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Gruscheln in Bunt

Nesttrieb kennt kein Alter, nur den Geldbeutel. Das kann man wieder auf der größten Möbelmesse der Welt, der "imm cologne", beobachten. Nach Funktionsdesign und Retrokult darf es jetzt wieder etwas bunter sein, wenn der Alltag schon grau ist.

Von Beatrix Novy | 19.01.2010
    Krise? Welche Krise? Nicht in der Möbelbranche, die schon seit März, kaum ein halbes Jahr nach dem großen Schock, durchaus zufriedenstellende Umsatzzahlen verzeichnete. Schon bei der letzten Messe verwies man hoffnungsfroh auf das alte Bild von der Höhle, von den Unbilden des Lebens und dem Bedürfnis nach Rückzug in den inneren Komfort, das dem Menschen eigen ist.

    Ein Mechanismus, der freilich nur funktionieren kann, wenn die Kundschaft immer noch über genügend Bares verfügt – im Vertrauen darauf bietet auch in diesen Zeiten ein Hersteller von Schlafzimmermöbeln Schranktüren mit nicht ganz billigem Kristallglitzer an. "Kommen Sie ruhig rein, kommen Sie ran" ruft Dirk Klaas, Geschäftsführer des Verbandes der Möbelindustrie, in die Runde, hier gibt es was zu sehen in der glanzlackierten Oberfläche eines schlichten Schlafzimmerschranks: echte Swarovski-Steinchen. Sie gleißen, relativ dezent verteilt, auf der ansonsten nicht allzu spektakulären Tür, aber sie rufen: Swarovski! Und sie sind ein Beispiel unter mehreren dafür , wie eine Erkenntnis sich im mehr und mehr crossovernden Möbelgeschäft durchgesetzt hat: "Die Marke ist das A und O" sagt auch der biedere Inhaber der noch jungen ostwestfälischen Firma, der sich, 56 Jahre alt, gerade noch schwach erinnern kann, dass in seiner Jugend Turnschuhe gar keinen Aufdruck trugen. Die Zeiten sind vorbei, der Möbelhersteller hat sich deshalb verbrüdert mit einem glamourösen Rasse-Zugpferd, mit Porsche Design. Wer Uhren oder Brillen aus dieser Werkstatt trägt, wird auch für die nobel-puristischen und nicht einmal porschemäßig teuren Möbel Sinn und Geld haben.

    Auch die global agierende Klamottenkette Esprit, die schon im vorigen Jahr mit ihrer globalen Möbellinie auf den Markt trat, ist wieder dabei und inszeniert Wohnwelten. Die sind in der globalen Sprache anständigen Designs gehalten, jetzt könnte man doch mal weitergehen und auch der Sprache des Marketings ein bisschen Design verpassen, aber nein: Der Sprecher der Klamottenkette behauptet, wir stünden hier mitten in einem "Kompetenzbereich", nämlich in einem Shop-in-Shop, der nun auch in Möbelhäusern eine einzelne Marke inszenieren soll: Sitzmöbel, Regale, Schränke, Teppiche – alles von einer Firma, ganz nach dem Vorbild großer Kaufhäuser, die vor Jahren schon sich auf diese Weise ein neues Erscheinungsbild gaben. Auch des Möbels bester Freund ist die Marke.

    Aber nur noch selten fördert die Jagd nach Innovationen Ausgeflipptes zutage; es kommt einem vor, als sei die Gesellschaft sanft und generationenübergreifend in ihrer Bürgerlichkeit angekommen. So viel klassische Formen, ob sie vom funktionalen, einst revolutionären Design herkommen oder von den Shaker-inspirierten Handwerks-Sprache. Der Einfachheit solider Eichenmöbel werden Ornamente in Form von Profilen, Aufsätzen oder Intarsien dezent hinzugefügt, mehr nicht. Viele Sofas und Sessel sind mit Leder bezogen, viele mit Wolle, selbst bunte Scheußlichkeiten, die es natürlich auch gibt, wirken solide, weil die Materialien es sind. Die ausladenden großen Formen: fast verschwunden, nur in den Sofas offenbart sich noch die Sehnsucht einer Single-Gesellschaft nach Großfamilie: RTL hat seine Big-Brother-Sofalandschaft aufgebaut, kann man die kaufen? Oder: Orient trifft Okzident, sagt der Hersteller eines ellenlangen niedrigen Übereck-Sofas, das tatsächlich an arabische Wohnräume erinnert: Unter der sehnsüchtig imaginierten Palaverkultur schlummert deutsche Wertarbeit aus stabilem Buchenholz.

    Aber die wahre Rückkehr der Wohngemeinschaft findet sich da, wo sie sich selbst nicht vermutet: Bei der Firma, die sich der Ruhe und dem Raum verschrieben hat. Sie steht hier für das Messe-bestimmende Thema der Raum-Verschmelzung: nicht nur Küche und Wohnzimmer können ineinander übergehen. "Unsere Philosophie ist", sagt ihr Geschäftsführer, "dass Bad und Schlafzimmer verschmelzen", ergo stehen hier Bett und Schrank direkt neben einer wunderhübschen eingelassenen Luxuswanne. Der Geschäftsführer ist zu jung, um sich daran zu erinnern, wie seinerzeit in Wohngemeinschaften die Klotür entfernt wurde, zwecks Emanzipation von bürgerlichen Zwängen. Die Begeisterung für das Experiment war von sehr kurzer Dauer. Irgendwie hat man das Gefühl, dass das auch das Schicksal dieser neuesten Einrichtungsidee sein wird – auch wenn heute die Toilette separat ist.