Überrascht waren wir erst mal von dem Potenzial von Leuten, was zu uns kommt. Wir hatten damit gerechnet, dass sich natürlich ein Haufen Leute bei uns melden, aber dass sich soviele Leute bei uns melden, die einen Leidensdruck haben und einfach keinen Ausweg gefunden haben, dass hat uns persönlich sehr überrascht. Dann hat uns überrascht, dass wir eigentlich als Aussteigerprogramm gestartet sind, also wir wollten uns um Personen kümmern, die aus der Szene rauswollen, sind aber letzte Ansprechpartner für alle möglichen Leute geworden. Das heißt, Lehrer wenden sich an uns, die in ihren Schulen nicht weiter wissen. Eltern wenden sich an uns, die Probleme zu Hause haben mit ihren Schützlingen und so weiter.
Gegründet wurde "Exit" im Herbst 2000 nach dem Vorbild skandinavischer Gruppen in Oslo und Stockholm. Schlüsselfigur für "Exit Deutschland" ist Ingo Hasselbach, einst einflussreiches Mitglied der ostdeutschen Neo-Nazi-Szene, der 1993 ausstieg. Finanziert wird der Verein durch Sponsoren und Gelder einer Kampagne der Zeitschrift "Stern" unter dem Motto: "Mut gegen rechte Gewalt".
Die Arbeit des Vereins ist nicht ungefährlich. Auf seiner Homepage im Internet lautet der erste Satz: "Die rechtsextreme Szene gibt niemanden frei". In der Vergangenheit wurden Ausstiegswillige, vor allem, wenn sie darüber öffentlich berichten wollten, als Verräter bezeichnet und massiv bedroht. Bevor die Mitarbeiter von Exit aktiv werden, schätzen sie erst einmal grob ab, wie gefährdet der Ausstiegswillige ist:
Einmal die stark Gefährdeten, wo wir sofort handeln. Wenn sich beispielsweise jemand aus ner militanten Szene aus uns wendet, oder aus einem Bereich, der gerade in Berlin sehr weit verbreitet ist, wo Rotlichtszene und Rechtsextremismus Hand in Hand gehen, da handeln wir sofort, wir bringen die Leute sofort in einer anderen Wohnung unter und überlegen sofort alle weiteren Schritte. Wenn beispielsweise jemand aus den Republikanern austreten will und nicht gerade eine hohe Funktion hat, dann ist dieser Sicherheitsabgleich: Man muss natürlich gucken, wird er bedroht oder nicht, aber die Gefahr, dass dort was passiert, ist geringer.
Mitarbeiter bei "Exit" ist auch der 25jährige Matthias Adrian aus Hessen. Der korpulente Mann mit den kurzen Haaren wuchs in einem rechtsorientierten Elternhaus auf und geriet bereits mit 13 Jahren ins braune Fahrwasser. Er war bald in mehreren Wehrsportgruppen aktiv, unterstützte die HNG, die "Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige", war Mitglied in der NPD und im hessischen Landesvorstand der Jungen Nationaldemokraten. Seinen Antisemitismus propagierte er unverhohlen:
Deshalb habe ich auch eine Kabarettgruppe gegründet, die sich die "Rabbiner" nannte und hab dann richtig so mit Stürmer-Nase, angeklebtem Bart dann so Szenen aus "der ewige Jude" nachgespielt, weil ich gedacht habe, damit erreiche ich viel mehr, als wenn ich den Leuten so eine Broschüre mit 20 Seiten geb’, die sie dann spätestens nach der zweiten Seite eh nicht mehr lesen. Das führte dazu, dass ich in die Kritik geriet bei den Neuen Rechten und ich habe mich demonstrativ immer als alter Rechter bezeichnet.
Dass der junge, kräftige Mann aus Hessen vor zwei Jahren ausstieg, hatte verschiedene Gründe. Einer der wesentlichen war wohl, dass auch seine Freundin ging. Sie war von der Polizei gefasst worden, als sie – zusammen mit ihrer minderjährigen Tochter - Hetzparolen an eine Synagoge schmierte. Sie legte ein umfassendes Geständnis ab und löste sich von der rechtsextremen Szene. Sie war es, die ihren Freund Matthias Ende 1999 zum Umdenken brachte. Schließlich entdeckte er selbst immer mehr Widersprüche im rechtsradikalen Lager. Auf der einen Seite wird dort gerne über die angeblichen "Systemmedien" und die verantwortlichen Politiker geschimpft: Sie würden das Volk belügen, die Wahrheit verschweigen. Auf der anderen Seite, nimmt man für sich in Anspruch für die "Wahrheit" zu kämpfen. Doch offenbar stimmen da Anspruch und Wirklichkeit nicht überein, wie Mathias Adrian feststellen musste:
Ich ging ja damals davon aus, dass in der rechten Szene die Wahrheit verbreitet wird, dass man dort für die Wahrheit kämpft und dann konnte ich es halt mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, als dann auf einmal im Bierzelt sich was ausgedacht wurde und das war dann 14 Tage später offizielles Schulungsthema. Da wurden einfach Dokumente erfunden. Dann auch, dass das Ganze ziemlich verlogen und unehrlich war. Das man denn her ging und sagte: Ja, die Skinheads, das sind jetzt unsere Kameraden, aber wenn sich die Tür des inneren Zirkels dann schloss, dann hieß es dann sofort wieder: Für das, was wir mit den Skinheads vorhaben, haben sie schon die richtige Frisur, das sind alles Asoziale und die kommen alle ins KZ.
