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"Ich wollte die Rollen unbedingt mit Somaliern besetzen"

Im April 2009 wurde das unter US-Flagge fahrende Frachtschiff "MV Maersk Alabama" auf dem Weg nach Kenia am Horn von Afrika von somalischen Piraten geentert. Den Kapitän nahmen sie als Geisel. Nun ist seine Geschichte verfilmt worden, mit Tom Hanks in der Hauptrolle.

Moderation: Sigrid Fischer | 12.11.2013
    Sigrid Fischer: Paul Greengrass, Ihr Film "Captain Phillips" ist mal wieder hoch spannendes Adrenalin-Kino, nichts für schwache Nerven. Konnte Richard Phillips, der echte Kapitän, den Film überhaupt gucken, ohne noch mal traumatisiert zu werden?

    Paul Greengrass: Ich habe den Film ihm und seiner Frau gezeigt, und als sie rauskamen, war sie tränenüberströmt. Er sagte nur: guter Film, stimmt alles, haben Sie alles richtig dargestellt. Aber sie war ziemlich mitgenommen, denn – okay, sie kannte natürlich das Buch ihres Mannes und das, was er ihr erzählt hatte. Aber das alles lebendig vor sich zu sehen, das ist ja so, als ob sie es mit ihm zusammen erleben würde. Das war sicher sehr erschütternd für sie. Er sagte dagegen: Wenn jemand eine Waffe an Ihren Kopf hält, dann kann ein Film, in dem jemand eine Waffe an Ihren Kopf hält, unmöglich ein genauso intensives Erlebnis sein. Das ist eben der Unterschied zwischen Film und Realität.


    Fischer: Man kann ja kaum verstehen, dass er knapp ein Jahr später wieder an Bord gegangen ist. Was ist das für ein Typ, dieser Captain Phillips?

    Greengrass: Richard ist ein sehr netter Mann, ich kenne ihn nicht sehr, gut, ich habe ihn nur einmal vor dem Film getroffen, Tom hat ihn besser kennengelernt. Aber durch sein Buch hatte ich einen sehr klaren Eindruck von ihm. Mein Vater hat den gleichen Job gemacht wie er, auch aus dem Grund wollte ich den Film drehen. Er war auch bei der Handelsmarine und hat sein ganzes Leben auf dem Wasser verbracht. Das sind sehr wortkarge Männer, die reden nicht viel. Weil das ein abgeschottetes, ein sehr hartes Leben ist. Es ist ganz sicher eine Berufung, das war es immer. Leute, die ihr Leben auf dem Wasser verbringen, die fühlen sich an Land nicht besonders wohl. Das dauernde Reisen, die Welt in blaue Farben getaucht, das ist ihr Ding. Aber selbst auf einem Hightech Schiff ist das eine echte Schufterei. Also, so ein Typ ist er, freundlich, normal, der ganze Hollywoodkram interessiert ihn nicht.

    Fischer: Sie haben Captain Phillips wirklich auf dem Meer gedreht, mit echten Schiffen. Warum war Ihnen das wichtig!

    Greengrass: Das war eine dieser Entscheidungen, wo man rückblickend denkt: Gut, dass ich es so gemacht habe, anders hätte es nicht funktioniert. Ja, ich wollte auf dem offenen Meer drehen, nicht im sicheren Wasser, oder im Hafen oder in Wassertanks. Am Ende haben wir nur eine Nacht im Tank gedreht, und zwar die Szene, in der Tom Hanks unter dem Rettungsboot herschwimmt, das ging nicht auf dem Meer. Ich wollte auch echte Schiffe, und wir haben monatelange Verhandlungen geführt, um ein identisches Schiff mieten zu können. Und dann haben wir die Piratenboote nachgebaut, die absolut aussehen wie die echten somalischen. Das gleiche gilt für das Rettungsboot usw.
    Dadurch sieht alles sehr authentisch aus und fühlt sich wahr an. Mir gefällt die Bildsprache des Films. Da ist diese freie Ozeanlandschaft, und dann die klaustrophobische Situation. Das sind unvereinbare Gegensätze. Genau wie das riesige Containerschiff neben dem kleinen Piratenboot, und später die winzige Rettungskapsel neben dem riesigen Kriegsschiff. Und diese visuellen Ungleichgewichte finden sich auch im Thema des Films wieder. Es ist ein Krimi, die Geschichte von jungen Männern, die sich auf Diebstahl und Entführung verlegen, nichts anderes ist ja Piraterie. Und das in einem Unfeld, das klar aufgeteilt ist zwischen denen, die etwas besitzen, und denen, die nichts haben. Und man weiß genau, ohne diesen Gegensatz gäbe es den Krimi gar nicht.

