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Hamburger Kunsthalle
Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre

Mancher hält die Rollenklischees längst für gebrochen. Die Hamburger Kunsthalle sieht das anders und widmet der feministischen Avantgarde der 1970er-Jahre eine Ausstellung.

Von Carsten Probst | 14.03.2015
    Diese Ausstellung ist schon ein Erfolg, bevor sie überhaupt eröffnet wurde, zumindest in Deutschland. Sie war es schon allein durch ihre Ankündigung. Beschämend genug für die hiesige Kunstlandschaft, das so zu sagen: Aber die Hamburger Kunsthalle ist nach Lage der Dinge tatsächlich die erste museale Institution in Deutschland, die der feministischen Avantgarde einen kunsthistorischen Rang einräumt.
    Im europäischen Ausland scheint das einfacher zu sein. Sie Sammlung VERBUND in Wien mit ihrer sehr umtriebigen Leiterin und Kuratorin Gabriele Schor realisiert schon seit einigen Jahren Themenausstellungen zu diesem Sammlungsschwerpunkt in verschiedenen großen Häusern: Zum Beispiel in der Galleria nazionale d'arte moderna in Rom, im Círculo de Bellas Artes in Madrid oder auch im Palais des Beaux-Arts in Brüssel.
    In Deutschland tat man sich offenkundig leider viel schwerer, auch, wenn hier schon seit 2008 das große Forschungsprojekt "re.act.feminism" mehrfach Ausstellungen organisiert hat. Von den Namen her gibt es Überschneidungen zwischen "re.act.feminism" und der Sammlung VERBUND, die Ausrichtung unterscheidet sich hingegen.
    Gabriele Schnr scheint es in der Tat um einen Marsch durch die Institutionen zu gehen. Der wäre auch längst überfällig. Sie will nicht nur Strategien der Künstlerinnen der 70er-Jahre vorstellen, sondern sie will sie als Teil der jüngsten Kunstgeschichte etabliert wissen, im Herzen der europäischen Museen sozusagen.
    Gerade da hatte diese Kunst ja bislang kaum einen angestammten Platz, bis in die 90er-Jahre galt sie da und dort noch als Hausfrauenklage, wenn sie überhaupt der Rede wert war.
    Die Grunderkenntnis, die Gabriele Schor mit ihrer inzwischen mehr als zehn Jahre währenden Forschungs- und Ausstellungsarbeit zutage fördert, ähnelt freilich der von "re.act.feminism": Dass Künstlerinnen seit den 60er-Jahren ihre eigene Kunstgeschichte zu machen beginnen; sie bedienen sich einer Kombination von neuen Dokumentationsmedien wie Foto und Video und Strategien von Körper-Performance und Installation und begründen damit eine eigene, künstlerische Medienstrategie.
    Künstlerinnen formulieren notwendigerweise eine Auseinandersetzung mit den weiblichen Rollenklischees der westlichen, aber keinesfalls nur der westlichen Gesellschaft und werden so zu geheimen Urheberinnen neuer, körperbezogener Kunstformen.
    Geheim deswegen, weil die Recherchearbeit von Gabriele Schor sie auch heute noch auf Dachböden und in Keller von Künstlerinnen führt, die teils jahrzehntelang vergessen waren oder gar nicht als Künstlerinnen wahrgenommen wurden. Das betrifft im Kontext dieser Ausstellung vor allem die Generation der in den 40er-Jahren oder davor geborenen Protagonistinnen.
    Natürlich gab es auch schon vorher künstlerisch aktive Frauen. Doch die explizite Auseinandersetzung mit der über die Körperlichkeit definierten Rollenzuschreibung an die Frauen begann in der Tat in den 60er- und 70er-Jahren mit einer eigenen Sprache. Berühmt und signifikant ist der Satz von Cindy Sherman, die schon die nächste Generation verkörpert und als "Kunst-Star" ironischerweise die medialen Rollen wie ein Produkt der Pop Art verkörpert.
    Sherman sagte in den 70er-Jahren: Es gäbe hunderte Bilder von ihr, aber auf keinen sei sie selbst zu sehen.
    Stattdessen schlüpfte sie mit ihrem Allerweltgesicht immer wieder in neue weibliche Klischeerollen. Niemand wusste eigentlich, wie sie in Wirklichkeit aussah. Dieser Kampf um das Bild des Ich, um eine Identität jenseits der Rollen, wird in der Ausstellung und dem opulenten Katalog exemplarisch und für jeden unmittelbar erfahrbar.
    Cindy Sherman hatte als Verwandlungskünstlerin natürlich ihre Vorgängerinnen, aber viele Künstlerinnen arbeiteten sich noch offensiver, noch schonungsloser an den Rollenmustern ab, in denen man bis heute viel Geläufiges wiedererkennen kann.
    Martha Rosler, Ana Mendieta, Hannah Wilke, Francesca Woodman – das sind mittlerweile eingeführte, etablierte Namen. So viel bleibt aber zu entdecken, so viel grandiose, teils vergessene Arbeiten etwa der Österreicherinnen Renate Bertlmann oder Birgit Jürgenssen. Besucherinnen dieser Ausstellung sind privilegiert. Sie können der Kunstgeschichte beim Entstehen zusehen.