Der Ausstieg war hart. Dem Ex-Neo-Nazi ging es dabei wie vielen, die über Jahre nur in der Szene und für die Szene gelebt haben: Er musste seinen gesamten Freundeskreis aufgeben, wurde depressiv, dachte an Selbstmord. Heute berichtet Matthias Adrian in Schulen oder Talk-Runden über seine Erfahrungen.
Die Mitarbeiter von Exit werden häufig gefragt, welchen Erfolg ihre Arbeit habe. Fallbetreuer Sven ist mit dem Erreichten durchaus zufrieden:
Zum Beispiel die "Jungen Nationaldemokraten Hessen", die hatten im Landesvorstand sieben Leute drin sitzen gehabt, nachdem dann drei bei uns waren, hat man gesehen, Holla, wir gehen an die Substanz ran. Wir haben Leute abgezogen aus terroristischen Vereinigungen, wo der Verfassungsschutz sagt, die würde es nicht geben, doch die gibt es, wir haben die ideologischen Köpfe abgezogen, darauf reagiert natürlich die Szene.
Bisher haben – nach Angaben der Aussteiger-Organisation - 28 Leute den Ausstieg mit "Exit" geschafft, weitere 60 Personen werden aktuell betreut. Die Mehrzahl kommt übrigens aus Westdeutschland. Aus Ostdeutschland, wo die Zahl rechtextremer Straftaten höher liegt, sind nur wenige dabei:
Die Szenen unterscheiden sich vor allem dadurch, dass es im Osten eher Freundeskreise sind, die gemeinsam eine rechtsextreme Gruppierung bilden. Das heißt, wenn man dort rauswill, ist die Gefährdung noch etwas höher, weil der Freundeskreis sich persönlich verraten fühlt, die sind persönlich enttäuscht und das hat man halt im Westen nicht so sehr. Im Westen sind es halt Kaderstrukturen, also Leute, die über die politische Arbeit zusammengekommen sind. Führt andere Probleme mit sich, aber der Gefährdungsdruck ist im Osten sicherlich höher. Andererseits ist auch der Leidensdruck für jemanden, der aus der Szene rauswill, im Osten auch höher, weil, es gibt nicht viel anderes in bestimmten Gebieten, das ist halt im Westen nicht so ein Problem.
Die "Exit"- Verantwortlichen haben schnell erkannt, dass nicht nur die "Ausstiegswilligen" Hilfe brauchen. Sehr bald meldeten sich auch Eltern, die mit ihren rechtsradikalen Söhnen – weibliche Neo-Nazis sind in der Minderzahl – nicht mehr zurechtkamen. Der Verein gründete eine – vom Ausstiegsprogramm unabhängige – Elterninitiative, deren engagierte Mitarbeiterinnen über eine Handynummer rund um die Uhr erreichbar sind. Nadja:
Eine Situation, die wir häufig haben, ist, dass Eltern sagen, mir ist schon die ganze Zeit aufgefallen, mein Sohn läuft als rechter Skinhead rum, hört rechte Musik, fährt häufiger zu rechten Demonstrationen, Konzerten, Veranstaltungen. Die Eltern sagen dann, ich habe es erst mal toleriert, beobachtet, dann kann es aber sein, dass sie genau in dem Moment anrufen, wo das Kind das erste Mal auch straffällig wird. Es könnte sein, dass das Kind an irgendeiner Wand Hakenkreuze geschmiert hat, es könnten auch Schlägereien sein. In dem Moment wird die Situation für die Familie schwierig, weil dann die Polizei vor der Haustür steht.
Manchmal helfen bereits Einzelgespräche. Es gibt aber auch Selbsthilfegruppen für die Eltern rechter Jugendlicher. Der Berliner Verein hat drei Initiativen ins Leben gerufen, eine im Süden, eine im Osten, eine im Norden Deutschlands. In aller Regel muss "Exit" dort zunächst erst einmal Basisinformationen liefern: Was sind überhaupt Skinheads, welche Musik hören Rechtsextreme, was ist verboten, was erlaubt – das sind die häufigsten Fragen.
Unter den Eltern, die Hilfe einfordern, kommen die wenigsten aus Ostdeutschland. Die meisten Anfragen erhalten die Exit-Mitarbeiter aus Bayern:
Es hat auch was damit zu tun, dass wir festgestellt haben, in den südlichen Bundesländern gibt es scheinbar weniger Ansprechpartner. Immer in Gegenden, wo es viele Organisationen gibt, oder Institutionen, die gegen Rechts agieren, ist es leichter für die Angehörigen, was zu finden. In den südlichen Bundesländern haben wir ganz oft den Fall, dass Eltern wirklich schon vom Jugendamt zur Polizei, zur Schule gelaufen sind, zum Bürgermeister und gesagt haben, was soll ich tun, mein Kind ist rechts und sie praktisch auf Ignoranz bis hin zu Schuldzuweisungen stoßen.
Nun ist das privat finanzierte "Exit" in Berlin keineswegs die einzige Anlaufadresse für potentielle Aussteiger. In fast allen Bundesländern gibt es mittlerweile staatliche oder kommunale Ansprechpartner mit entsprechenden Hotlines, mal angesiedelt beim Verfassungsschutz, mal im Justizministerium, dann wieder bei der Polizei. Vor rund einem Jahr startete das Bundesamt für Verfassungsschutz seine mit einem großen Medienecho ins Leben gerufene Aussteigeraktion. Reinhard Wagner, Leiter des Landesamtes in Hamburg erklärt, die Ziele:
Das Aussteigerprogramm läuft doppelgleisig. Zum einen sollen normale Anhänger angesprochen werden, sie sollen sich melden bei den entsprechenden Hotlines, die in den Ländern geschaltet worden sind und man unterstützt sie dann, wenn sie aussteigen wollen, aussteigewillig sind. Die andere Schiene ist die, dass man auf bestimmte Führungspersonen zugeht, um sie zu bewegen, auszusteigen. Natürlich hätte das eine besondere Signalwirkung und solche Erfolge wären besonders zu begrüßen.
