufsteller macht auf den mobilden Andachtsraum im Bauwagen aufmerksam. Evangelische wie katholische Gläubige können sich ihren Segen im Bauwagen abholen.
Hinweisschild für den Besuch im mobilen Andachtsraum (Martina Senghas)
Astrid Jöxen ist katholische Pastoralreferentin im Bistum Essen. Vor vier Jahren begann sie, gemeinsam mit der evangelischen Pastorin Eva Gabra Segensfeiern für werdende Eltern anzubieten.
"Es gibt einen persönlichen Grund: Selbst Schwangerschaftserfahrungen gemacht zu haben, und zu merken, in dem Moment hat man das Leben nicht so im Griff, wie man das glaubt zu haben."
Eva Gabra ist die Segensbeauftragte im Kirchenkreis Essen. Als Klinikseelsorgerin bietet sie ökumenische Segensfeier für werdende Eltern nach einer Kreißsaalbesichtigung an. Es ist eine kleine Andacht mit zwei Liedern, einem Gebet und einer kurzen Ansprache in der Krankenhauskapelle.
"Ganz zentral und wichtig ist der Segen. Der wird ganz persönlich jeder Schwangeren, jedem Paar, jeder Familie (…) zugesprochen."
"Ich liebe dich - auch ein Segen"
Und da der christliche Segen nicht nur von Theologen, sondern von jedem gesprochen werden kann, werden die Eltern animiert, das Kind im Bauch selbst zu segnen.
Aber was ist überhaupt ein Segen?
"Also das klassische Beispiel: Ich liebe dich. Das - jemanden aufrichtig gesagt- das sind nicht nur drei Worte, sondern das verändert den Menschen auch dadurch, dass er etwas hört, was ihm in Seele und Herz aufgeht."
Erläutert Thies Gundlach, so etwas wie der Cheftheologe der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland.
"Und Segen ist eine Dimension, die nicht von meinem Machen abhängt, sondern es bezieht sich auf eine Dimension, die von Gott kommt. Segen ist ein Stück Hoffnung, Verheißung, Zuwendung."
Für Christian Binder, Pfarrer und Gottesdienst-Coach, ist Segen die Zuwendung Gottes zum Menschen.
"Dabei entsteht eine innige Beziehung und die ist auch so was wie eine Schutzhülle, sie ist so was wie eine kleine Umarmung, wie eine Beheimatung, ein Gefühl von Geborgenheit, und ich glaube, das ist etwas, was jeder Mensch heute gut brauchen kann."
"Dafür muss ich nicht in der Kirche sein"
Der Segen ist nicht nur bei werdenden Eltern gefragt. Segensfeier haben Konjunktur.
Thies Gundlach: "Das spiegelt genau das Bedürfnis, was Menschen zunehmend in unserer individualisierten und vereinzelnden und unüberschaubaren Gesellschaft brauchen. Ein Segen ist eine Erinnerung an eine Dimension, dass wir in einer Welt leben, die so viel Verunsicherndes hat, dass doch bitte eine Dimension sein müsste: ‚Es geht gut mit dir aus, und der Raum, in dem du lebst, ist ein schützender Raum‘."
Diese andere Dimension, diesen schützenden Raum suchen nicht nur fromme Christen, sondern manchmal auch Kirchenferne und Agnostiker, hat die Pastoralreferentin Astrid Jöxen beobachtet:
"Ich glaube ganz bestimmt, dass man in dieser Situation, wo man ein Kind erwartet, merkt, ich habe das nicht alles selber in der Hand und ich suche mir Verbündete, und es kann auch ein Gott sein, dem ich sonst nicht so nah war, und dann ist der Segen eine tolle Möglichkeit: Dafür muss ich nicht in der Kirche sein."
Aber nicht nur bei Christen und Nicht-Christen kommt der Segen gut an: auch die Kirchen haben Segensfeiern neu entdeckt, sagt Klinikseelsorgerin Eva Gabra.
"Ich glaube, dass das Thema Segen für beide Kirchen wichtiger geworden ist. Weil sich beide Kirchen fragen lassen müssen, was ist unsere Rolle in der Gesellschaft, und da hat man noch mal entdeckt: Wir sind eigentlich da gefragt, wo Menschen in Umbrüche kommen, wo sich Dinge verändern, da, wo Menschen Zuspruch brauchen, Bestärkung brauchen, da gibt es tolle Ereignisse wie negative Ereignisse."
Medikalisierung der Schwangerschaft
Für Jantine Nierop vom Studienzentrum der EKD für Genderfragen, ist die Segensfeier für werdende Eltern vor allem eine Form der Seelsorge:
"Für die Kirche liegt das Bedürfnis darin, dass sie entdeckt hat, dass sie die Menschen viel näher begleiten soll in bestimmten Lebensphasen. Schwangerschaft war lange ein vergessenes Thema für die Kirche, hat nicht viel Aufmerksamkeit bekommen. Und die Schwangerschaft wurde in der Kirche in den vergangenen Jahren entdeckt."
Die Wahrnehmung der Schwangerschaft habe sich in den vergangenen 10, 15 Jahren sehr verändert, meint Nierop. Sie spricht von einer Medikalisierung der Schwangerschaft:
"Von Anfang an wird man intensiv begleitet von Frauenärztinnen, Hebammen, Vorsorgeuntersuchungen. Einfach nur guter Hoffnung sein, das ist heute nicht mehr so. Die Verunsicherung bei den werdenden Eltern ist in vielen Fällen größer geworden als früher, und da ist das Bedürfnis entstanden nach Zuspruch der Präsens Gottes, dass Gott mit den Eltern durch die Schwangerschaft geht, (,..) was auch immer passiert."
Die evangelische Genderexpertin Jantine Nierop weist darauf hin, dass in den von ihr untersuchten Segenssprüchen oft alte Geschlechterstereotype auftauchen:
Herr, du hast dieser Frau
die wunderbare Freude der Mutterschaft geschenkt;
Gewähre ihr Trost in aller Angst Und gib ihr den festen Willen,
ihr Kind auf den Wegen des Heils zu führen.
"Die Gefahr besteht darin, alte Rollenbilder wieder aufzuwärmen. In der Art und Weise, wie werdende Mütter angesprochen werden, da besteht durchaus die Gefahr, dass sie auf alte Rollenbilder festgelegt werden."
Dass es auch anders gehe, beweise dieses Beispiel:
Herr und Gott, Schöpfer allen Lebens,
Du blickst auf die werdenden Mütter und Väter
Und willst ihnen Heil und Segen zuwenden.
Erfreue sie mit tiefer Freude über das Wunder des Lebens
Und segne sie.
Segensfeiern heben sich bewusst von der Banalität des Alltags ab. Thies Gundlach, der Vizepräsident im Kirchenamt der EKD:
"Segenssprache ist eine andere als eine alltägliche Sprache, die hat immer (..) einen leicht erhöhten Tonfall. Weil es um mehr geht als Mach’s mal gut, da gehört eine gewisse Sprachdimension dazu, die sehr biblisch geprägt ist und auch einen eigenen Klang haben muss, sonst hört man nicht das Besondere dieser Segensformeln."
Und diese Segensformeln können durchaus nachhaltig wirken, meint die katholische Pastoralreferentin Astrid Jöxen:
"Ich habe das jetzt schon häufiger erfahren, wenn es unter der Geburt schwieriger war, die Angehörigen gesagt haben: Das hat uns gut getan, wir wissen, das macht nicht alles heil, aber es gibt uns das Gefühl, wir sind getragen, auch wenn es schwierig wird."