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Hühner-Reibach

Die Hähnchenmast ist ein wichtiges Standbein der Niedersächsischen Wirtschaft. Mit der Neuansiedlung eines Groß-Schlachthofes für Geflügel im Landkreis Celle plant der Branchenriese "Emsland Frischgeflügel" nun den Sprung in den Osten Niedersachsens. Bis zu 400 Mastställe wären dafür nötig.

Von Lukas Sander | 31.03.2010
    150 Meter Mindestabstand zu Wäldern – das ist der Standard, den das Umweltrecht für Mastställe vorgibt. Das Ökosystem soll vor Ammoniak und Stickstoff geschützt werden. Im waldreichen Niedersachsen dürfte das so manchen Landwirt, der einen Maststall bauen will, vor Probleme stellen. Findige Juristen im Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium meinen aber, einen Ausweg gefunden zu haben: Der Landwirt beantragt, den Wald abholzen zu dürfen. Liegt ihm die Genehmigung dafür vor, darf er seinen Stall bauen – auch wenn er den Wald später stehen lässt.

    In einem Erlass des Ministeriums heißt es: der Wald sei dann "als nicht vorhanden zu bewerten". Von einer "fiktiven Waldumwandlungsgenehmigung" ist die Rede. Für den Grünen Landtagsabgeordneten Christian Meyer ist das ein "Trick zur Förderung von Tierfabriken":

    "Es kann keine fiktiven Wälder geben. Wald ist dann da, wenn der Wald besteht. Und nicht nur auf dem Papier anders definiert ist. Fiktive Wälder gibt es nicht."

    Meyer hat bei Juristen des Niedersächsischen Landtages ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis der Sachverständigen stützt seine Auffassung. Dass eine Abholzgenehmigung vorliege, ändere nichts daran, dass der Wald mit Schadstoffen belastet werde. Probleme haben die Landtags-Juristen auch mit einer weiteren Idee aus dem Landwirtschafts-Ministerium. Normalerweise müsste ein Landwirt, wenn er einen Wald abholzt, neue Bäume zum Ausgleich pflanzen. Da die "fiktiven Wälder" aber stehen bleiben, könnte der Landwirt sie sich in großen Teilen als Ausgleichsmaßnahme anrechnen lassen. Er müsste dann noch einige weitere Bäume pflanzen und hätte seine Schuldigkeit getan. Für Gerd Hahne, Sprecher des Niedersächsischen Landwirtschaftministeriums, eine gute Sache:

    "Nun sind wir der Ansicht, dass es eigentlich wenig sinnvoll ist, den Wald erst umzusägen, um dann einen Bauantrag zu stellen, um dann einen Stall zu bauen, um dann 100 Meter weiter als Kompensation einen neuen Wald wieder anzupflanzen. Sondern wir haben jetzt die Möglichkeit geschaffen, dass dieser Wald stehen bleiben kann und das als Kompensation zum Teil auch mit eingerechnet wird."

    Diese Rechnung aber ist unlogisch, urteilen die sonst eher zurückhaltenden Landtags-Juristen ungewöhnlich hart: Die Vorstellung, dass eine Maßnahme durch ihre Unterlassung ausgeglichen werden könne, sei mit den "Denkgesetzen" kaum vereinbar. Einen zur Abholzung freigegebenen Wald stehen zu lassen, könne keine Ersatzmaßnahme im Sinne des Umweltrechts sein. Der Grünen-Abgeordnete Christian Meyer sieht sich auch hier bestätigt:

    "Das ist absurd. Man kann nicht eine Abbruchgenehmigung beantragen und als Ersatz das Haus nicht abreißen. Das ist Quatsch."

    Außerdem widerspreche der Erlass des Landwirtschaftsministeriums dem Bundes-Emissionsschutz-Gesetz.

    "Was klare Vorgaben macht, dass man bestimmte Grenzwerte einzuhalten hat – und die gelten unabhängig von irgendwelchen anderen Genehmigungen. Das heißt: ein Wald darf nicht durch Schadstoffe so stark belastet sein, dass er davon geschädigt wird."

    Die Grünen fordern, dass die Landesregierung den Erlass kippt. Der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums bezeichnet das Gutachten der Landtags-Juristen als Einzelmeinung:

    "Und das, was aus unserem Hause kommt mit Briefkopf und Unterschrift, sagt eben etwas anderes, als was dort interpretiert wird."

    Und so wird der Streit um fiktive Wälder in Niedersachsen wohl bald die Gerichte beschäftigen: Eine Klärung dürften erst die zu erwartenden Klageverfahren bringen, wenn ein Landwirt in der Nähe eines Waldes eine Mastanlage beantragt. Davon gehen sowohl die Landesregierung, als auch die Grünen aus.