Anfangs hieß es, der Verfassungsschutz wolle ausstiegswilligen Führungsleuten der Neo-Nazi-Szene 100.000 Mark zahlen. Umgehend dementierte das Amt. Geld gebe es natürlich nicht bar auf die Hand, allenfalls helfe man bei Umzügen.
Heute, ein Jahr nach dem Beginn, spricht das Bundesinnenministerium von einem deutlichen Erfolg der Aktion. Doch diese Einschätzung wird nicht von allen geteilt. Über das Kontakttelefon waren bis Ende März zwar 750 Anrufe eingegangen, doch nur die wenigsten suchten eine Hilfe für den Ausstieg. In ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der PDS erklärte die Bundesregierung, 66 potentielle Aussteiger seien in das Programm aufgenommen worden. Davon wären allerdings 27 Personen mittlerweile wieder abgesprungen. Dass es trotz guten Zuredens und konkreter Hilfe nur in 16 Fällen gelang, Rechtsextremisten zu einer neuen Existenz zu bewegen, wird selbst in Kreisen des Verfassungsschutzes als "deprimierend" bezeichnet.
Eher noch schlechter sieht es in den einzelnen Bundesländern aus. Die Einrichtung von Hotlines hat sich dort vielfach verzögert – nicht zuletzt durch Streit um die Finanzierung. Wo Aussteiger-Telefone geschaltet wurden, wie in Hamburg - dort bei der Innenbehörde angesiedelt - ist das Interesse zumeist verhalten. Im letzten Jahr hätten 33 Personen angerufen, einen Parteifunktionär habe man zum Ausstieg verholfen, fünf ehemals rechte Jugendliche seien in Betreuung. In anderen Bundesländern will man nicht darauf warten, bis Neonazis auf die Behörden zugehen, sondern spricht sie direkt an. So in Niedersachsen, wo man versuchen will, auf inhaftierte Rechtsradikale einzuwirken, deren Zahl immerhin auf 120 Personen geschätzt wird. Eine vollständige Bilanz dieses Vorhabens lässt sich noch nicht ziehen, doch eine ernüchternde Erkenntnis gibt es in Hannover schon jetzt. Sitzen die Rechtsradikalen erst im Gefängnis, dann ist an eine Umkehr kaum zu denken. Sie werden dort nämlich als "Helden" gefeiert und vom rechten Unterstützungswerk "Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" betreut, bei denen auch Aussteiger Matthias Adrian einst mitarbeitete:
Da fühlen sie sich unschuldig verfolgt und bekommen jede Woche bis zu 30 Briefe, in denen dann genau das noch mal drinsteht, was sie sowieso schon vermuten und dass sie durchhalten sollen, damit sie dann den Märtyrerstatus kriegen. Wenn man sich die "HNG-Nachrichten", das ist die Hilfsgemeinschaft für nationale Gefangene, ansieht, findet man sogar so Auflistung dieser Gefangenen und das ist schon was, was einen in der Szene aufwertet, wenn da mal in der Top-Ten der Gefangenenliste war, danach hat man entsprechend seinen Ruf.
Die Aussteigerprogramme von Bund und Ländern haben bisher nicht so viel Wirkung gezeigt, wie man es sich eigentlich erhofft hatte. Szenekenner überrascht das nicht. Sie haben schon früh bezweifelt, dass ausgerechnet der in rechtsextremen Kreisen verhasste Verfassungsschutz die richtige Anlaufadresse für Aussteigewillige ist. Jörg Fischer etwa, der mehr als zehn Jahre in der rechten Parteienszene, in der NPD und DVU aktiv war und heute in Köln lebt, hätte sich damals, als er nach den Ereignissen in Hoyerswerda Anfang der 90iger Jahre ausstieg, nie an den Verfassungsschutz gewendet:
Mit unseriösen und zwielichtigen Organisationen wie dem Verfassungsschutz möchte ich nichts zu tun haben. Da ist auch die Hemmschwelle zu hoch, sich an den Staat zu wenden.
Noch ein anderen Grund scheint es für die generell geringe Bereitschaft zum Ausstieg zu geben: der Leidensdruck ist scheinbar häufig kleiner als gedacht. Rechtsradikale sind offenbar nicht die Außenseiter, als die sie vielfach hingestellt werden. Sie befinden sich in der Regel in einer normalen Ausbildung oder haben einen festen Arbeitsplatz. Das gilt oft auch für rechte Gewalttäter. Nach Aussagen des Verfassungsschutzes waren diese zum größten Teil "unauffällige, normale" Jugendliche, die zum Zeitpunkt der Tat kaum häufiger arbeitslos waren als ihre nicht-rechten Altersgenossen.
