Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv

Hercules and Love Affair
Aus dem Studio auf die Tanzfläche

Der New Yorker DJ Andrew Butler produziert unter dem Pseudonym Hercules and Love Affair mit wechselnden Sängern und Sängerinnen eine radikal eklektische Musik, die sich keinem einzelnen Genre zuordnen lässt. Derzeit tourt das Kollektiv durch Europa - im Gepäck das dritte Album "The Feast of the Broken Heart".

Von Peter Backof | 21.05.2014
    Die vielen Regler eines Mischpults, aufgenommen am Montag (19.01.2009) in einem Tonstudio in Wiesbaden.
    "Ich liebe Studioarbeit", sagt Andrew Butler, aber live sei es völlig anders, es gäbe so viele Variablen. (picture-alliance/ dpa - Fredrik von Erichsen)
    "Ich weiß nicht, warum, aber ich fühle mich hier wohl. Ich mag düstere Ecken. Bin ich ein Vampir? Also ich bin definitiv ein Kind des Underground. Buchstäblich. Hier hören Sie mal: Über uns fahren Züge!"
    Das Tunnelgewölbe unter der Bahntrasse. Club Bahnhof Ehrenfeld in Köln, hier treffe ich Andrew Butler beim Soundcheck. Ein Personal aus Charaktertypen: Andrew, Mitte 30, trägt das Kurzhaar und den Vollbart orange gefärbt. Rouge Mary aus Paris, einer der beiden Sänger von Hercules and Love Affair auf Tour, probt gerade seine Choreografie und lässt die Gothic-schwarzen Haare, rücklings und kopfüber, von der Bühne hängen. Ein androgynes Cabaret Noir, das ist die Inszenierungsidee für diesen Abend. Typisch New York oder typisch Paris?
    "So ist das, wenn man so wie ich mit Warehouse Partys aufwächst, die in alten Industriehallen stattfinden."
    "Ich liebe Studioarbeit, du kannst Musik bauen, in einer kontrollierten Atmosphäre. Live ist es völlig anders, es gibt so viele Variablen. Das fängt schon beim Publikum an. Und dir selber passieren Fehler. Oder was man Fehler nennt."
    Perfektion muss nicht sein
    Der Elektronikmusiker wundert sich, dass es heute Software gibt, die Fehler wegretuschiert und umgekehrt, Human-Touch-Programmierung, die absichtlich kleine Abweichungen wieder einbaut und Musik künstlich menschlich wirken lässt.
    "Es gibt schon so einen Trend in den letzten 15 Jahren, alles wirklich Lebendige auszulöschen. Höre dir im Vergleich Disco- und House-Platten vor der Zeit automatischer Tonhöhenkorrekturen und -manipulationen an. Wir sprechen heute von Klassikern und die waren in keinster Weise perfekt."
    An der Schwelle von Disco zu House: Die 80er-Jahre sind die musikalische Basis von Hercules and Love Affair. Vocal-Samples prallten damals plötzlich aus dem gefühlten Off auf die Tanzfläche.
    "Dekontextualisierte Lyrics, würde ich sagen: Slogans, die auch irgendetwas bedeuten konnten und die du, auch wenn du Englisch sprichst, oft gar nicht verstanden hast. Aber trotzdem haben sie etwas ausgelöst, etwas evoziert, oder provoziert."
    Das dritte Album "The Feast of the Broken Heart"
    Wir können uns das dritte Album "The Feast of the Broken Heart" als Konzeptalbum anhören: Es skizziert die Dramaturgie einer Partynacht.
    "So eine Klubnacht kann eben mehr sein als Party: Es ist dann Feast - Fest, Ritual. Zumindest war es bei mir so: Du triffst jemanden oder der Soundtrack wird dein Soundtrack. Ich zitiere den frühen House-Musiker Frankie Knuckles: Das Beste ist, wenn ein Klub sich in einen heiligen Ort verwandelt, in eine Kirche."
    "Identität spielt sicher eine Rolle"
    Der Halbgott Herkules selber begegnet uns live nur als projiziertes Bandlogo. Als Kind sei er Fan griechischer Mythologie gewesen und dann sei die Idee hängen geblieben: Dies, wie auch das aktuelle Video mit zwei tanzenden Männern, sei kein Hinweis auf den queeren Kontext der Band.
    "Identität spielt sicher eine Rolle. Also ich persönlich verstecke meine Homosexualität nicht. Aber: Ich versuche schon, Musik für alle zu machen, am besten solche, die sogar mein Drumcomputer versteht. Schon lustig, diese Gerede immer über schwule Musik."
    Das Image kam zustande durch die Zusammenarbeit mit Anthony Hegarty und aktuell John Grant. Stimmen mit elegisch, fragilem Touch, von Sängern, die wie Andrew Butler keinen Hehl aus ihrer sexuellen Identität machen. Es ist dann vor allem musikalisch interessant: der Kontrast zwischen streckenweise Techno-harter elektronischer Musik und Stimmen, die wie Klagegesänge aus einer anderen Zeit wirken. Ein Kontrast, den Hercules and Love Affair bewusst setzen und der dramaturgisch sehr gut funktioniert, auf dem Album wie auf der Tanzfläche.