    Fischer: Die Darsteller der somalischen Piraten hatten alle keine Schauspielerfahrung, wo haben Sie sie entdeckt?
    Greengrass: Ich wollte die Rollen unbedingt mit Somaliern besetzen, aber das war gar nicht so einfach, weil es keine Schauspielerszene in Somalia gibt. Aber es gibt große somalische Gemeinden in Großbritannien und in den USA, also haben wir da gesucht. In Minneapolis, der größten somalischen Gemeinde in den USA, haben wir ein offenes Casting veranstaltet, jeder war eingeladen, zu kommen. Wir haben uns Hunderte Kandidaten angesehen, bis wir unsere vier jungen Männer gefunden haben. Ich habe erst dann entschieden, dass sie Freunde sein sollen, weil wir sie immer gleich zu zweit oder zu viert getestet haben, um zu sehen, ob da eine Gruppendynamik entsteht. Und zwischen diesen vier stimmte die Chemie, die Energie.

    Fischer: Sie nennen Ihren Film "Captain Phillips" einen Krimi, aber es ist ja keine Fiktion, welche Rolle spielt für Sie der reale politische Kontext darin?

    Greengrass: Ich verstehe den Film nicht als politisch, sondern als wahrhaftig. Jeder Regisseur ist anders, mich interessiert, wie die Welt da draußen entsteht. Welche Kräfte und Kollisionen unsere Zukunft formen. Ich sehe die Welt als Ort großer Dramen. Und wenn man eine Story finden kann, die diese kollidierenden Kräfte beleuchtet, dann sagt das auch etwas über das große Ganze aus. Aber das hat nichts mit meiner politischen Sicht zu tun, sondern mit Wahrhaftigkeit. Und wir wissen ja genau, was damals passiert ist, aber wenn wir es jetzt verfilmen, müssen wir jede winzige Entscheidung aus der Sicht derer treffen, die noch nicht wissen, was der andere vorhat und welche Kräfte da zusammenkommen, wohin das alles führt und was ihr Handeln auslöst. Die Aktionen müssen im Film genau so echt aufeinanderprallen wie in der Wirklichkeit damals. Und dann hat man als Zuschauer das Gefühl, dass das gerade jetzt passiert und man mittendrin ist und auch nicht weiß, was passieren wird. Weil die Darsteller das genau so spielen. Man darf also nicht daran gehen und sagen: Das sind die Bösen. Oder: Die sind hinter den Somalis her, dann lass sie mal sympathisch aussehen. Sondern man darf nur fragen, was will diese und jene Figur in der und der Situation und warum will sie es. Und man muss alles weglassen, was die Leute einem Ereignis oder einer Figur an Bedeutung zuschreiben wollen. Wenn man das alles weglässt und nur zeigt, was ist, dann bekommt man Wahrhaftigkeit.

    Fischer: Aber jeder erzählt doch aus einem bestimmten Blickwinkel und in Ihrem Film ist Captain Phillips der Held. Könnte man die Somalier nicht letztlich auch als Helden darstellen, weil sie ihr Leben nicht aus Spaß riskieren, sondern aus Not, aus Hunger, aus Armut?

    Greengrass: Ich würde das Wort "Held” in Zusammenhang mit diesem Film streichen, es wäre kein brauchbares Konzept. Denn was meint Held? "Held" ist ein Werturteil. Natürlich können Leute Helden sein und heldenhaft handeln, aber Held ist etwas, das Sie einem Verhalten zuschreiben, das Sie woanders gesehen haben. Mich interessiert hier nur, was menschlich ist. Und ich denke, wie die beiden Hauptfiguren Kraft und Mut darstellen - damit verkörpern sie Menschlichkeit. Man zweifelt doch keinen Moment daran, was Musi, der Pirat, will. Er will Geld, und er lässt sich von so gut wie nichts aufhalten. Außer von der Einsicht, dass es nicht zum Ziel führt, wenn er töten würde, denn er will das Geld. Aber man versteht, worum es ihm geht, und bei Tom versteht man das auch. Und was zwischen ihnen passiert ebenso. Und das hat mit Heldentum nichts zu tun, es ist rein menschlich und man nimmt Anteil. Am Ende des Films empfindet man Mitgefühl.


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