Auch mit ihrer extremen Ideologie stehen sie keineswegs allein. Fremdenfeindlich, deutschtümelnd, ja rassistisch wie sie, so dachten und denken offenbar zahlreiche Deutsche, wenn man dem Aussteiger Jörg Fischer glauben möchte, der Ortsgruppen für die NPD in Franken aufbaute:
Man kann insgesamt schon sagen, dass sie hauptsächlich dort Unterstützer finden, in den Gebieten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass es geschlossene Gesellschaften sind. Kleinere Orte, kleinere Stadtteile, die in sich wieder ein geschlossenes Biotop darstellen, das konservativ geprägt ist, in der alles Fremde, alles Neue, alles Unbekannte abgelehnt wird erst mal und da haben sie eben dieses Phänomen, dass hier kein Generationenkonflikt stattfindet, wie immer vermutet wird, sondern dass hier die Jugendlichen so reden, wie die Alten am Küchentisch denken.
In dieses Bild passt es dann auch, dass in einigen Gebieten Deutschlands offenbar das Gefühl existiert, man habe mit den Rechten keine Probleme, so Aussteiger Matthias Adrian:
Ich finde schon mal gut, dass man das Problem überhaupt erkennt, wenn man es erkennt, was halt gerade in süddeutschen Ländern nicht unbedingt so der Fall ist, wo man immer sagt: Wir haben kein Problem mit Rechtsextremen und dann gehe ich auf die Toilette und da hängt alles voll mit JN-Aufklebern oder ich sehe dann halt diverse Symbole der Szene auf Stühle eingekratzt und dann denke ich mir, dass man da grade auch im Westen ziemlich viel arbeiten muss, dass man sich mit dem Problem des modernen Rechtsextremismus beschäftigt.
Rechtsradikalismus und Fremdenhass lassen sich offenbar nicht leicht aus der Welt schaffen. Gut gemeinte Aufklärungskampagnen würden die Adressaten häufig kaum erreichen, meint der frühere Neo-Nazi Jörg Fischer:
Die Rolle von persönlichen Begegnungen wird zu sehr unterschätzt. Mein Problem damals war, dass ich ne ganze Reihe von Zeitzeugen kennen gelernt hab, aber genau die, die diese Zeit gerechtfertigt haben, die die Verbrechen geleugnet haben, die selbst Täter waren. Filme, Bücher, sind gerade für Jugendliche zu abstrakt. Wenn sie dann abends zum Kameradschaftsabend gehen und dann haben sie da den Hochverehrten, als Helden angesehen Kameraden, der beispielsweise bei der SS war und aus seinem Leben erzählt, was zwar nicht der Wahrheit entspricht, was er erzählt, aber subjektiv für den Jugendlichen kommt es erst mal wesentlich authentischer rüber.
Aus all dem folgt für die Verantwortlichen der Aussteiger-Initiative, dass es vor allem gilt den Einstieg zu verhindern. Das aber heißt: So genannte "National befreite Zonen" darf es nicht geben, die demokratischen Kräfte müssen gestärkt werden. Da ist es nur folgerichtig, dass "Exit" sich zunehmend im Vorfeld engagiert, wenn Schulen und Jugendklubs, bis hin zu ganzen Stadtteilen in Gefahr sind, von Rechtsradikalen majorisiert zu werden. Für solche Fälle hat "Exit" ein "mobiles Beratungsteam" gegründet:
Schule, Jugendklub zum Beispiel: Ein problembewusster Mensch meldet sich dort. Sagt, wir haben hier ein Problem, unser Jugendklub droht beispielsweise von Rechtsextremisten übernommen zu werden. Dann fährt beispielsweise das mobile Beratungsteam hin, macht sich ein Bild von der Situation vor Ort und entwickelt dort mit den Verantwortlichen zusammen ein Konzept, wie man dagegen vorgehen kann. Mit Schulungsteams, dass die Verantwortlichen dort fortgebildet werden, dass sie den Rechtsextremismus überhaupt erst mal erkennen und dann Argumentationstrainings, dass man sich mit ihnen auseinandersetzen kann, dann aber auch jugendkulturelle Tipps, zum Beispiel: Achtet darauf, dass Leute zwar mit Bomberjacken reinkommen, aber dass keine Aufnäher in Jugendklub reinkommen, dass diese Szene schrittweise zurückgedrängt wird.
Wissenschaftliche Studien belegen, dass rechte Tendenzen in der Bundesrepublik weiter verbreitet sind, als vielfach gedacht und nicht nur bei Menschen mit geringer Schulbildung vorkommen. Der Kölner Soziologe Alphons Silbermann hat herausgearbeitet, dass unter denjenigen, die sich als stark fremdenfeindlich zu erkennen gaben, Universitätsabsolventen mit über acht Prozent vertreten waren. Und der Berliner Politologe Richard Stöss ermittelte in einer Studie Ende der 90er Jahre, dass etwa 30 bis 35 Prozent der Bevölkerung fremdenfeindliche Tendenzen aufweisen würden. Entsprechend kurz greife vieles, was derzeit über den Rechtsradikalismus geschrieben oder gesagt werde, so der Aussteiger Jörg Fischer:
Das Problem, was ich sehe in der aktuellen Diskussion ist, dass hier eine Diskussion stattfindet, die Rechtsradikalen, als wären es Aliens, die außerhalb der Gesellschaft stehen. Der typische Rechtsradikale – auch für einen erheblichen Teil der Medien – zeichnet sich dadurch aus, dass er keine Haare hat, keinen Job, männlich, jugendlich und im Osten lebt. Es wird das Problem rausgedrängt: Die da draußen, die Skinheads, die ohne Haare sind.
