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Harte Arbeit für die deutsche Fernseh-Unterhaltung

Rudi Carrell hat fast alle maßgeblichen Show-Konzepte mit aus der Taufe gehoben. Seine Rezepte waren womöglich auch deshalb so erfolgreich, weil er eigentlich die alte Schule des Entertainments verkörperte: Mit dem Gast oder dem Zuschauer zu lachen anstatt auf dessen Kosten.

Von Beatrix Novy | 10.07.2006
    Der einzige Showmaster des deutschen Fernsehens, der je einen ernsthaften diplomatischen Konflikt mit der iranischen Regierung verursachte, war ein Niederländer. Rudi Carrell moderierte damals, 1987, die Nachrichten-Persiflage "Rudis Tagesshow". In einer Folge hatten seine Scherzspezialisten verschiedene Filmbilder so zueinander montiert, dass es aussah, als werfe eine aufgewühlte Fan-Menge dem damaligen iranischen Staatsführer Ayatollah Khomeini Damenunterwäsche zu.

    Da für Fundamentalisten jeder Couleur ein weibliches Dessous das Böse in weitaus größerem Maß symbolisiert als ein Galgen oder eine Kalaschnikoff; wurde die Montage von der iranischen Regierung übel vermerkt und mit Schließung des Teheraner Goethe-Instituts geahndet. Aus einem sehr mäßigen Gag war eine unfreiwillige Sternstunde der Satire geworden.

    Rudi Carrell hatte das nicht so gemeint. Die politische Provokation war seine Sache nicht. Und doch war der Fall nicht ganz untypisch für den volksnahen Entertainer: Auch wenn viele seiner Scherze ihre Herkunft aus dem umfangreichen Witz-Archiv eines professionellen Spaßmachers nicht verleugnen konnten, schien hinter seiner trockenen Redeweise immer eine verborgene Schärfe zu stecken, ein kühler Durchblick. Jedenfalls die Distanz eines Profis, der das Metier von der Pike auf gelernt hat und immer ein bisschen mehr kann als das, was er vorführt.

    "Anfangs war meine Karriere geprägt vom französischen Chanson, und die Nummer 1 war damals Yves Montand, schon wieder so eine tolle Persönlichkeit, aber ganz im Gegensatz mit Frank Sinatra, wenn ich denke an seine ersten Konzerte vor 30 Jahren, das war ein Höhepunkt in meinem Leben. Ich hab versucht, von diesen Leuten etwas zu lernen. Das war unheimlich wichtig. Ich hab auch Lieder von Montand übersetzt und sie damals in Holland gesungen. "

    Rudi Carrell, von Haus aus Rudolf Kesselaer, war der Sohn und Enkel von Kleinkünstlern aus Alkmaar. Seit 1951, als er für seinen Vater auf der Bühne eingesprungen war, verdiente er sein Geld als Zauberkünstler, Bauchredner, Witzeerzähler, Kasperlspieler. Eine solide Basis, die ihn weit über das Niveau so vieler selbsternannter Comédiens heraushob. 1959 brachte sein Talent ihn ins holländische Fernsehen, 1964 nach Montreux, wo der die Silberne Rose entgegennahm. Das war die Eintrittskarte zum deutschen Unterhaltungsfernsehen.

    " 40 Preise gehen vorbei und er muss sich soviel wie möglich merken. Bitte Vorhand auf und Band ab! "

    64 Prozent Quote: Mit dem Familien-Quiz "Am laufenden Band", später mit "Herzblatt" und der "Rudi-Carrell-Show" verschaffte er sich seinen Platz in der Traditionsreihe großer Fernseh-Unterhalter, die einen beträchtlichen Teil der Nation - und alle Generationen - vor die Mattscheibe holten: der fein-witzige Kulenkampff, der gutgelaunte Lou van Burg, der unverschämt charmante Gottschalk. Wer Carrell mit einem Vorgänger vergleichen wollte, nannte den Namen Peter Frankenfeld, der auch so ein harter Spaß-Arbeiter war.

    "Sie haben jetzt 30 Sekunden Zeit, alles zu sagen, was Sie gesehen haben - ab jetzt!"

    Aber Carrell, der Entertainer alter Schule, machte seine Karriere schon im Niedergang dieses Patriarchats, im Übergang von der Unschuld früher Fernsehshows zum härteren Geschäft der Quotenkonkurrenz, da passte es, dass er direkt war, vor Kraftausdrücken keine Scheu hatte und sich im Kampf um den Zuschauer zur Marke machte. Etliche Show-Formate – die meisten übernahm er aus Holland oder Großbritannien – trugen seinen Namen: Rudis Tiershow, Rudis Urlaubsshow, Rudis Suchmaschine. Sein Wechsel vom öffentlich-rechtlichen ins private Fernsehen brachte ihm nicht nur Höhepunkte der Zuschauergunst ein - egal. Er war einer, der immer wieder ansetzte und den nächsten Coup vorbereitete. Seine letzte Erfolgsgeschichte war die Produktion der Show "7 Tage 7 Köpfe", in der Comédiens neueren Zuschnitts die Hauptrolle spielten. Manchmal sah Rudi Carrell ihnen dabei nur milde lächelnd zu.