Freitag, 19. April 2024

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Golden Pudel Club
"Die disparate Stadt" am Hamburger Schauspielhaus

Erst kürzlich, nach dem Brand im Hamburger Pudel Club, sind mehr als 2.500 Menschen in der Hansestadt auf die Straße gegangen: Für den Erhalt des kleinen Musikclubs und gegen mögliche Spekulanten, die das Grundstück des Clubs am Hafen erwerben wollen. Damit setzt sich Schorsch Kamerun in seiner neuen Inszenierung auseinander.

Von Juliane Reil | 07.03.2016
    Schorsch Kamerun, Sänger der legendären Band "Die goldenen Zitronen"
    Schorsch Kamerun, Sänger der legendären Band "Die goldenen Zitronen" (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    20 Uhr im Foyer des Malersaals am Hamburger Schauspielhaus. Mit einem Pulk von Leuten laufe ich durch einen langen, in Blau getauchten Gang. An den Wänden mit Pinsel gemalt: rätselhafte Wortfragmente: Demo, Künstler, Hafenstraße. Am Ende vom Treppenhaus geht es vorbei an einer Band, die hinter einem durchsichtigen Duschvorhang spielt.
    Wie in einer Traumwelt kommen mir eine Ballerina und Rollschuhfahrerinnen entgegen. Dann, auf einmal eine Stimme aus dem Off.
    "Wer hat hier was zu sagen? Wem gehören die Räume? Wie lauten die Träume?"
    Der ausgebrannte "Golden Pudel Club" im Hamburger Stadtteil St. Pauli.
    Der ausgebrannte "Golden Pudel Club" im Hamburger Stadtteil St. Pauli. (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Kein klassisches Theaterstück mit durchgängiger Spielhandlung erwartet mich an diesem Abend. Stattdessen eine Installation aus Musik, Text, Bild und Raum, der begehbar ist. Die Inszenierung "Die disparate Stadt" von Schorsch Kamerun will eine Geschichte des innerstädtischen Widerstands zeigen. Widerstand gegen jede Form von Einengung und Engstirnigkeit.
    Dann bin ich im Saal. In der Mitte Holzpalletten, die mal gestapelt, mal wieder abgebaut werden. Ein sehr schönes Bild für die sich ständig wandelnde Stadt.
    "Der Anblick, der sich offenbarte, war ein erschütternder. 500 Personen anwesend. Nicht über 22 oder 23 Jahre alt. Auf dem Flügel der Kapelle ein Schild. Aufschrift: Swing erbeten. Ein vor dem "Erbeten" stehendes Kreuz ließ darauf schließen, dass das Schild einmal "Swing verbeten" geheißen hat."
    Offensichtlich haben wir eine Zeitreise in das Hamburg der 30er Jahre gemacht. Der Swing erreicht damals Europa. Meistens von Afroamerikanern gespielt ist der Jazz insbesondere bei Nazis als "Negermusik" verrufen. Die Fans des Musikstils, vor allem Jugendliche in Hamburg und anderswo, fallen auch durch ihren anglophilen Kleidungsstil auf. Damit wirken sie wie eine Provokation in einer stark normierten Gesellschaft. Das konnte ernste Konsequenzen haben.
    "Also, die sind hier verfolgt worden. Von der HJ erst, dann wirklich soweit bis ins KZ. Das war hier das, was passierte und die sind tatsächlich dadurch politisiert worden und haben sich gewehrt."
    Rekapituliert Schorsch Kamerun. Zusammen mit dem St-Pauli Archiv, einer Hamburger Geschichtswerkstatt, ist eine Art Chronik des Hamburger Protests entstanden. Dabei wird deutlich, dass der Kampf um Freiräume in der Stadt nicht nur ein Phänomen der letzten zehn, zwanzig Jahre ist.
    Dass Kamerun dieses Thema wählt, liegt auf der Hand. Er selbst war schon immer ein Widerspenstiger. Ob als Mitbegründer des legendären "Golden Pudel Clubs", als Sänger der Punkband "Die Goldenen Zitronen", als Theatermann – selbst schon als Jugendlicher:
    "Wir als junge Punker auf unserem Dorfplatz konnten noch eine Irritation herstellen. Das konnten wir über Äußerlichkeiten machen und über ein Verhalten. Wir haben gesagt, das hat hier keine Zukunft und waren somit auch aus der Art geschlagen und so hat man uns auch noch behandelt. Man wollte, dass wir uns vernünftig anziehen. Die Haare richtig machen und so weiter. Das ging noch als Irritation. Danach ja eigentlich nicht mehr."
    Wie kann man heute noch irritieren, um Protest sichtbar zu machen? Auch das fragt Schorsch Kamerun in seiner Inszenierung und versucht es mit besonders schrägen Figuren. Ein Affe aus buntem Lametta streicht mir sanft über die Schulter. Neben ihm stakst eine menschengroße Schere vorbei, als auf einmal das Licht ausgeht.
    Melancholisch klingt der Gesang einer Lichtgestalt, die aus dem Dunkeln tritt. Mit ihrer Haarkrone und dem silbernen Gewand wirkt sie wie eine traurige Königin der Nacht. Ist das der Traum von einer Stadt, in der das Anderssein noch Platz hat? Wie könnte dieses Anderssein in der Wirklichkeit aber aussehen und geschützt sein? Fragen, auf die das Stück keine Antwort hat. Aber vermutlich auch nicht geben will. Die Inszenierung hat mich zum Nachdenken gebracht, ohne mir etwas vorgeben zu wollen. So hänge ich meinen Gedanken nach, als das Licht im Saal schon längst wieder an ist.
    Mittlerweile hat die Königin hat ihre lila Brille aufgesetzt und liest von einer langen Papyrusrolle, von den Widerständlern der Stadt. Die anderen Figuren folgen ihr. Das wirkt wie eine Demonstration, in der ich mich selbst erstaunt, aber mit einem guten Gefühl wiederfinde. Aus dem Theatersaal gehen wir hinaus in die Stadt.