Trotz aller gegenläufigen Bemühungen haben Neo-Nazis immer noch Zulauf. Dennoch gibt es auch immer wieder Aussteiger. Manche fürchten die Folgen von Straffälligkeit. Die meisten wachsen aber einfach aus der Neo-Nazi-Szene heraus, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben und eine Familie gründen wollen. In diesem Kontext ist das offensive Werben um den Ausstieg von Neo-Nazis ein kleiner Beitrag im Kampf gegen den Rechtsradikalismus. Nicht weniger, aber leider eben auch nicht mehr.
Link: Homepage von EXIT Deutschland
Link: Amadeu Antonio Stiftung
Gegründet wurde "Exit" im Herbst 2000 nach dem Vorbild skandinavischer Gruppen in Oslo und Stockholm. Schlüsselfigur für "Exit Deutschland" ist Ingo Hasselbach, einst einflussreiches Mitglied der ostdeutschen Neo-Nazi-Szene, der 1993 ausstieg. Finanziert wird der Verein durch Sponsoren und Gelder einer Kampagne der Zeitschrift "Stern" unter dem Motto: "Mut gegen rechte Gewalt".
Die Arbeit des Vereins ist nicht ungefährlich. Auf seiner Homepage im Internet lautet der erste Satz: "Die rechtsextreme Szene gibt niemanden frei". In der Vergangenheit wurden Ausstiegswillige, vor allem, wenn sie darüber öffentlich berichten wollten, als Verräter bezeichnet und massiv bedroht. Bevor die Mitarbeiter von Exit aktiv werden, schätzen sie erst einmal grob ab, wie gefährdet der Ausstiegswillige ist:
Einmal die stark Gefährdeten, wo wir sofort handeln. Wenn sich beispielsweise jemand aus ner militanten Szene aus uns wendet, oder aus einem Bereich, der gerade in Berlin sehr weit verbreitet ist, wo Rotlichtszene und Rechtsextremismus Hand in Hand gehen, da handeln wir sofort, wir bringen die Leute sofort in einer anderen Wohnung unter und überlegen sofort alle weiteren Schritte. Wenn beispielsweise jemand aus den Republikanern austreten will und nicht gerade eine hohe Funktion hat, dann ist dieser Sicherheitsabgleich: Man muss natürlich gucken, wird er bedroht oder nicht, aber die Gefahr, dass dort was passiert, ist geringer.
Mitarbeiter bei "Exit" ist auch der 25jährige Matthias Adrian aus Hessen. Der korpulente Mann mit den kurzen Haaren wuchs in einem rechtsorientierten Elternhaus auf und geriet bereits mit 13 Jahren ins braune Fahrwasser. Er war bald in mehreren Wehrsportgruppen aktiv, unterstützte die HNG, die "Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige", war Mitglied in der NPD und im hessischen Landesvorstand der Jungen Nationaldemokraten. Seinen Antisemitismus propagierte er unverhohlen:
Deshalb habe ich auch eine Kabarettgruppe gegründet, die sich die "Rabbiner" nannte und hab dann richtig so mit Stürmer-Nase, angeklebtem Bart dann so Szenen aus "der ewige Jude" nachgespielt, weil ich gedacht habe, damit erreiche ich viel mehr, als wenn ich den Leuten so eine Broschüre mit 20 Seiten geb’, die sie dann spätestens nach der zweiten Seite eh nicht mehr lesen. Das führte dazu, dass ich in die Kritik geriet bei den Neuen Rechten und ich habe mich demonstrativ immer als alter Rechter bezeichnet.
Dass der junge, kräftige Mann aus Hessen vor zwei Jahren ausstieg, hatte verschiedene Gründe. Einer der wesentlichen war wohl, dass auch seine Freundin ging. Sie war von der Polizei gefasst worden, als sie – zusammen mit ihrer minderjährigen Tochter - Hetzparolen an eine Synagoge schmierte. Sie legte ein umfassendes Geständnis ab und löste sich von der rechtsextremen Szene. Sie war es, die ihren Freund Matthias Ende 1999 zum Umdenken brachte. Schließlich entdeckte er selbst immer mehr Widersprüche im rechtsradikalen Lager. Auf der einen Seite wird dort gerne über die angeblichen "Systemmedien" und die verantwortlichen Politiker geschimpft: Sie würden das Volk belügen, die Wahrheit verschweigen. Auf der anderen Seite, nimmt man für sich in Anspruch für die "Wahrheit" zu kämpfen. Doch offenbar stimmen da Anspruch und Wirklichkeit nicht überein, wie Mathias Adrian feststellen musste:
Ich ging ja damals davon aus, dass in der rechten Szene die Wahrheit verbreitet wird, dass man dort für die Wahrheit kämpft und dann konnte ich es halt mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, als dann auf einmal im Bierzelt sich was ausgedacht wurde und das war dann 14 Tage später offizielles Schulungsthema. Da wurden einfach Dokumente erfunden. Dann auch, dass das Ganze ziemlich verlogen und unehrlich war. Das man denn her ging und sagte: Ja, die Skinheads, das sind jetzt unsere Kameraden, aber wenn sich die Tür des inneren Zirkels dann schloss, dann hieß es dann sofort wieder: Für das, was wir mit den Skinheads vorhaben, haben sie schon die richtige Frisur, das sind alles Asoziale und die kommen alle ins KZ.
Der Ausstieg war hart. Dem Ex-Neo-Nazi ging es dabei wie vielen, die über Jahre nur in der Szene und für die Szene gelebt haben: Er musste seinen gesamten Freundeskreis aufgeben, wurde depressiv, dachte an Selbstmord. Heute berichtet Matthias Adrian in Schulen oder Talk-Runden über seine Erfahrungen.
