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Herrnhuter Gemeine und Rechtspopulismus
Nicht mehr schweigen

In einem Ort bei Görlitz hat die pietistisch geprägte Herrnhuter Brüdergemeine ihren Ursprung. Bisher hielt sich diese Kirche aus der Politik raus. Doch nun hat sie eine Erklärung gegen Rechtspopulismus veröffentlicht. Glaube und Einsatz für die Menschenwürde hingen zusammen, so die Begründung.

Von Jennifer Stange | 11.02.2019
    Das Wappen der Herrnhuter Brüdergemeinde hängt im renovierten Völkerkundemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in Herrnhut in der Oberlausitz, aufgenommen am 22.12.2011. Um das Bild eines Lamms ist ein lateinischer Schriftzug angeordnet: "Vicit agnus noster. Eum sequamur." (Unser Lamm hat gesiegt - lasst uns ihm folgen)
    Das Motto der Herrnhuter Brüder-Unität: "Unser Lamm hat gesiegt - lasst uns ihm folgen" (Picture Alliance / Oliver Killig)
    Herrnhut ist ein kleiner Ort in der Oberlausitz. Im 18. Jahrhundert fanden dort Glaubensflüchtlinge Asyl, Menschen, die sich auf den Reformator Jan Hus beriefen. Bis heute besteht die die Herrnhuter Gemeine, - ohne D –. Es gibt sie nicht nur in Sachsen, sondern weltweit – ein Ergebnis missionarischen Eifers. Die Frömmigkeit ist pietistisch geprägt. Wer Mitglied werden will, muss davon überzeugt sein, dass – so steht es in den Grundsätzen – "Jesus Christus der Herr unseres Lebens ist." Besonders bekannt ist ein dekoratives Glaubensbekenntnis: der Herrnhuter Stern. Das Gebilde mit den markanten Zacken ist komplex, dreidimensional und von innen beleuchtet. Gemeinhin hält sich die Gemeine von politischen Statements fern, aber nun ist das anders. Die Herrnhuter Brüder-Unität, das ist der länderübergreifende Zusammenschluss verschiedener Einrichtungen, hat öffentlich erklärt, was sie für unterkomplex, eindimensional und finster hält.
    Die pietistische Gemeinschaft hat sich nach Ihrem Gründungsort benannt. Herrnhut, ein kleines Städtchen im östlichen Sachsen, nahe der tschechischen und der polnischen Grenze. Hierhin flüchteten die Anhänger der böhmischen Reformation Anfang des 18. Jahrhunderts vor ihren Gegnern. Graf von Zinzendorf gewährte ihnen Asyl in einer neuen Siedlung namens Herrnhut. Dort ließ der Graf unter anderem den Vogthof errichten, ein stattliches barockes Gebäude, das mit Unterbrechungen Hauptsitz der Brüder-Unität ist. Pfarrerin Benigna Carstens sagt:
    "Hier ist unser Sitzungssaal. Sehr herrschaftlich. Fast herrschaftlicher als wir insgesamt. So wie es jetzt ist, 1913 ist das eingerichtet."
    Das Schweigen der Vergangenheit
    An Traditionen festhalten, aber nicht festklammern. Die Mitglieder der Brüder-Unität überprüfen scheinbare Gewissheiten, der selbstkritische Diskurs ist ihnen wichtig. Pfarrerin Benigna Carstens ist Mitglied der Kirchenleitung. Lange herrschte Konsens darüber, sich öffentlich nicht zu Gesellschaftlichem oder Politischem zu äußern. Carstens sagt:
    "Zum Beispiel gegenüber der Sklaverei in der Missionsarbeit, gegenüber dem Militarismus im Ersten Weltkrieg war das sicher falsch. Wobei unsere Kirche da, oder viele unserer Mitglieder in Deutschland überhaupt, der Kriegsbegeisterung auch gefolgt sind - das ist so. Aber auch im Zweiten Weltkrieg, oder in der Zeit des Nationalsozialismus, hat sich die Brüder-Unität nicht öffentlich geäußert. Das kritisieren wir heute."
    "Die Erklärung kommt aus dem Herzen unserer inhaltlichen Arbeit"
    Beim selbstkritischen Blick in die Vergangenheit bleibt es nicht. Den Mitgliedern soll in gesellschaftspolitischen Fragen nun die Orientierung geboten werden, die man ihnen in der Vergangenheit schuldig geblieben war. Heute stünden grundlegende Werte Europas in Frage, da könne man nicht länger schweigen, heißt es in der Erklärung der deutsch-niederländischen Kirchenleitung gegen Rechtspopulismus.
