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Historismus der Moderne

Blaubart erschien zuerst im Märchen von Charles Perrault und ist seitdem tief in die Literatur- und Musikgeschichte eingegangen. Blaubart, ein Serienmörder, ein Seelenfänger oder doch nur ein Liebender? Die "Blaubart"-Opern von Béla Bartók und Franz Hummel wurden in Bremen kombiniert.

Von Frieder Reininghaus | 26.02.2012
    Markus Poschner sorgt dafür, dass die Bremer Philharmoniker die Bläser-Preziosen Bartóks funkeln lassen. Hoch konzentriert lässt er den streichergestützten Legendenton des Anfangs heraufziehen, schärft dann die Härten der Enthüllungsmusik und beschert dem persönlichen Desasters von Blaubart und Judit die musikalische Klarheit. Gerade aber auch die filigranen, von vierteltönigen Passagen durchsetzten Streicherpartie der Hummelschen Partitur werden jetzt im Theater am Goetheplatz mit hoher Präzision ausgeführt. Insgesamt eine überzeugende musikalische Lösung!

    Ohne den Prolog, der auf den Märchencharakter des Werks verweiset, und ohne alle Überreste einer mittelalterlichen Burg in den Weiten des Balkans steuert die Inszenierung von Rosamund Gilmore auf den Beziehungs-Clinch eines modernen Paares zu. "Wir sind am Ziel" singt der Mann aus der Röhre in der Mitte der Bühne, die von sieben frei im Raum schwebenden Türen umringt wird. Die durch diese Art der Hängung funktionslosen Verschlussvorrichtungen wurden in schöner Geometrie halbkreisförmig in absteigender Reihenfolge angebracht. Sie werden jeweils demonstrativ in Bewegung versetzt, wenn davon gesungen wird, was hinter ihnen verborgen sein soll: Die Folter- und die Waffenkammer, die Goldreserven und das Treibhaus der Orchideen (an denen aber auch Blut klebt); blutig erscheinen der im modernen weißen Brautkleid und mit einem Strauß weißer Orchideen morgenschön hereingetretenen Nadja Stefanoff selbst die Wolken über dem weiten Land, auf die der Ausblick hinter der fünften Tür gehen müsste, milchig trüb eigentlich der Anblick des Tränensees unter der sechsten. Aber auch davon ist nur im Diskurs die Rede. Gezeigt wird lediglich, dass und wie Judit das Insistieren auf dem Blick hinter die siebte Tür mit dem Leben bezahlt – indem drei frühere Frauen als depravierte Objekte konservierter Schönheit zum Vorschein kommen, sticht Blaubart die Neue kurz entschlossen ab. Was er dazu singt, ist vom Feinsten: George Stevens ist eine hervorragende Besetzung für die Partie des Herzogs.

    Die Fabel von Béla Balázs zielt, was jedes Kind begreift, auf einen möglichen und wahrscheinlichen Grundkonflikt zwischen dem gewaltbereiten verschlossenen Mann und der weiblichen Neugierde. Die Regisseurin Gilmore steht mit ihrer Sichtweise ganz in der Traditionslinie, die Klaus Michael Grüber und Herbert Wernicke in den 70er und 80er Jahren begründeten und praktiziert einen glatt polierten, hochgradig konsensfähigen Historismus der Moderne. Durch einige Bildelemente und gestische Bezüge verknüpfte sie die Franz-Hummel-Oper mit dem ersten Teil des Abends: die sieben Türen schwebenden höher, ebenso die hochsymbolische Röhre. Unter ihr gilt es hinter einem Stacheldrahtverhau rings um eine in der Pfütze stehende Riesencouch einer dreifachen Missbrauchsgeschichte, die Dora widerfahren sei: da werden der offensichtlich zur Verwandtschaft gehörenden Vergewaltiger K. vorgeführt, Doras gleichfalls schwarzen Vater und Erstnutzer sowie der graue Sigmund. Der missbraucht als Dritter die junge Frau – auf seine freudianische Weise.

    Franz Hummel hat die Konflikte des Quartetts mit einer beredten Musik versehen, die sich dem Ende zu – gestützt auf eingeschobene Trakl-Lyrik – denkwürdig zum Schönklang hin abmildert. Die junge Sopranistin Steffi Lehmann triumphierte mit der Partie der Dora – und nicht nur die psychoanalytische Gemeinde hat einen Abend präsentiert bekommen, über den noch längere Zeit nachgedacht werden darf, weil sich hinter und unter den schönen Oberflächen so viel Schrecken der Zwei- und Einsamkeit verbergen.