Die Mitarbeiter von Exit werden häufig gefragt, welchen Erfolg ihre Arbeit habe. Fallbetreuer Sven ist mit dem Erreichten durchaus zufrieden:
Zum Beispiel die "Jungen Nationaldemokraten Hessen", die hatten im Landesvorstand sieben Leute drin sitzen gehabt, nachdem dann drei bei uns waren, hat man gesehen, Holla, wir gehen an die Substanz ran. Wir haben Leute abgezogen aus terroristischen Vereinigungen, wo der Verfassungsschutz sagt, die würde es nicht geben, doch die gibt es, wir haben die ideologischen Köpfe abgezogen, darauf reagiert natürlich die Szene.
Bisher haben – nach Angaben der Aussteiger-Organisation - 28 Leute den Ausstieg mit "Exit" geschafft, weitere 60 Personen werden aktuell betreut. Die Mehrzahl kommt übrigens aus Westdeutschland. Aus Ostdeutschland, wo die Zahl rechtextremer Straftaten höher liegt, sind nur wenige dabei:
Die Szenen unterscheiden sich vor allem dadurch, dass es im Osten eher Freundeskreise sind, die gemeinsam eine rechtsextreme Gruppierung bilden. Das heißt, wenn man dort rauswill, ist die Gefährdung noch etwas höher, weil der Freundeskreis sich persönlich verraten fühlt, die sind persönlich enttäuscht und das hat man halt im Westen nicht so sehr. Im Westen sind es halt Kaderstrukturen, also Leute, die über die politische Arbeit zusammengekommen sind. Führt andere Probleme mit sich, aber der Gefährdungsdruck ist im Osten sicherlich höher. Andererseits ist auch der Leidensdruck für jemanden, der aus der Szene rauswill, im Osten auch höher, weil, es gibt nicht viel anderes in bestimmten Gebieten, das ist halt im Westen nicht so ein Problem.
Die "Exit"- Verantwortlichen haben schnell erkannt, dass nicht nur die "Ausstiegswilligen" Hilfe brauchen. Sehr bald meldeten sich auch Eltern, die mit ihren rechtsradikalen Söhnen – weibliche Neo-Nazis sind in der Minderzahl – nicht mehr zurechtkamen. Der Verein gründete eine – vom Ausstiegsprogramm unabhängige – Elterninitiative, deren engagierte Mitarbeiterinnen über eine Handynummer rund um die Uhr erreichbar sind. Nadja:
Eine Situation, die wir häufig haben, ist, dass Eltern sagen, mir ist schon die ganze Zeit aufgefallen, mein Sohn läuft als rechter Skinhead rum, hört rechte Musik, fährt häufiger zu rechten Demonstrationen, Konzerten, Veranstaltungen. Die Eltern sagen dann, ich habe es erst mal toleriert, beobachtet, dann kann es aber sein, dass sie genau in dem Moment anrufen, wo das Kind das erste Mal auch straffällig wird. Es könnte sein, dass das Kind an irgendeiner Wand Hakenkreuze geschmiert hat, es könnten auch Schlägereien sein. In dem Moment wird die Situation für die Familie schwierig, weil dann die Polizei vor der Haustür steht.
Manchmal helfen bereits Einzelgespräche. Es gibt aber auch Selbsthilfegruppen für die Eltern rechter Jugendlicher. Der Berliner Verein hat drei Initiativen ins Leben gerufen, eine im Süden, eine im Osten, eine im Norden Deutschlands. In aller Regel muss "Exit" dort zunächst erst einmal Basisinformationen liefern: Was sind überhaupt Skinheads, welche Musik hören Rechtsextreme, was ist verboten, was erlaubt – das sind die häufigsten Fragen.
Unter den Eltern, die Hilfe einfordern, kommen die wenigsten aus Ostdeutschland. Die meisten Anfragen erhalten die Exit-Mitarbeiter aus Bayern:
Es hat auch was damit zu tun, dass wir festgestellt haben, in den südlichen Bundesländern gibt es scheinbar weniger Ansprechpartner. Immer in Gegenden, wo es viele Organisationen gibt, oder Institutionen, die gegen Rechts agieren, ist es leichter für die Angehörigen, was zu finden. In den südlichen Bundesländern haben wir ganz oft den Fall, dass Eltern wirklich schon vom Jugendamt zur Polizei, zur Schule gelaufen sind, zum Bürgermeister und gesagt haben, was soll ich tun, mein Kind ist rechts und sie praktisch auf Ignoranz bis hin zu Schuldzuweisungen stoßen.
Nun ist das privat finanzierte "Exit" in Berlin keineswegs die einzige Anlaufadresse für potentielle Aussteiger. In fast allen Bundesländern gibt es mittlerweile staatliche oder kommunale Ansprechpartner mit entsprechenden Hotlines, mal angesiedelt beim Verfassungsschutz, mal im Justizministerium, dann wieder bei der Polizei. Vor rund einem Jahr startete das Bundesamt für Verfassungsschutz seine mit einem großen Medienecho ins Leben gerufene Aussteigeraktion. Reinhard Wagner, Leiter des Landesamtes in Hamburg erklärt, die Ziele:
Das Aussteigerprogramm läuft doppelgleisig. Zum einen sollen normale Anhänger angesprochen werden, sie sollen sich melden bei den entsprechenden Hotlines, die in den Ländern geschaltet worden sind und man unterstützt sie dann, wenn sie aussteigen wollen, aussteigewillig sind. Die andere Schiene ist die, dass man auf bestimmte Führungspersonen zugeht, um sie zu bewegen, auszusteigen. Natürlich hätte das eine besondere Signalwirkung und solche Erfolge wären besonders zu begrüßen.
