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Hilfe bei chronischer Blasenentzündung

Chronische Blasenentzündung ist ein sehr schmerzhaftes Leiden, das Millionen Frauen betrifft. Wirklich behandeln lässt sich die Krankheit noch nicht. Betäubungsmittel können die Schmerzen lindern. Ein vielversprechender neuer Medikamentenspeicher setzt solche Arzneien direkt in der Blase frei.

Von Marieke Degen | 25.07.2012
    Ein Team vom MIT im US-amerikanischen Cambridge hat jetzt eine Art Medikamentendepot für die Blase entwickelt, mit der sich die Schmerzen möglicherweise kontrollieren lassen.

    Eine chronische Blasenentzündung bedeutet vor allem eines: wahnsinnige Schmerzen. Vor allem dann, wenn sich die Blase mit Urin füllt. Die Betroffenen müssen permanent auf die Toilette, manche sogar 50 Mal am Tag, sagt Michael Cima vom Massachusetts Institute of Technology.

    "Diese Patientinnen können ihre Wohnung nicht verlassen. Es ist sehr schwer für sie, arbeiten zu gehen, und ihr Familienleben ist extrem beeinträchtigt. Diese Krankheit ist in den meisten Fällen einfach nur verheerend."

    Wie genau eine chronische Blasenentzündung entsteht, ist unklar. Eine bakterielle Infektion steckt nicht dahinter, deshalb helfen Antibiotika auch nicht weiter. Eine wirksame Therapie gibt es nicht, nur ab und an ein bisschen Erleichterung. Manche Patientinnen gehen mehrmals pro Woche zum Urologen. Der führt einen Katheter durch ihre Harnröhre und füllt die Blase mit einer Lidocain-Lösung, einem Betäubungsmittel.

    "Das Problem dabei ist: das Medikament wirkt praktisch nur, solange es in der Blase bleibt. Sobald die Patientin auf Toilette gegangen ist, kehrt der Schmerz wieder zurück."

    Dieses Dilemma wollen Michael Cima und seine Kollegen lösen. Die Ingenieure haben ein Lidocain-Depot für die Blase entwickelt, das die Patientinnen dauerhaft von ihren Schmerzen befreien soll. Es ist ein dünner Schlauch, der mit Lidocain gefüllt ist und durch einen Blasenkatheter in die Blase gesetzt wird. Dort zwirbelt sich der Schlauch zu einer Art Brezel zusammen, etwa vier Zentimeter lang.

    "Die Brezel kann nicht von alleine wieder aus der Blase herauskommen. Sie schwimmt also in der Blase herum und setzt dabei kontinuierlich Lidocain frei, etwa für zwei Wochen. Dann muss der Urologe die Brezel mit einem speziellen Blasenendoskop wieder entfernen."

    Die ersten Tests hat die Blasenbrezel bestanden: Sie sei sicher und gut verträglich, sagt Michael Cima. Zehn gesunde Probandinnen haben sich das Depot in die Blase setzen lassen - und nicht mal gemerkt, dass es da war. Die Brezel ist auch schon an Patientinnen getestet worden, an 16 Frauen. Allen ging es mit der Brezel in der Blase besser.

    "Einige Frauen waren sogar komplett schmerzfrei. Jetzt ist Schmerz ja etwas sehr Subjektives, deshalb haben wir auch nach objektiven Maßstäben gesucht. Ein Teil der Frauen hatte kleine Wunden an der Blasenwand, was ein typisches Zeichen für eine chronische Blasenentzündung ist. Diese Patientinnen hatten nicht nur weniger Schmerzen, auch die Wunden sind verschwunden."

    Eigentlich sind die Forscher davon ausgegangen, dass die Brezel alle zwei Wochen durch eine neue ersetzt werden müsste, damit die Schmerzen weiter im Zaum gehalten werden können. Doch es kam ganz anders.

    "Eine große Überraschung war: Nachdem wir das Depot entfernt hatten, sind diese Patientinnen wochen- oder sogar monatelang schmerzfrei geblieben. Wir dachten, der Schmerz müsste sofort zurückkommen - aber er kam nicht zurück."

    Bei einer chronischen Blasenentzündung handelt es sich um eine Entzündungsreaktion, die aus irgendeinem Grund außer Kontrolle geraten ist. Die Forscher vermuten, dass das Lidocain diesen Prozess erst einmal unterbrochen hat.

    Die Ergebnisse sind vielversprechend - trotzdem bleibt Michael Cima vorsichtig.

    Es sei nur eine sehr kleine Studie gewesen, sagt er. Eine chronische Blasenentzündung hat wahrscheinlich viele verschiedene Ursachen, und wahrscheinlich wird die zweiwöchige Lidocain-Therapie nicht allen Patientinnen helfen. Deshalb sind größere Studien geplant. Das Depot selbst, die Blasenbrezel, könne aber wahrscheinlich auch bei anderen Krankheiten zum Einsatz kommen.

    "Zum Beispiel bei Blasenkrebs oder bei einer Reizblase. Die Brezel würde die Medikamente dort freisetzen, wo sie gebraucht werden - in der Blase. Dadurch könnte man Nebenwirkungen vermeiden."

    Wenn sich die Brezel auch in größeren Studien bewährt, könnte sie schon bald auf dem Markt sein - vielleicht schon in drei Jahren.