    Besucher der Brüdergemeinde im sächsischen Herrnhut stehen am Montag (26.03.2012) vor dem Kirchsaal. Die Brüder-Unität ist eine evangelische Kirche mit Vertretern in 35 Ländern auf fünf Kontinenten.
    Das sächsische Herrnhut ist noch heute ein Zentrum der Brüder-Unität (Picture Alliance / Matthias Hiekel)
    Sie passt locker auf eine DIN A4-Seite, sechs Punkte in kurzen, prägnanten Sätzen. Die Brüder-Unität richtet sich gegen "Nationalegoismus" und "Eurozentrismus". Gegen den Missbrauch christlicher Werte in Frontstellung zu anderen Religionen und Kulturen. Und die Brüdergemeine fordert auch von Politikern, Medien- und Meinungsmachern ein respektvolles Miteinander. Michael Schmorrde ist der Jurist bei den Herrnhutern und ebenfalls Mitglied der Kirchenleitung:
    "Das war weniger eine juristische Erklärung, sondern die kommt aus dem Herzen unserer inhaltlichen Arbeit. Wir sind eine Kirche, die international aufgestellt ist, die auch in der Flüchtlingsarbeit sich engagiert hat. Und wir wollen deshalb Stellung nehmen und wir wollen auch unseren Mitgliedern und Gemeinden Hilfen geben mit den Diskussionen, die ja in der Gesellschaft und damit auch in den Gemeinden da sind, gute Antworten zu finden."
    "Menschen müssen menschenwürdig behandelt werden"
    Antworten, die wohl auch auf Widerspruch stoßen. Geflüchtete dürften nicht in Gefängnisse oder Lager eingesperrt werden, Kindern, die hier aufwachsen, sollten Bürgerrechte gewährt werden, das Sterben im Mittelmeer dürfe nicht bagatellisiert werden, heißt es in der Erklärung.
    Dazu Michael Schmorrde: "Ich denke das hängt ganz wesentlich mit unserem christlichen Wertefundament zusammen, wo an dieser Stelle nicht nur politische Fragestellungen eine Rolle spielen, sondern wirklich auch unsere Glaubensüberzeugung, dass Menschen egal in welcher Situation sie sich befinden, menschenwürdig behandelt werden müssen."
    Die Ankunfts- und Rückführungseinrichtung (ANKER-Zentrum) für Asylbewerber auf dem ehemaligen Gelände der US Army in Bamberg 
    ANKER-Zentren sind für die Brüder-Unität inakzeptabel (dpa/Nicolas Armer)
    Ein Diktum, das so ganz abstrakt wohl vielen über die Lippen gehen würde. Doch im Konkreten widerspricht die Erklärung der Brüder-Unität aber nicht nur Positionen, die gemeinhin als rechtspopulistisch gelabelt werden, sondern auch dem, was gegenwärtig praktiziert wird, zum Beispiel mit Abschiebehaft und ANKER-Zentren. Dazu das Mitglied der Kirchenleitung Carstens:
    "Es gab zwar - und gibt vielleicht noch - in der christlichen Tradition auch eine große Nähe zum Regierungshandeln, aber da haben wir jetzt kein Problem damit, dass unsere Sicht auf die Lage, gerade was Flüchtlinge und Gefängnisse betrifft, natürlich unterschieden ist von der, die jetzt unsere Regierung einnimmt."
    "Wir fühlen uns nicht in Feindesland"
    Noch größere Differenzen könnte es in der Region geben. Herrnhut liegt im Landkreis Görlitz - eine AfD-Hochburg. Hier verlor der heutige sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer bei der Bundestagswahl 2017 seinen Parlamentssitz an einen AfD-Abgeordneten. An eine Partei, die maßgeblich durch das Thema Flüchtlingspolitik groß geworden ist und von "unkontrollierter Masseneinwanderung" spricht. Benigna Carstens sagt:
    "Aber wir fühlen uns nicht in Feindesland. Denn es zeigt sich, dass solche Haltungen eben wegen des mangelnden Gesprächs miteinander nicht korrigiert worden sind, und deshalb sagen wir: Unsere Erklärung ist eine Aufforderung zum Gespräch miteinander. Und natürlich mit einer klaren Haltung."
    Michael Schmorrde von der Brüder-Unität Herrnhut ergänzt:
    "Ich denke auch, dass die Gesellschaft um uns herum uns natürlich auch schon ein Stück weit kennt und damit gut umgehen kann." Anfeindungen gäbe es deswegen nicht.