Anfangs hieß es, der Verfassungsschutz wolle ausstiegswilligen Führungsleuten der Neo-Nazi-Szene 100.000 Mark zahlen. Umgehend dementierte das Amt. Geld gebe es natürlich nicht bar auf die Hand, allenfalls helfe man bei Umzügen.
Heute, ein Jahr nach dem Beginn, spricht das Bundesinnenministerium von einem deutlichen Erfolg der Aktion. Doch diese Einschätzung wird nicht von allen geteilt. Über das Kontakttelefon waren bis Ende März zwar 750 Anrufe eingegangen, doch nur die wenigsten suchten eine Hilfe für den Ausstieg. In ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der PDS erklärte die Bundesregierung, 66 potentielle Aussteiger seien in das Programm aufgenommen worden. Davon wären allerdings 27 Personen mittlerweile wieder abgesprungen. Dass es trotz guten Zuredens und konkreter Hilfe nur in 16 Fällen gelang, Rechtsextremisten zu einer neuen Existenz zu bewegen, wird selbst in Kreisen des Verfassungsschutzes als "deprimierend" bezeichnet.
Eher noch schlechter sieht es in den einzelnen Bundesländern aus. Die Einrichtung von Hotlines hat sich dort vielfach verzögert – nicht zuletzt durch Streit um die Finanzierung. Wo Aussteiger-Telefone geschaltet wurden, wie in Hamburg - dort bei der Innenbehörde angesiedelt - ist das Interesse zumeist verhalten. Im letzten Jahr hätten 33 Personen angerufen, einen Parteifunktionär habe man zum Ausstieg verholfen, fünf ehemals rechte Jugendliche seien in Betreuung. In anderen Bundesländern will man nicht darauf warten, bis Neonazis auf die Behörden zugehen, sondern spricht sie direkt an. So in Niedersachsen, wo man versuchen will, auf inhaftierte Rechtsradikale einzuwirken, deren Zahl immerhin auf 120 Personen geschätzt wird. Eine vollständige Bilanz dieses Vorhabens lässt sich noch nicht ziehen, doch eine ernüchternde Erkenntnis gibt es in Hannover schon jetzt. Sitzen die Rechtsradikalen erst im Gefängnis, dann ist an eine Umkehr kaum zu denken. Sie werden dort nämlich als "Helden" gefeiert und vom rechten Unterstützungswerk "Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" betreut, bei denen auch Aussteiger Matthias Adrian einst mitarbeitete:
Da fühlen sie sich unschuldig verfolgt und bekommen jede Woche bis zu 30 Briefe, in denen dann genau das noch mal drinsteht, was sie sowieso schon vermuten und dass sie durchhalten sollen, damit sie dann den Märtyrerstatus kriegen. Wenn man sich die "HNG-Nachrichten", das ist die Hilfsgemeinschaft für nationale Gefangene, ansieht, findet man sogar so Auflistung dieser Gefangenen und das ist schon was, was einen in der Szene aufwertet, wenn da mal in der Top-Ten der Gefangenenliste war, danach hat man entsprechend seinen Ruf.
Die Aussteigerprogramme von Bund und Ländern haben bisher nicht so viel Wirkung gezeigt, wie man es sich eigentlich erhofft hatte. Szenekenner überrascht das nicht. Sie haben schon früh bezweifelt, dass ausgerechnet der in rechtsextremen Kreisen verhasste Verfassungsschutz die richtige Anlaufadresse für Aussteigewillige ist. Jörg Fischer etwa, der mehr als zehn Jahre in der rechten Parteienszene, in der NPD und DVU aktiv war und heute in Köln lebt, hätte sich damals, als er nach den Ereignissen in Hoyerswerda Anfang der 90iger Jahre ausstieg, nie an den Verfassungsschutz gewendet:
Mit unseriösen und zwielichtigen Organisationen wie dem Verfassungsschutz möchte ich nichts zu tun haben. Da ist auch die Hemmschwelle zu hoch, sich an den Staat zu wenden.
Noch ein anderen Grund scheint es für die generell geringe Bereitschaft zum Ausstieg zu geben: der Leidensdruck ist scheinbar häufig kleiner als gedacht. Rechtsradikale sind offenbar nicht die Außenseiter, als die sie vielfach hingestellt werden. Sie befinden sich in der Regel in einer normalen Ausbildung oder haben einen festen Arbeitsplatz. Das gilt oft auch für rechte Gewalttäter. Nach Aussagen des Verfassungsschutzes waren diese zum größten Teil "unauffällige, normale" Jugendliche, die zum Zeitpunkt der Tat kaum häufiger arbeitslos waren als ihre nicht-rechten Altersgenossen.
Auch mit ihrer extremen Ideologie stehen sie keineswegs allein. Fremdenfeindlich, deutschtümelnd, ja rassistisch wie sie, so dachten und denken offenbar zahlreiche Deutsche, wenn man dem Aussteiger Jörg Fischer glauben möchte, der Ortsgruppen für die NPD in Franken aufbaute:
Man kann insgesamt schon sagen, dass sie hauptsächlich dort Unterstützer finden, in den Gebieten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass es geschlossene Gesellschaften sind. Kleinere Orte, kleinere Stadtteile, die in sich wieder ein geschlossenes Biotop darstellen, das konservativ geprägt ist, in der alles Fremde, alles Neue, alles Unbekannte abgelehnt wird erst mal und da haben sie eben dieses Phänomen, dass hier kein Generationenkonflikt stattfindet, wie immer vermutet wird, sondern dass hier die Jugendlichen so reden, wie die Alten am Küchentisch denken.
In dieses Bild passt es dann auch, dass in einigen Gebieten Deutschlands offenbar das Gefühl existiert, man habe mit den Rechten keine Probleme, so Aussteiger Matthias Adrian:
Ich finde schon mal gut, dass man das Problem überhaupt erkennt, wenn man es erkennt, was halt gerade in süddeutschen Ländern nicht unbedingt so der Fall ist, wo man immer sagt: Wir haben kein Problem mit Rechtsextremen und dann gehe ich auf die Toilette und da hängt alles voll mit JN-Aufklebern oder ich sehe dann halt diverse Symbole der Szene auf Stühle eingekratzt und dann denke ich mir, dass man da grade auch im Westen ziemlich viel arbeiten muss, dass man sich mit dem Problem des modernen Rechtsextremismus beschäftigt.
Rechtsradikalismus und Fremdenhass lassen sich offenbar nicht leicht aus der Welt schaffen. Gut gemeinte Aufklärungskampagnen würden die Adressaten häufig kaum erreichen, meint der frühere Neo-Nazi Jörg Fischer:
Die Rolle von persönlichen Begegnungen wird zu sehr unterschätzt. Mein Problem damals war, dass ich ne ganze Reihe von Zeitzeugen kennen gelernt hab, aber genau die, die diese Zeit gerechtfertigt haben, die die Verbrechen geleugnet haben, die selbst Täter waren. Filme, Bücher, sind gerade für Jugendliche zu abstrakt. Wenn sie dann abends zum Kameradschaftsabend gehen und dann haben sie da den Hochverehrten, als Helden angesehen Kameraden, der beispielsweise bei der SS war und aus seinem Leben erzählt, was zwar nicht der Wahrheit entspricht, was er erzählt, aber subjektiv für den Jugendlichen kommt es erst mal wesentlich authentischer rüber.
Aus all dem folgt für die Verantwortlichen der Aussteiger-Initiative, dass es vor allem gilt den Einstieg zu verhindern. Das aber heißt: So genannte "National befreite Zonen" darf es nicht geben, die demokratischen Kräfte müssen gestärkt werden. Da ist es nur folgerichtig, dass "Exit" sich zunehmend im Vorfeld engagiert, wenn Schulen und Jugendklubs, bis hin zu ganzen Stadtteilen in Gefahr sind, von Rechtsradikalen majorisiert zu werden. Für solche Fälle hat "Exit" ein "mobiles Beratungsteam" gegründet:
Schule, Jugendklub zum Beispiel: Ein problembewusster Mensch meldet sich dort. Sagt, wir haben hier ein Problem, unser Jugendklub droht beispielsweise von Rechtsextremisten übernommen zu werden. Dann fährt beispielsweise das mobile Beratungsteam hin, macht sich ein Bild von der Situation vor Ort und entwickelt dort mit den Verantwortlichen zusammen ein Konzept, wie man dagegen vorgehen kann. Mit Schulungsteams, dass die Verantwortlichen dort fortgebildet werden, dass sie den Rechtsextremismus überhaupt erst mal erkennen und dann Argumentationstrainings, dass man sich mit ihnen auseinandersetzen kann, dann aber auch jugendkulturelle Tipps, zum Beispiel: Achtet darauf, dass Leute zwar mit Bomberjacken reinkommen, aber dass keine Aufnäher in Jugendklub reinkommen, dass diese Szene schrittweise zurückgedrängt wird.
Wissenschaftliche Studien belegen, dass rechte Tendenzen in der Bundesrepublik weiter verbreitet sind, als vielfach gedacht und nicht nur bei Menschen mit geringer Schulbildung vorkommen. Der Kölner Soziologe Alphons Silbermann hat herausgearbeitet, dass unter denjenigen, die sich als stark fremdenfeindlich zu erkennen gaben, Universitätsabsolventen mit über acht Prozent vertreten waren. Und der Berliner Politologe Richard Stöss ermittelte in einer Studie Ende der 90er Jahre, dass etwa 30 bis 35 Prozent der Bevölkerung fremdenfeindliche Tendenzen aufweisen würden. Entsprechend kurz greife vieles, was derzeit über den Rechtsradikalismus geschrieben oder gesagt werde, so der Aussteiger Jörg Fischer:
Das Problem, was ich sehe in der aktuellen Diskussion ist, dass hier eine Diskussion stattfindet, die Rechtsradikalen, als wären es Aliens, die außerhalb der Gesellschaft stehen. Der typische Rechtsradikale – auch für einen erheblichen Teil der Medien – zeichnet sich dadurch aus, dass er keine Haare hat, keinen Job, männlich, jugendlich und im Osten lebt. Es wird das Problem rausgedrängt: Die da draußen, die Skinheads, die ohne Haare sind.
Trotz aller gegenläufigen Bemühungen haben Neo-Nazis immer noch Zulauf. Dennoch gibt es auch immer wieder Aussteiger. Manche fürchten die Folgen von Straffälligkeit. Die meisten wachsen aber einfach aus der Neo-Nazi-Szene heraus, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben und eine Familie gründen wollen. In diesem Kontext ist das offensive Werben um den Ausstieg von Neo-Nazis ein kleiner Beitrag im Kampf gegen den Rechtsradikalismus. Nicht weniger, aber leider eben auch nicht mehr.
Link: Homepage von EXIT Deutschland
Link: Amadeu Antonio Stiftung